Selbstversuch: Vom Schreibtisch in die Startaufstellung
'Motorsport-Total.com'-Redakteur Sebastian Fränzschky tauscht seine Tastatur gegen ein Superbike ein und schnuppert am Eurospeedway Lausitz Rennluft
(Motorsport-Total.com) - Liebe Motorrad-Freunde,

© MST/Fraenzschky
Vertauschte Rollen: Redakteur Sebastian Fränzschky steigt aufs Motorrad Zoom
sicher können Sie sich vorstellen, dass die Arbeit eines Motorsport-Redakteurs in einem ziemlich extremen Kontrast zu dem steht, über was Wochenende für Wochenende berichtet wird. Im Dienst sitze ich in bequemer Körperhaltung auf einem ergonomischen Bürostuhl, von dem ich einen guten Blick auf den Monitor meines Computers habe. Beim Schreiben bevorzuge ich Ruhe. Auf der Strecke herrscht eine komplett andere Situation, vor allem im Zweiradsport: Menschen gehen an ihre psychischen und physischen Grenzen oder darüber hinaus. Es ist laut. Es ist dramatisch. Es ist emotional. Zeit, die Seiten zu wechseln.
Im August des vergangenen Jahres - Deutschland befand sich im Hochsommer - entschied ich mich dazu, selbst auf ein Rennmotorrad zu steigen und den Selbstversuch zu wagen. Ich nahm die Einladung von Trackday-Anbieter Prospeed (zur Website) an und entschied mich für ein zweitägiges Abenteuer am Eurospeedway Lausitz. Damals war noch nicht klar, dass die Superbike-WM in der Saison 2016 an den Lausitzring zurückkehrt. Etwas mehr als ein Jahr nach meinem Selbstversuch werden Nicky Hayden, Jonathan Rea, Chaz Davies und Markus Reiterberger am Lausitzring um Ruhm und Ehre kämpfen.
Ruhm und Ehre strebte ich im August 2015 auch an. Neben Neugierde und Ungewissheit schwang deshalb auch reichlich Ehrgeiz und Entschlossenheit mit. Bei der Wahl des Materials spielte das natürlich eine ausschlaggebende Rolle. Ich entschied mich für eine Ducati 999R aus dem Jahre 2004. In den Händen von Neil Hodgson, James Toseland und Troy Bayliss war das Zweizylinder-Superbike aus Bologna immerhin für drei Superbike-WM-Titel gut.
Puristisch: Weder Traktionskontrolle noch Anti-Wheelie
Mir war natürlich klar, dass die 999R aktuellen 200-PS-Granaten vom Schlage einer BMW S1000RR, Aprilia RSV4 oder Ducati Panigale nicht das Wasser reichen kann. In der nach wie vor beliebten 750er-Klasse, in der nach altem Superbike-WM-Reglement gefahren wird, hat Ducatis letztes 1.000er-Superbike aber auch heute noch schlagkräftige Argumente. Rennstrecken-Neulinge kommen mit den etwa 150 PS gut zurecht und können sich besser auf sich selbst konzentrieren. Soweit die Theorie.

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Die Ruhe vor dem Sturm: Veranstalter Robert Neureiter instruiert die Teilnehmer Zoom
Es wurde Zeit für die Praxis: Bevor es losging musste die Box eingerichtet und bei der Fahrerbesprechung aufmerksam zugehört werden. Die verschiedenen Flaggensignale sollte ein Motorsport-Journalist kennen, das korrekte Verhalten auf der Strecke musste vor dem ersten Stint aber noch verinnerlicht werden. Kurz nach der Fahrerbesprechung lief die Ducati warm und dehnte die Muskeln für das Kennenlernen mit dem Lausitzring.
Ich stieg in meine Lederkombi, setzte den Helm auf und zog mir die Handschuhe über. Der Puls stieg an. In der Boxengasse war es extrem laut, doch ich hörte nur das markante Bollern des vor mir laufenden Zweizylinders und das Rasseln der Trockenkupplung. Ich schwang das rechte Bein über den Höcker der Ducati. Die Position auf dem Motorrad hatte ich am Vorabend auf meine Größe angepasst, damit es bei Tempo 250 keine bösen Überraschungen gibt.
Theorie trifft Praxis

© Andy Glänzel
Erkennbare Fortschritte: Die Rundenzeiten werden von Training zu Training besser Zoom
Nach dem Verlassen der Boxengasse fiel mir auf, dass der Kurs deutlich welliger ist als beim Abfahren mit dem Fahrrad ab Vortag. Ich redete mir ein, dass ich den Federelementen und den Reifen vertrauen muss, während ich immer mehr Schräglage fuhr. Auf die Hilfe eines Instruktors verzichtete ich. Das ließ meine Ehre nicht zu. Die richtige Linie sollte ich als alter Theoretiker doch auch ohne Hilfe treffen.
Im ersten 20-minütigen Training wurde ich von Runde zu Runde schneller. Nach zwei oder drei Runden wusste ich, mit welchem Gang ich welche Kurve durchfahren muss. Die Bremspunkte verschob ich Runde für Runde weiter nach hinten. Umgekehrt verhielt es sich beim Beschleunigen: Bei jedem Umlauf versuchte ich, am jeweiligen Kurvenausgang etwas eher ans Gas zu gehen. Ohne Traktionskontrolle versteht sich.

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Hilfestellung zwischen den Turns: Instrukor Mario Laslavic zeigt, wo noch Zeit liegt Zoom
Insgesamt sechs Trainings standen am ersten Tag auf dem Plan. Die Rundenzeiten nach den ersten drei Sessions stimmten mich optimistisch für den Rest des Wochenendes. Theoretisch hätte ich in eine schnellere Gruppe aufsteigen und mich von den besseren Fahrern ziehen lassen können. Ich wollte meine Zeiten weiter verbessern und suchte mir Rat: Mit einem erfahrenen Instruktor ging ich die Ideallinie der Strecke ab und erhielt neue Inspiration. Ab den Nachmittags-Trainings durfte ich zudem in der schnellsten Gruppe fahren.
Es wurde zum ersten Mal ernst: Ich hatte noch drei Trainings Zeit, die perfekte Runde zu fahren, um in der Startaufstellung für das Rennen am Sonntag möglichst weit vorn zu landen. In der 750er-Klasse, in der ich mit der Ducati starten durfte, belegte ich nach den Trainings Platz vier. Das Podium war somit in Reichweite. Ich zog nach dem ersten Tag eine positive Bilanz. Es folgte ein entspannter Abend mit Grillen, lockeren Benzingesprächen und Rennstreckenweisheiten.
Gemeinsame Freude am Motorsport

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Dieter Trissler und Robert Neureiter veranstalten Jahr für Jahr etliche Events Zoom
Ich nutzte die Gelegenheit, um mich mit den Veranstaltern Robert Neureiter und Dieter Trissler zu unterhalten. Neureiter ist im Trackday-Geschäft ein alter Hase. "Ich war mit ein paar Kumpels auf der Rennstrecke und hatte sehr viel Spaß. Es kamen immer mehr Termine dazu. Ab 1999 machte ich das Ganze hauptberuflich", berichtet er mir und sagt, worauf er bei seinen Renntrainings Wert legt: "Bei uns soll der Sport im Vordergrund stehen. Uns ist wichtig, dass die Renntrainings gut organisiert sind und es fair abläuft. Der Sport steht bei uns im Fokus und nicht die Party am Abend."
Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Die Freude am Motorradsport ist auch nach mehr als 20 Jahren groß, auch wenn es immer wieder schwierige Momente gibt: "Die Unfälle sind zweifellos die negativen Erlebnisse, die man verdauen muss. Das lässt sich leider nicht vermeiden. Die Glücksgefühle nach den Rennen zählen zu den schönen Erlebnissen. Es ist toll, zu sehen, wie happy die Leute sind. Das löst Glücksgefühle aus, die für neue Motivation sorgen."
Bei Prospeed steht der Spaß am Sport im Vordergrund. Im Gegensatz zu offiziellen Meisterschaften ist das Reglement sehr freizügig: "Unsere Powerbike-Klasse hat ein Hubraumlimit von 1.000 Kubikzentimetern. Punkt. Mehr wird nicht vorgegeben. Es ist nicht festgeschrieben, ob ein Fahrer Slicks oder Straßenreifen fahren muss", erklärt Neureiter.

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Bei Prospeed werden 600er, 750er und 1.000er getrennt gewertet Zoom
Erfahrene Instruktoren helfen Neulingen bei den ersten Gehversuchen auf der Rennstrecke. "Bei Einsteigertrainings betreut ein Instruktor in der Regel fünf Teilnehmer und zeigt die Linie. Für Teilnehmer mit mehr Erfahrung empfehlen wir eine Einzelbetreuung", schildert Neureiter und fügt hinzu: "Der Instruktor holt den Fahrer auf dem individuellen Stand ab und orientiert sich an den Wünschen des Teilnehmers. Es werden die größten Defizite angegangen, um den Fahrer bei gleicher Risikobereitschaft schneller und sicherer zu machen."
Auf prominente Instruktoren verzichtet Prospeed bewusst. "Sicher ziehen wirklich gute Rennfahrer durch ihren Namen Leute an, doch meist sind diese Fahrer zu rennorientiert und können die Theorie und Praxis schlecht vermitteln", berichtet Trissler. "Sie können sehr schnell fahren, bringen die Teilnehmer aber nicht zwingend weiter."
Blauer Himmel am Renntag
Die Nacht verbrachte ich wenig luxuriös auf brandenburgischem Asphalt in meinem Wurfzelt - kein Vergleich zu den Motorhomes von Valentino Rossi und Co. Am Morgen des Renntags schaute ich gut erholt und voller Tatendrang aus meinem Zelt und erblickte einen wunderbaren blauen Himmel. Ich war bereit, auch wenn einige Stellen meines Körpers - vor allem die Handgelenke - vom Vortag schmerzten.

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Gesteigerter Puls: Vor dem Start des Rennens herrscht große Anspannung Zoom
Bevor das Rennen startete, standen noch drei Freie Trainings auf dem Plan. Ich tüftelte hier und da noch etwas an meiner Linie und überlegte mir eine Strategie für die ersten Kurven. Der Start des Rennens rückte näher. Die Aufregung wurde immer größer. Was bei MotoGP-Piloten hilft, musste auch bei mir helfen: Musik. Dann war es soweit. Ich rollte in die Startaufstellung und fühlte mich zu 100 Prozent lebendig.
Nach dem Erlöschen der Ampel zog ich mit den Fahrern aus meiner Startreihe Vorderrad an Vorderrad in Richtung erster Kurve. Das was ich mir vorher in meinem Kopf überlegt hatte, trat aber nicht ein. Ich versuchte, meine Position zu halten, doch außen zog eine Suzuki vorbei. In Kurve zwei verlor ich eine weitere Position und ärgerte mich unterm Helm lautstark über mein etwas zu wenig aggressives Verhalten.
Die Aufholjagd beginnt

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Erleichterung: Die Aufholjagd wird bei der Siegerehrung mit einem Pokal belohnt Zoom
Ganz ruhig. Noch war nichts verloren. Ich fand nach der enttäuschenden ersten Runde endlich meinen Rhythmus, der deutlich höher war, als der des Fahrers vor mir. Beim Bremsen machte ich etliche Meter gut, doch da ich nicht so gut aus den Kurven herauskam, war ich nicht nah genug dran, um ein Manöver zu starten. Doch in Runde drei passierte es: Ich setzte mich auf der Bremse neben die Suzuki und hatte wieder freie Sicht.
Zur Gruppe vor mir klaffte aber eine kleine Lücke. Ich motivierte mich, den Rückstand aufzuholen und fuhr schneller denn je. Der Laptimer bescheinigte mir 1:52er-Zeiten. Es dauerte nicht lange, bis ich das Hinterrad des nächsten Gegners formatfüllend vor mir hatte. Erneut startete ich am Ende der Gegengeraden auf der Bremse einen Versuch. Ich war wieder auf Kurs.

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Erste Rennstreckentermine für 2016 können bereits gebucht werden Zoom
Plötzlich rote Flaggen. Was war passiert? Ich nahm Tempo raus und sah wenige Kurven später Staub und einen Fahrer, der im Kies neben seinem Motorrad stand. Das Rennen wurde nach dem Sturz sicherheitshalber eine Runde vor Schluss beendet. Ich fuhr voller Adrenalin in die Boxengasse, wo ich freudig von Veranstalter Robert Neureiter empfangen wurde.
Er bat mich zum Interview. Ich erfuhr, dass ich das Rennen als Zweiter beendet hatte. Die Anspannung fiel ab und wich großer Freude. Zugegeben, es war ein seltsames Gefühl, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen. Im Adrenalinrausch berichtete ich von einem schlechten Start und einigen aufregenden Überholmanövern. Ich schwitzte, die Handgelenke schmerzten, doch ich war glücklich. Dieses Wochenende wird in Erinnerung bleiben. Freudig verließ ich den Lausitzring und bin mir sicher, im Sommer 2016 wiederzukommen. Der Terminkalender von Prospeed wurde passend zum Jahreswechsel veröffentlicht...
Ich wünsche allen Motorrad-Fans eine spannende Saison 2016. Wagen Sie doch auch einmal den Selbstversuch!


