Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Lin Jarvis (Yamaha)

Yamaha verliert das Satellitenteam an die Konkurrenz und nur Fabio Quartararo erzielt Ergebnisse - Yamaha-Teamdirektor Lin Jarvis steht vor großen Problemen

Liebe MotoGP-Fans,

Titel-Bild zur News: Lin Jarvis

Lin Jarvis ist "not amused", dass RNF Yamaha verlässt und zu Aprilia wechselt Zoom

nach dem Grand Prix von Italien hat Fabio Quartararo seinen zweiten Platz hinter Francesco Bagnaia als das vielleicht "beste Rennen" seiner Karriere bezeichnet. Dass er in Mugello im direkten Kampf mit der Ducati-Armada so bestehen könnte, war nicht zu erwarten gewesen.

Auch Yamaha-Teamdirektor Lin Jarvis bezeichnete diesen zweiten Platz in einer ersten Reaktion "wie einen Sieg", denn abgesehen von Quartararo waren die Ergebnisse der restlichen Yamaha-Fahrer bescheiden, um es freundlich auszudrücken.

Dass Franco Morbidelli und Andrea Dovizioso bei ihrem Heimrennen keinen WM-Punkt sammeln, ist eigentlich indiskutabel. Es zeigt aber, in welcher Situation Yamaha derzeit steckt. Und das betrifft nicht nur die reinen Ergebnisse, denn Yamaha verliert auch das Satellitenteam.

Deshalb hat in unserer traditionellen Montagskolumne heute Lin Jarvis im übertragenen Sinn schlecht geschlafen. Denn als Manager des Yamaha-Projekts steht der Brite vor großen Herausforderungen für die Zukunft.

Wechsel von Yamaha zu Aprilia der logische Schritt

Freitagvormittag wurde bekannt, dass sich RNF mit Aprilia geeinigt hat und in den nächsten beiden Jahren das Satellitenteam der italienischen Marke bilden wird. Als diese Mitteilung verschickt wurde, soll sich Jarvis gerade in einem Meeting mit Razlan Razali befunden haben.

Massimo Rivola; Razlan Razali

Aprilia-Motorsportchef Massimo Rivola mit RNF-Teamchef Razlan Razali Zoom

Er soll von dieser Ankündigung überrascht und "not amused" gewesen sein, wie die Briten das ausdrücken. Für das Gesamtprojekt gesehen ist das für Yamaha natürlich ein Rückschlag. Nachdem man Tech 3 an KTM verloren hat, verliert man nun auch RNF an die Konkurrenz.

Aus Sicht von Razali kann ich diesen Schritt sehr gut nachvollziehen. Man hat sich von Beginn an als Juniorteam eines Werksteams gesehen. Mit Quartararo und Morbidelli hat man das perfekt umgesetzt und größere Erfolge als erwartet gefeiert.

Juniorteam mit den "Oldies" Rossi und Dovizioso

Es war natürlich ein logischer Schritt, dass schlussendlich beide im Werksteam gelandet sind. Hinter den Kulissen hat die Zusammenarbeit aber schon länger Risse bekommen. Für 2021 hat man den "alten" Valentino Rossi von Yamaha aufs Auge gedrückt bekommen.

Klar war es natürlich eine Ehre, den Superstar im Team zu haben. Aber in Bezug auf die Ergebnisse war es ein Reinfall. Und selbst wenn man im Vorjahr mehr Teamshirts von Rossi verkaufen konnte, so hat es Petronas nicht davon abgehalten, sich als Sponsor zurückzuziehen.

Andrea Dovizioso

Andrea Dovizioso ist so wie Valentino Rossi weit hinter der Spitze Zoom

Anschließend hat Razali von Yamaha den "alten" Dovizioso aufs Auge gedrückt bekommen. Auch seine Ergebnisse sind mehr als enttäuschend. Und bin mir sicher, dass sich seine Teamshirts noch schlechter verkaufen.

Deshalb ist es aus meiner Sicht nur logisch, dass Razali zu Aprilia wechselt. Dieses Projekt ist im Aufwind und die Euphorie ist überall spürbar. Es wird im nächsten Jahr interessant werden zu sehen, wie vielversprechende Talente (Celestino Vietti?) mit der RS-GP zurechtkommen.

Yamaha hat keinen Platz für junge Talente

Und was bedeutet das für Yamaha? Das Satellitenteam hat zwei Aufgaben. Erstens werden mehr Daten gesammelt, die für die Ingenieure wichtig sind. Zweitens hat man einen Platz für junge Talente. Da beide Aspekte wegbrechen, ist das ein Rückschlag für das Yamaha-Projekt.

Seit diesem Jahr finanziert Yamaha zwar in Zusammenarbeit mit VR46 ein Moto2-Team. Aber Keminth Kubo und Manuel Gonzalez haben bisher noch nicht überzeugen können. Aber selbst wenn, Yamaha könnte in Zukunft einen Nachwuchsfahrer nur direkt ins Werksteam holen.

Manuel Gonzalez

Yamaha finanziert seit diesem Jahr ein Moto2-Team Zoom

Aber Jarvis war nie jemand, der dieses Risiko gerne eingegangen ist. Jorge Lorenzo war im Jahr 2008 der letzte Rookie, den das Yamaha-Team verpflichtet hat. Seither mussten die anderen Neulinge zunächst im Satellitenteam lernen oder wurden von der Konkurrenz verpflichtet.

Mugello war aus dieser Hinsicht ein weiteres schwieriges Wochenende für Jarvis mit schlaflosen Nächten. Seit Saisonbeginn wird darüber diskutiert, ob Quartararo den Vertrag verlängern will. Hinter den Kulissen soll man sich prinzipiell einig sein.

Yamaha komplett von Quartararo abhängig

Für Jarvis ist es extrem wichtig, den amtierenden Weltmeister zu halten und zufrieden zu stellen. Ohne Quartararo ist Yamaha im Nirgendwo. Honda ist ein mahnendes Beispiel. Seit den Verletzungen von Marc Marquez steckt der erfolgsverwöhnte Rennstall in Schwierigkeiten.

Fabio Quartararo

Nur Fabio Quartararo holt mit der Yamaha Spitzenergebnisse Zoom

Yamaha ist derzeit komplett von Quartararo abhängig. Das zeigt auch der Blick auf die WM-Wertung. Er hat alle 122 Punkte für die Konstrukteurswertung gesammelt. Yamaha ist nach acht Rennen Zweiter, aber das verzerrt meiner Meinung nach die Realität.

Sollte Quartararo aus welchen Gründen auch immer länger pausieren müssen, dann würde Yamaha richtig in der Bredouille stecken. Denn die Leistungen von Morbidelli und Dovizioso sind indiskutabel. Moto3-Aufsteiger Darryn Binder macht seine Sache recht gut, finde ich.

Yamaha Japan muss das MotoGP-Projekt neu aufstellen

Mit dem Ausstieg von Suzuki und dem Wegfall des Yamaha-Satellitenteams wird es im nächsten Jahr nur noch sechs japanische Motorräder (4x Honda, 2x Yamaha) in der Startaufstellung geben. Und nur Yamaha tritt dann noch mit einem Reihenvierzylinder an.

In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir bei den Fahrern einen Generationenwechsel erlebt. Nun sehen wir bei den Herstellern die Zeitenwende. Die Dominanz der Japaner geht zu Ende, während die europäischen Marken die Herrschaft übernehmen.

Takahiro Sumi

Takahiro Sumi leitet die technische Entwicklung bei Yamaha Zoom

Yamaha steckt in einer ähnlichen Situation wie Honda. Beide sind von einem Fahrer abhängig und beide Motorräder sind nicht mehr derart konkurrenzfähig beziehungsweise dominant wie noch vor wenigen Jahren.

Honda hat mit der von Grund auf neu entwickelten RC213V einen Neustart in Angriff genommen. Ich finde, Yamaha Japan müsste sich auch überlegen, wie man das gesamte Projekt für die Zukunft neu aufstellt - auch technisch gesehen.

Wir dürfen auch nicht vergessen: Quartararo kam fast "wie ein Geschenk des Himmel" zu Yamaha. Denn wenn Wilco Zeelenberg und Razali dem nicht besonders erfolgreichen Moto2-Fahrer keine Chance gegeben hätten, dann sähe die Yamaha-Realität derzeit wohl tatsächlich trostlos aus.

Sportliche Grüße,


Gerald Dirnbeck

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