"Uccio"-Interview, Teil 2: Valentino Rossis "Robin", der mit eigenen Flügeln fliegt

VR46-Teamchef Alessio "Uccio" Salucci im Interview über Vergangenheit, Entscheidungen mit dem Herzen, Freundschaft mit Rossi und den Akademie-Fahrern

(Motorsport-Total.com) - Zwischen Vergangenheit und Gegenwart zieht sich die Freundschaft wie ein roter Faden durch die Verbindung zwischen Alessio Salucci und Valentino Rossi. Salucci, besser bekannt als "Uccio", war während seiner gesamten Karriere die rechte Hand von Rossi, sein Schatten, sein Schutzengel. Heute schreibt er seine eigene Geschichte.

Titel-Bild zur News: Alessio "Uccio" Salucci

Alessio "Uccio" Salucci hat VR46 zum Siegerteam gemacht (Foto: 2023) Zoom

Als Teamchef des VR46-Rennstalls tritt "Uccio" das wichtige Erbe von "The Doctor" an. In seinem neuen Leben auf vier Rädern beobachtet Rossi das Wachstum seines Zweirad-Projekts, welches nun von seinem Kumpel weitergeführt wird, mit Interesse.

Die Vergangenheit, die Entscheidungen mit dem Herzen, die Freundschaft: Über all das spricht "Uccio" in Teil 2 des Interviews für die italienischsprachige Ausgabe von Motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network.

Frage: "'Uccio', im vergangenen Jahr entschied sich Marco Bezzecchi, beim VR46-Team zu bleiben. In diesem Jahr nun hat er sich anders entschieden und wagt für die Zukunft den Sprung in ein Werksteam. Kann ihm das helfen, einen klaren Kopf zu bewahren und sich auf Fortschritte zu konzentrieren, da seine Zukunft jetzt geklärt ist?"

Alessio Salucci: "Voriges Jahr waren wir beständig und er hat sich für uns entschieden. Er hat uns einem anderen Satellitenteam vorgezogen. Wir sind hier, um die Fahrer der Akademie in die Werksteams zu bringen, aber auch, um zu gewinnen."

"Wir sind hier, um gute Saisons zu haben und denjenigen Leuten, die in dieses Projekt investieren, einen Gegenwert zu bieten. Jetzt, da er ein Angebot von einem echten Werksteam erhalten hat, freue ich mich für ihn und denke, dass er die richtige Wahl getroffen hat."

Frage: "Was an Marco Bezzecchi werden Sie am meisten vermissen?"

Salucci: "Ich werde ihn sehr vermissen! Ich kenne Marco, seit er klein war. Ich werde seine Liebe für dieses Projekt vermissen. Es gibt nicht viele Fahrer, die so anhänglich sind. Wir werden ihn vermissen, wenn er am Morgen nicht mehr lachend und scherzend in die Fabrik kommt."

"Vielleicht wird ihn das Team noch mehr vermissen als ich, weil ich ihn zu Hause sehen kann. Ich habe ihm gesagt, dass wir, was auch immer passiert, für ihn da sein werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch ein Leben abseits der Rennstrecken gibt. Ich habe ihn sehr gern."

Alessio

Marco Bezzecchi, hier mit "Uccio" und Pablo Nieto, verlässt das VR46-Team Zoom

Frage: "Unabhängig von den Fahrern haben wir in den vergangenen Jahren ein Wachstum des Teams gesehen, nicht nur in technischer Hinsicht. Es scheint, dass Sie dem Team das zurückgeben, was Sie und Valentino so viele Jahre lang waren?"

Salucci: "Ich denke, das ist genau richtig. Aber wir machen das nicht mit Absicht, wir sind einfach so. Wenn wir Manager sein wollten, würden wir uns verlaufen. Wir sind nicht in der Lage, etwas anderes zu tun als das, was wir jetzt tun, nämlich die Fahrer ständig in den Mittelpunkt zu stellen."

"Manchmal machen wir das sogar zu sehr, das ist mir klar. Aber wenn ich es wie die anderen machen wollen würde, dann würde ich Hagelschaden anrichten! Wir betreiben den Rennsport nicht aus geschäftlichen Gründen, auch wenn die Bilanz stimmen muss. Aber wir machen diese Dinge aus Leidenschaft. Niemand hat von Valentino verlangt, ein Team aufzubauen."

Frage: "Als Valentino Rossi vor zehn Jahren die Idee hatte, die Akademie zu gründen, hätten Sie sich da jemals vorstellen können, in der MotoGP-Klasse anzutreten und im vergangenen Jahr sogar mit Bezzecchi um den WM-Titel zu kämpfen?"

Salucci: "Wir haben das niemals erwartet. Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich es erwartet hätte, dann würde ich lügen. Wir wussten, dass wir Jungs haben, die schnell fahren können. Wir wussten, dass wir dank 'Vale' viel Erfahrung haben, die wir ihnen zur Verfügung stellen können."

"Aber von da an um den WM-Titel zu kämpfen oder MotoGP-Werkspiloten hervorgebracht zu haben... Wir sind sehr glücklich und wir hoffen einfach, dass die Jungs ebenfalls glücklich sind."

Alessio

Alessio "Uccio" Salucci im Gespräch mit Lorenza D'Adderio Zoom

Frage: "Sie sind ein sehr emotionaler Mensch, der über Talent und Technik hinausgehend auch die menschliche Seite betrachtet. Die Trennung von Marco Bezzecchi wird sicherlich eine Rolle gespielt haben, ebenso wie die von Luca Marini im vergangenen Jahr. Aber Sie haben ja schon vor ein paar Jahren eine große Trennung erlebt, als Valentino Rossi mit dem aktiven Motorradrennsport aufgehört hat, nicht wahr?"

Salucci: "Ich will aus meinem Herzen keine Mördergrube machen: Als 'Vale' sein letztes Rennen fuhr, das war sehr emotional. Er gab mir dann etwas Zeit, um zu entscheiden, ob ich mit ihm weitermachen und zu den Autos wechseln wolle oder ob ich dieses Projekt hier fortführen wolle."

"Ich habe mir die Zeit genommen, um darüber nachzudenken. Irgendwann habe ich ihm gesagt, dass ich hier weitermachen möchte, weil eine wunderbare Sache von uns beiden ist. Es war eine Entscheidung aus dem Herzen heraus, so bin ich eben."

"2022 war dann wirklich schwierig. 'Vale' fehlte mir, ich war ja bis dahin immer mit ihm unterwegs gewesen! Aber wenn man dann sieht, was wir alles geschafft haben, erfüllt es das Herz. Wir haben es gut hinbekommen, vor allem auf freundschaftlicher Ebene, sodass wir uns sogar noch mehr gesehen haben als vorher. Wenn ich jetzt sehe, wie sehr er sich in dieses Projekt einbringt, gefällt mir das sehr. Wenn ich zurückgehen müsste, würde ich es wieder so tun!"

"Was die Fahrer betrifft, müssen wir den Schritt machen. Das Projekt sieht vor, sie hier zu Siegern zu machen. Wenn wir das geschafft haben, ist mein Ziel erreicht. Von außen sieht es vielleicht so aus, als gäbe es dann eine Kluft, aber abseits der Rennstrecke sehe ich sie jeden Tag. Die Beziehung geht weiter."

Valentino Rossi, Alessio

Besitzer und Chef des VR46-Teams: Valentino Rossi und "Uccio" Zoom

Frage: "Um auf Ihre Entscheidung zurückzukommen: Die Tatsache, dieses MotoGP-Projekt weiterzuführen und die Jungs aus der Akademie weiter zu verfolgen, wie viel persönliches Wachstum bedeutet das für Sie? Ich meine, Sie sind einst mit 'Vale' angekommen, als ihr beide noch Kinder wart. Ihr seid zusammen aufgewachsen und Sie waren gewissermaßen sein Schutzengel. Jetzt sind Sie 'Uccio', auch ohne Valentino. Sehen Sie das als eine Art Rache und als Antwort auf die Kritiker?"

Salucci: "Als 'Vale' und ich hier in diesem Fahrerlager ankamen, waren wir zwei Ausreißer, das ging gar nicht! (lacht; Anm. d. Red.). Aber wir haben das Abenteuer gewagt und es ist ganz gut gelaufen! Eine Art Rache? Nein, darüber habe ich nie nachgedacht. Wenn ich an die denken müsste, die schlecht über mich geredet haben, hätte ich mich schon als 20-Jähriger aufhängen sollen! Die haben mich die ganze Zeit über niedergemacht."

"Aber dann kommt zum Glück der Punkt, an dem du erwachsen wirst. Mein Vater sagt mir immer, wenn du in den Spiegel schaust und ruhig schlafen gehen kannst, dann hast du deine Aufgabe erfüllt! Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich diesem Projekt, das ich 2014 begonnen habe, so viel geben kann und dass ich es weiterführen möchte."

"Jetzt bin ich froh, dass mich viele Leute erkennen und ich nicht mehr nur "der Kumpel von 'Vale'" bin, sondern die Verantwortung für das MotoGP-Projekt habe. Aber nicht, weil ich nicht mehr der Kumpel von 'Vale' sein will, sondern weil ich auch von außen die großartige Arbeit erkennen kann, die wir machen."

Frage: "Also ein bisschen wie im Lied von Cesare Cremonini mit dem Titel: Nessuno vuole essere Robin (Niemand will Robin sein; Anm. d. Red.)."

Salucci: "Der große Cesare! Tatsächlich hat er mir gesagt, dass er beim Schreiben dieses Lieds an mich gedacht hat! Er hat mir gesagt, dass ich es war, der ihm beim Schreiben von zwei oder drei Passagen in den Sinn kam. Es steckt also ein bisschen von uns in diesem Lied."

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