"Nicht richtig, einfach auszusteigen": MotoGP-Kollegen kritisieren Jorge Martin

Von Francesco Bagnaia angefangen sorgt Jorge Martins Absicht, Aprilia zu verlassen, auf Unverständnis - Maverick Vinales erinnert an seinen Bruch mit Yamaha

(Motorsport-Total.com) - Obwohl Jorge Martin an diesem Wochenende nicht in Silverstone weilt, war der verletzte Weltmeister am Medientag das große Gesprächsthema im MotoGP-Fahrerlager. Aprilia veröffentlichte ein Statement, wonach der geschlossene Vertrag bis Ende 2026 bindend ist.

Titel-Bild zur News: Jorge Martin

Eines der wenigen Fahrbilder: Jorge Martin beim Training in Doha Zoom

Die Nachricht, dass Martin dennoch die Absicht hat, Aprilia nach dieser Saison zu verlassen, sorgte für einige Verwunderung. "Wenn man einen Vertrag unterschreibt, dann muss man ihn respektieren", findet Francesco Bagnaia. "Es ist nicht richtig, einfach auszusteigen."

"Denn wenn man einen Vertrag hat, muss man ihn auch erfüllen. Man kann ihn nicht einfach kündigen. Meiner Meinung nach: Wenn man über etwas spricht und etwas unterschreibt, dann muss man das respektieren."

"Es könnte ein Problem werden, wenn jemand beginnt, ein solches Chaos zu verursachen, wie es hier der Fall ist oder zu werden droht." Der Ducati-Fahrer findet die Entscheidung von Martin im Vorjahr prinzipiell richtig, zu Aprilia gewechselt zu sein.

Zum aktuellen Aufruhr meint Bagnaia auch: "Wir leben in einer Zeit, in der sehr viel spekuliert wird - vor allem in den sozialen Medien. Und das ist, denke ich, ein großes Problem. Denn es ist schwer zu erkennen, was wahr und was falsch ist."

"Deshalb denke ich, Aprilia hat den richtigen Schritt gemacht. Es ist wie in einer Ehe. Wenn du dich entscheidest, diesen Weg zu gehen, dann musst du alles tun, um dein Leben glücklich zu machen. Es ist nicht richtig, einfach auszusteigen."

Francesco Bagnaia

Francesco Bagnaia empfindet Vertragsbruch nicht für richtig Zoom

Auch Fabio Quartararo schätzt die Situation ähnlich wie Bagnaia ein. "Ich glaube", sagt der Franzose, "Jorge erlebt gerade den schwierigsten Moment seiner Karriere. Und da kann man verstehen, dass man manchmal verrückte Gedanken hat."

"Wenn man mental so sehr unter Verletzungen leidet, können einem viele Dinge durch den Kopf gehen. Jorge ist Weltmeister, und er hatte die Möglichkeit, fast zu jedem Team zu gehen, das er wollte - und er hat sich für Aprilia entschieden."

"Jetzt ist es seine Entscheidung, was man gemeinsam mit Aprilia daraus macht. Er hat einen Vertrag unterschrieben. Ich finde es fair, ihn zu erfüllen, auch wenn noch kein Rennen gefahren wurde", schlägt Quartararo in die gleiche Kerbe wie Bagnaia.

Marco Bezzecchi lobt die Arbeit von Aprilia

Abgesehen von diesem Statement äußert sich Aprilia in Silverstone nicht weiter zu Martin. Er soll sich auf eine Ausstiegsklausel berufen, wonach er bei Nichterreichen einer bestimmten WM-Position nach Le Mans aus dem Vertrag aussteigen kann.

Teamkollege Marco Bezzecchi durfte nicht explizit zu Martin befragt werden, äußert sich aber bezüglich der Arbeit des Teams mit lobenden Worten: "Das Werk arbeitet wirklich sehr gut. Sie stecken viel Einsatz in alles, was sie tun."

Marco Bezzecchi

Marco Bezzecchi tauchte in Silverstone mit kürzerer Frisur auf Zoom

"Ehrlich gesagt bin ich sehr stolz darauf, Aprilia-Fahrer zu sein. Die Unterstützung, die ich bekomme, ist immer fantastisch. Deshalb: ein großes Kompliment an sie - der Einsatz ist wirklich großartig. Jetzt ist der Moment gekommen, um zu versuchen, etwas zurückzugeben."

Im Hintergrund wird Martin bereits mit Honda in Verbindung gebracht. Sein Kumpel Aleix Espargaro dementierte allerdings, dass er Martin dazu bewegen möchte, ebenfalls zu Honda zu wechseln. Er möchte, dass Martin als sein Nachfolger Rennen für Aprilia gewinnt.

Honda: Luca Marini verhandelt über Verlängerung

Da Joan Mir einen Honda-Vertrag bis Ende 2026 besitzt, würde es theoretisch um den Platz von Luca Marini gehen, dessen Vertrag mit Saisonende ausläuft. Der Italiener bestätigt in Silverstone erneut, dass er sich bereits mit Honda in Gesprächen über die Zukunft befindet.

"Ich habe schon vor ein paar Rennen gesagt, dass wir über die Vertragsverlängerung sprechen", betont Marini. "Also, ich würde sagen, alles ist unter Kontrolle. Wir wollen beide das Beste für uns - und damit bin ich ziemlich zufrieden."

"Mal sehen, was in den nächsten Wochen oder Monaten passiert. Ich hoffe, so bald wie möglich. Denn wir haben im Gegensatz zum Fußball kein festes Transferfenster." Letztendlich liegt die Entscheidung bei Honda, wer im nächsten Jahr der Teamkollege von Mir sein wird.

Luca Marini

Luca Marini will seinen Vertrag mit Honda verlängern Zoom

Ist diese Ungewissheit eine Ablenkung für Marini? "Ja, auf jeden Fall. Es ist nicht einfach, so etwas zu managen. Aber man lernt, mit solchen Situationen umzugehen. Immer wenn man am Ende eines Vertrags steht, versucht man, ihn zu verlängern oder etwas zu verändern - je nach Situation."

"Und natürlich möchte man, dass das so schnell wie möglich abgeschlossen ist. Es geht schließlich um dein Leben. Es ist nicht nur der Sport an sich, ein Fahrer zu sein - da hängt vieles dran. Es ist ein Beruf. Deshalb kann es passieren, dass man manchmal abgelenkt ist."

"Aber auf keinen Fall, wenn man auf der Strecke ist", sagt Marini. "Denn wir sind so aufgewachsen, dass wir viele Dinge gelernt haben - und eines davon ist, sich in dem Moment zu fokussieren, in dem man das Visier schließt. Dann ist der Rest der Welt draußen."

Ai Ogura

Ai Ogura hat einen Vertrag mit Trackhouse, nicht mit Aprilia Zoom

Sollte tatsächlich im nächsten Jahr bei Aprilia ein Platz frei sein, wäre Rookie Ai Ogura dafür ein Kandidat? "Ich? Ich glaube nicht", winkt der Japaner ab. "Da müsste man jemand anderen fragen - ich bin womöglich die falsche Person dafür. Aber ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal."

"Wenn es passiert, wäre ich sehr glücklich. Aber im Moment bin ich wirklich glücklich bei Trackhouse." Ogura hat einen Vertrag mit dem US-Team Trackhouse und nicht mit Aprilia direkt. Diesbezüglich müsste im Fall der Fälle ebenfalls verhandelt werden.

Vinales: "Wünschte, Yamaha hätte es so mit mir gemacht"

Derzeit ist weiterhin ungewiss, wann Martin genesen und fit ist, um wieder Rennen fahren zu können. Sollte das Band zwischen ihm und Aprilia durchtrennt sein oder es in einen Rechtsstreit münden, wie kann man dann gemeinsam die Saison zu Ende fahren?

Im Sommer 2021 kam es zum Bruch zwischen Yamaha und Maverick Vinales. Der Spanier wurde nach dem ersten von zwei Rennwochenenden in Spielberg vor die Tür gesetzt. Vinales betont jedoch, dass seine damalige Situation mit der von Martin nicht vergleichbar sei.

Maverick Vinales

Maverick Vinales betrachtet seinen Bruch mit Yamaha im Rückblick anders Zoom

"Als ich mich von Yamaha getrennt habe, bin ich nicht weiter für sie gefahren. Ich musste also nicht dortbleiben in dem Wissen, dass ich keine Zukunft mehr mit ihnen habe." Vinales erzwang damals praktisch, dass ihn Yamaha aus dem Vertrag entlässt.

Aprilia verhält sich nun anders und pocht auf den bindenden Vertrag mit Martin. "Ich wünschte, Yamaha hätte das damals mit mir gemacht", sagt Vinales heute. "Ich hätte viel daraus gelernt. Wenn ich zurückgehen könnte, würde ich manche Dinge anders machen."

"Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber man muss alle Beteiligten respektieren, immer ehrlich zu allen sein und versuchen, sein Bestes zu geben. Ich denke, wir haben das große Glück, diesen Sport ausüben zu dürfen. Wir müssen unser Bestes für das Team geben, bei dem wir gerade sind."