Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Erster Rückschlag im WM-Kampf: Maverick Vinales verpasst in Austin eine wichtige Chance und verliert die WM-Führung - Erinnerungen an die MotoGP-Saison 2008

Titel-Bild zur News: Maverick Vinales

Maverick Vinales: Wie stark beeinflusst der Austin-Sturz die Herangehensweise? Zoom

Liebe Leser,

der Grand Prix auf dem Circuit of the Americas hielt auch in seiner fünften Auflage einige Überraschungen und Kontroversen bereit. Schauen wir kurz zurück auf die Ereignisse der vergangenen Jahre: 2013 war es Rookie Marc Marquez, der für Schlagzeilen sorgte, als er bei seinem zweiten MotoGP-Rennen die versammelte Konkurrenz hinter sich ließ und Geschichte schrieb. Ein Jahr später wunderte sich die MotoGP-Welt über den groben Frühstart von Jorge Lorenzo. 2015 war es erneut Marquez, der bereits im Qualifying für Aufregung sorgte, als er nach einem technischen Defekt mit dem Einsatzmotorrad zurück zur Honda-Box sprintete, um sich mit einer riskanten Runde in letzter Sekunde souverän die Pole-Position zu holen. Und im vergangenen Jahr überraschte uns Valentino Rossi bereits in der dritten Runde mit einem ungewohnten Fehler, der rückblickend ein Ausblick auf den holprigen Saisonverlauf des Italieners war.

Und in diesem Jahr? Der fünfte Marquez-Sieg in Austin - es war der mittlerweile sein neunter USA-Sieg in Folge - dürfte niemanden wirklich überrascht haben, schon eher die aggressive Fahrweise von Rookie Johann Zarco, der um ein Haar den Zorn der Yamaha-Oberen auf sich gezogen hätte, als er Werkspilot Valentino Rossi von der Linie rempelte. In der Moto2 brachte Zarco vor zwei Jahren Xavier Simeon in den schnellen Wechselkurven zu Sturz. Wäre Rossi ausgefallen, hätte Yamaha in der WM-Wertung viel Boden auf Honda verloren, denn das Rennen des bisherigen Führenden, Maverick Vinales, war zeitig vorbei. Der junge Spanier, der in Katar und Argentinien gewann, dürfte nach dem überraschenden Aus in Austin nicht besonders gut geschlafen haben, vermute ich.

Aus Souveränität wird Hektik

Nach den fehlerfreien Vorstellungen bei den beiden bisherigen Rennen wirkte Vinales in Austin etwas ungeduldig. Beim Start verlor der Spanier einige Positionen, kämpfte sich aber bereits in der ersten Runde wieder auf Position vier vor und sah das Hinterrad von Teamkollege Rossi. Bereits im Qualifying lief Vinales auf Rossi auf und zeigte die ersten Anzeichen von Ungeduld, Hektik und Nervosität. Yamaha-Rennleiter Lin Jarvis erklärte bei den Testfahrten im Winter stolz, wie abgeklärt und gelassen Neuzugang Vinales mit allem umgeht. Bröckelte Vinales' Fassade in Texas?

In Runde zwei folgte er, der erste grobe Rückschlag im WM-Kampf 2017. Bei der Verfolgung von Dani Pedrosa, Marc Marquez und Valentino Rossi verlor Vinales die Kontrolle über seine voll getankte Yamaha M1 und rutschte über das Vorderrad von der Strecke. Nach der Kontrolle der Daten machte er Michelin für den Ausrutscher verantwortlich. Das Motorrad hätte sich mit den Medium-Reifen nicht so angefühlt wie im Warm-up. Doch das ist meiner Meinung nach genau der Punkt: Ein abgeklärter Weltmeister hätte sich darauf eingestellt, im Zweifel 13 Punkte für Platz vier gesammelt und wäre als WM-Leader zum ersten Heimrennen der Saison nach Jerez gereist.

Maverick Vinales, Valentino Rossi

Wie lange herrscht noch Harmonie zwischen Vinales und Rossi? Zoom

Doch Vinales wollte Marquez auf dessen Paradestrecke besiegen. Er wollte ihn in seinem Revier demütigen. Noch nie stand Marquez in Austin so stark unter Druck. In den Trainings deutete alles auf einen spanischen Zweikampf an der Spitze hin. Dass Vinales im Rennen ausgerechnet das Heck von Rossis M1 formatfüllend vor sich hatte, dürfte nach dem hitzigen Zwischenfall im Q2 für Aufregung und Nervosität gesorgt haben. Fauler Vorderreifen hin oder her, Vinales' Sturz war ein klarer Fahrfehler und erinnerte mich verdächtig an die MotoGP-Saison 2008.

Wie Jorge Lorenzo 2008?

Damals zog Vorgänger Jorge Lorenzo die Aufmerksamkeit auf sich, als er nach seinem Wechsel zu Yamaha die Kräfteverhältnisse in der MotoGP auf den Kopf stellte. Der damals 21-Jährige schien keinen allzu großen Respekt vor der M1 zu haben und ließ den großen Valentino Rossi bereits beim Debüt in Katar alt aussehen. Beim dritten Rennen der Saison sicherte sich Lorenzo in Estoril seinen ersten Sieg. Rossi war mit zwölf Sekunden Rückstand klar geschlagen. Doch im späteren Saisonverlauf biss die aggressive 800er-Yamaha zu und forderte sich den Respekt auf schmerzhafte Art und Weise ein. Rossi gelang dank seiner Erfahrung und Gelassenheit der achte WM-Titel, während Lorenzo Stammgast im Medical Center war und die Saison als WM-Vierter abschloss.

Jorge Lorenzo

2008: Jorge Lorenzos Saison entwickelte sich von einem Märchen zum Albtraum Zoom

Sicher sollte man den Sturz von Austin nicht überbewerten, doch die Parallelen zu 2008 sind in meinen Augen deutlich. Seit der Ankunft bei Yamaha war Vinales auf Angriff eingestellt. Die Bestzeiten bei den Tests sprachen eine klare Sprache. Der teilweise riesige Vorsprung auf Teamkollege Rossi sorgte nicht nur bei Yamaha für verdutzte Gesichter. Doch mit zwei zweiten und einem dritten Platz erlebte Rossi einen starken Start in die neue Saison und reist nun als WM-Leader zu der Strecke, auf der er schon neun Grand-Prix-Siege feiern konnte.

Sollte es tatsächlich zu einem Yamaha-internen Duell um den Titel kommen, dann steht Vinales ein harter Kampf bevor, denn im direkten Duell bedient sich Rossi aller Mittel und hat stets eine Überraschung parat. Die WM-Führung dürfte dem 38-Jährigen noch einmal einen Schub verliehen haben, während Vinales erst einmal einen Dämpfer verarbeiten muss.


Fotos: Yamaha, MotoGP in Austin


Marc Marquez meldet sich in der WM zurück

Und Rossi ist nicht das einzige Problem von Vinales. Marquez tankte durch den Triumph in Texas ebenfalls neue Kraft und machte den Fehler von Argentinien vergessen. Der Rückstand schrumpfte von 37 auf zwölf Punkte. Besonders ärgerlich für Vinales: Aktuell hadert Honda mit der Entwicklung der Maschine. Im Saisonverlauf dürfte die RC213V deutlich näher an die Yamaha M1 herankommen. Deshalb müsste sich Vinales genau in dieser Phase der Saison einen Vorteil erarbeiten, denn im Vorjahr konnte Yamaha mit Ausnahme des Saisonfinales kein einziges Rennen in der zweiten Saisonhälfte gewinnen.

In Jerez wird sich zeigen, welche Wirkung der Rückschlag auf Vinales' Selbstvertrauen hat. Trumpft der 22-Jährige beim vierten Rennwochenende in gewohnter Manier auf oder lässt er es ruhiger und bedachter angehen? Und wie verarbeitet Vinales den Fakt, dass Teamkollege Rossi die WM anführt und die Aufmerksamkeit an sich zieht, obwohl er bei den Tests und Trainings deutlich langsamer war?

Marc Marquez

Sieg Nummer fünf: Weltmeister Marc Marquez ist und bleibt der Chef in Austin Zoom

Diese vielen offenen Fragen steigern die Vorfreude auf den Europaauftakt in Jerez umso mehr. Katar, Argentinien und Texas haben für spektakuläre Rennen gesorgt, doch so richtig aussagekräftig wird es erst, wenn auf europäischem Boden gefahren wird. Dann wird sicher auch irgendwann die Frage geklärt, wie gut Vinales mit der Yamaha auf nasser Strecke zurechtkommt. In den vergangenen Jahren tat sich der Spanier schwer, doch die Suzuki zählte im Regen auch nicht zu den besten Maschinen. Ich bin gespannt, ob weitere Parallelen zum Vorgänger ersichtlich werden oder ob Vinales sein Talent auch bei schwierigen Bedingungen beweisen kann.

Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:

Luigi Dall'Igna (Ducati): In den vergangenen Jahren war Ducati in Austin stets für ein Podium gut, doch bei der diesjährigen Auflage war der Rückstand zu Honda und Yamaha deutlich größer. Weder Andrea Dovizioso noch Jorge Lorenzo konnten mit der Desmosedici das Tempo der Führungsgruppe mitgehen und verpassten die Top 5. In der WM-Wertung wird die Lücke immer größer und als nächstes steht Jerez auf dem Programm, eine der Angststrecken der Ducati-Fahrer. Die Fans von Jorge Lorenzo müssen weiter geduldig sein. In Austin war der Zwölf-Millionen-Euro-Mann nur drittschnellster Ducati-Pilot und musste sich in der Schlussphase Danilo Petrucci geschlagen geben.

Aleix Espargaro: Ein Wochenende zum vergessen. Die Anfangseuphorie vom Top-6-Finish in Katar verblasste in Argentinien und Texas. Aleix Espargaro kämpfte bereits in den Trainings und im Qualifying mit seiner Aprilia und erlebte etliche Rückschläge. Im Qualifying gelang dem Spanier keine gezeitete Runde und das Rennen war nach dem Start von der letzten Position bereits nach zwei Umläufen vorbei. Teamkollege Sam Lowes komplettierte den Aprilia-Totalausfall. Mut macht nur der Blick zum nächsten Rennwochenende. Der winklige Kurs in Jerez dürfte der Aprilia deutlich besser liegen.

Aron Canet: Nach den Bestzeiten in den Freien Trainings sicherte sich Honda-Pilot Aron Canet im Qualifying mit einer Sekunde Vorsprung souverän die Pole-Position und ging als klarer Favorit ins Moto3-Rennen. Alle rechneten damit, dass Canet dem Feld enteilt und wie Danny Kent vor zwei Jahren dominant zum Sieg fährt. Und das passierte dann auch. Im Rennen führte er das Feld vom Start weg an, bis Markenkollege Kaito Toba für einen Abbruch sorgte. Nach dem Neustart ließ sich Canet von Romano Fenatis Angriffen aus der Ruhe bringen und machte in Runde vier einen schweren Fehler. Null Punkte für den bis dahin dominanten Fahrer des dritten Rennwochenendes.

Ihr


Sebastian Fränzschky