• 11.01.2011 13:09

  • von Pete Fink

Interview: Baguette und die offene IndyCar-Rechnung

Exklusiv: Wie Bertrand Baguette seine erste IndyCar-Saison beurteilt, wie es im Sommer zum Aufschwung kam und was das Geheimnis des Ovalfahrens ist

(Motorsport-Total.com) - Als Bertrand Baguette am dritten IndyCar-Wochenende im Barber Motorsports Park beim Conquest-Team auftauchte, konnten die US-amerikanischen Kollegen recht wenig mit dem 24-jährigen Belgier anfangen. Das war in Europa anders. Nach seinem Titel 2009 in der World Series by Renault testete Baguette im Winter zweimal in der Formel 1 für Renault und Sauber. Zu einem Formel-1-Vertrag kam es mangels Budget nicht.

Titel-Bild zur News: Bertrand Baguette

Bertrand Baguette gab 2010 vor allem am Ende ein überzeugendes Debütjahr

Sein Landsmann und Conquest-Teamchef Eric Bachelaert lockte Baguette über den großen Teich. Ohne große Vorbereitung sprang er ins Cockpit der gelben Startnummer 36 und landete am Jahresende in der IndyCar-Gesamtwertung auf Rang 22. Nur einen Punkt hinter Rookie-Kollege Takuma Sato, obwohl Baguette zwei Rennen weniger gefahren war.

Vor allem in der zweiten Saisonhälfte konnte der Conquest-Pilot nach einer Eingewöhnungsphase überzeugen. Fast regelmäßig schnupperte er an den Top 10, auf dem 1,5 Meilenoval in Kentucky mischte er sogar munter in der Spitzengruppe mit und holte Platz zehn. Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' schildert der sympathische Belgier die Eindrücke seiner ersten IndyCar-Saison und gab einen Ausblick auf das Jahr 2011.

Frage: "Bertrand, lebst du eigentlich gerne in den USA?"
Bertrand Baguette: "Ja, auf alle Fälle. Es ist komplett anders als in Europa. Die Leute sind sehr relaxed und auch ich bin sehr entspannt. Aber ich freue mich auch immer, wenn ich nach Belgien kommen kann und meine Familie sehe."

Frage: "Wo wohnst du in den USA?"
Baguette: "In diesem Jahr habe ich im Gästehaus meines Teamchefs Eric Bachelaert gewohnt."

Ein Test bringt den Umschwung

Bertrand Baguette

Ein Belgier bei den IndyCars: Bertrand Baguette fühlt sich in den USA wohl Zoom

Frage: "Du hast immer wieder gesagt, dass du in deiner ersten IndyCar-Saison deinen Fahrstil verbessert hast. Kannst du uns dazu ein paar Details geben?"
Baguette: "Ich musste meinen Fahrstil komplett verändern, weil ein IndyCar komplett anders ist, als alles, was ich in Europa gefahren habe. Das Auto ist schwerer, die Vorderreifen kleiner, du hast Stahlbremsen anstelle von Carbon. All das zusammen macht es notwendig, dass du anders fährst. Du musst zum Beispiel die Bremsen früher lösen und wesentlich mehr Speed durch die Kurve mitnehmen. Im Vergleich zur World Series by Renault musst du viel aggressiver mit dem Auto umgehen."

Frage: "Als ehemaliger Champion der World Series by Renault konnte man von dir, speziell auf den Rundstrecken, einige gute Resultate erwarten. Aber du hast es nicht geschafft, unter die Top 10 zu kommen. Dein bestes Resultat war in Mid-Ohio mit Rang elf."
Baguette: "Wie ich schon sagte, habe ich ein wenig Zeit gebraucht, um mich an das Auto zu gewöhnen. Vor allem, weil wir nicht testen konnten und ich auch die Strecken nicht kannte. Und genau vor Mid-Ohio konnten wir dann einen Test einlegen. Wir drehten 50 Runden ohne den Druck eines Rennwochenendes und konnten das ausprobieren, was wir testen wollten. Das war die entscheidende Verbesserung und so kam es in Mid-Ohio zu Platz elf."

Frage: "In Sonoma warst du in der Qualifikation 13., dann hattest du einen Kontakt mit Dan Wheldon und wurdest mit verbogener Aufhängung noch 15..."
Baguette: "Also ich bin mir ganz sicher, dass Sonoma wesentlich besser gelaufen wäre. Leider kam es zu diesem Kontakt mit Dan."

Frage: "Die große Überraschung war dann euer gewaltiger Aufschwung zum Saisonende. Wie kam es dazu?"
Baguette: "Ich denke, das lag vor allem an diesem Testtag. Plötzlich haben wir eine Menge Dinge über das Auto verstanden."

Über seine Oval-Erfahrungen

Bertrand Baguette

Indy 500: Bertrand Baguette und seine ersten Oval-Erfahrungen Zoom

Frage: "Speziell auf den Ovalen hast du unheimliche Fortschritte gemacht. In Chicagoland hast du dich als 20. qualifiziert und wurdest 12. In Kentucky warst du in der Qualifikation Sechster und fuhrst als Zehnter ins Ziel. Was war da plötzlich los?"
Baguette: "Auf den Ovalen hatte ich ein richtig gutes Gefühl. Auch das Auto hat sich gut angefühlt. Das Team hat sehr gut gearbeitet. Ich habe ganz einfach nur ein wenig Erfahrung sammeln müssen und das kam in den letzten vier Ovalrennen. Genau das konnten wir dann zeigen."

Frage: "In Kentucky bist du im Rennen teilweise auf Platz drei gelegen..."
Baguette: "Kentucky war unglaublich, ein tolles Feeling. Wir haben uns auch vor einem Ganassi-Auto und zwei Penskes qualifiziert. Das war schon verrückt."

Frage: "Wie wichtig war dabei eigentlich Tomas Scheckter, der in diesen beiden Rennen dein Teamkollege mit sehr viel Erfahrung war?"
Baguette: "Das ist richtig. Tomas Scheckter war ein sehr guter und sehr erfahrener Teamkollege. Es war vor allem gut, ihn als Orientierungspunkt zu haben. Aber am Ende hat er mit dem Auto in seine Richtung gearbeitet und wir in unsere. Sicher hat er uns bei einigen Punkten geholfen, aber unsere Hauptrichtung in Sachen Setup stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest."

Frage: "Apropos Tests. Du bist dein ersten Ovalrennen überhaupt im Mai 2010 in Kansas gefahren. Wie viele Tests hattest du denn da im Vorfeld?"
Baguette: "Wir hatten einen halben Testtag vor dem ersten Freien Training. Dann ging es sofort ins Qualy und ins Rennen..."

Frage: "Kannst du uns Europäern einmal erklären, was das Fahren im Oval so schwierig macht? Was wird da vom Fahrer erwartet?"
Baguette: "Der erste ganz knifflige Punkt ist das Setup des Autos. Natürlich ist es ziemlich einfach, in Kansas, Chicagoland oder Kentucky eine Runde mit Vollgas zu fahren. Aber es ist erheblich schwieriger, das Auto wirklich ans Limit zu bringen. Um so schnell wie möglich zu sein, muss sich das Auto so neutral wie möglich verhalten. Neutral bedeutet: Kein Untersteuern und kein Übersteuern. Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass wenn du versuchst, das Heck deines Auto so leicht wie möglich zu machen, dass du dann das große Risiko eingehst, das Heck zu verlieren und das Auto in die Mauer zu setzen."

100 Prozent Konzentration

Bertrand Baguette

In Sonoma verhinderte Dan Wheldon eine bessere Baguette-Platzierung Zoom

"Es ist also unglaublich schwierig, genau den Punkt zu treffen, an dem dein Auto so schnell wie möglich ist, ohne dass du einen Millimeter zu weit gehst und einen Unfall baust. Dazu kommt natürlich noch das Renngeschehen selbst. Du musst in jeder einzelnen Sekunde zu 100 Prozent konzentriert an die Sache herangehen, denn du fährst ja oft zu Zweit, zu Dritt oder gar zu Viert nebeneinander! Ein klitzekleiner Fehler und das Ganze kann in einem Desaster enden."

Frage: "In deiner ersten Saison bist du auf Short-Tracks (Iowa), auf Intermediate-Ovalen (Chicagoland, Kentucky, Motegi, Homestead) und in Indianapolis gefahren. Wie groß sind die Unterschiede wirklich?"
Baguette: "1,5 Meilenovale gehen recht einfach mit Vollgas und du kannst auf der gesamten Runde zu Zweit oder zu Dritt nebeneinander fahren. Iowa und Indy sind da viel schwieriger. Iowa ist das langsamste Oval, da erreichst du im Schnitt etwa 300 km/h. Indy ist das schnellste Oval, da kommst du im Schnitt auf etwa 365 Stundenkilometer."

"In Iowa bist du immer am Lenken. Es geht nie geradeaus. Daher ist es auch sehr schwierig zu überholen. In Indy hast du zwei Geraden mit vier unterschiedlichen Kurven. In jeder Kurve brauchst du eine andere Linie und musst zudem immer auf die Fahnen schauen. Du musst wissen, wie der Wind bläst, denn der wechselt häufig und das kann das Fahrverhalten deines Autos ändern und ganz schnell zu einem Crash führen."

Frage: "Wie unterschiedlich ist denn deine persönliche Herangehensweise, wenn ein Ovalwochenende ansteht? Also im Vergleich zu einem Rundkursrennen. Gibt es da eine unterschiedliche Einstellung, eine andere Strategie?
Baguette: "Eine Rundstrecke verlangt vom Fahrer wesentlich mehr Arbeit, weil es da immer etwas gibt, wo du dich verbessern kannst. Dein Fahrstil, deine Linie und so weiter. Auf dem Oval hast du nur zwei Kurven, in Indy sind es Vier. Sobald du Vollgas geben kannst, bleiben dir nur zwei Möglichkeiten. Du kannst ein wenig an deiner Linie basteln und du kannst versuchen, zusammen mit deinem Ingenieur das Auto schneller zu machen."

"Die größte Schwierigkeit auf dem Oval besteht für einen Fahrer darin, wirklich in jeder Sekunde konzentriert zu bleiben und permanent zu analysieren, was alle anderen um dich herum gerade machen. Auf den Rundkursen musst du immer pushen. Im Freien Training, in der Qualifikation, im Rennen. Nur dann bist du schnell, und wenn du das nicht machst, dann verlierst du."

"Die Rennstrategie selbst ist auf dem Oval wichtiger als auf den Rundkursen. Das kommt alleine schon daher, weil es auf dem Oval zweimal so viele Boxenstopps gibt. Aber am Ende ist es auf allen Streckentypen ganz schwierig zu gewinnen, wenn du dich mit deiner Strategie aus dem normalen Rhythmus entfernst. Außer du erwischt wirklich zum richtigen Zeitpunkt eine Gelbe Flagge."

Das Ziel: 2011 wieder IndyCars

Bertrand Baguette

Bertrand Baguette möchte auch 2011 wieder in Long Beach fahren Zoom

Frage: "Du hast oft gesagt, dass Ovalfahren richtig Spaß macht. Dass es genau dein Ding sei. Wann hast du dieses Gefühl bekommen? Gleich zu Beginn oder erst im Saisonverlauf?"
Baguette: "Ovalfahren macht Spaß, das ist richtig. Aber ob es mein Ding ist, das weiß ich nicht. Ich denke, dass ich mich nicht schlecht verkaufe, aber mir sind Rundkurse doch bei weitem lieber. Für mich wäre es unmöglich, eine komplette Saison nur auf Ovalen zu fahren. Da würde ich verrückt werden."

Frage: "Kommen wir zur neuen Saison. Du sagtest, du würdest gerade mit einigen IndyCar-Teams sprechen, nicht nur mit Conquest. Können wir erwarten, dass du 2011 wieder bei den IndyCars fahren wirst?"
Baguette: "Die IndyCars sind 2011 mein Hauptziel. Ich habe dort noch eine ganze Menge Dinge zu zeigen."

Frage: "Das ist vermutlich auch eine Sache des Sponsorings. 2010 hast du einen Sponsor aus Europa mitgebracht. Ist das auch jetzt erforderlich oder hat dein massiver Aufschwung zum Saisonende dazu geführt, dass plötzlich auch amerikanische Sponsoren Interesse zeigen?"
Baguette: "Wir sprechen gerade mit amerikanischen und europäischen Sponsoren. Aber das erledigt alles mein Manager Rick Gorne. Er weiß darüber viel mehr als ich."

Frage: "Wie viel Einfluss hat dabei die neue TEAM-Regel, die besagt, dass nur noch die besten 22 Teams Gelder von der IndyCar-Serie bekommen. Ausgerechnet eines der beiden Conquest-Teams wird 2011 keine Unterstützung mehr bekommen..."
Baguette: "Für mich als Fahrer macht das keinen großen Unterschied. Aber für die Teams natürlich schon. Speziell, wenn ein Team plötzlich nur noch ein Auto in diesen Top 22 hat. Es ist nicht leicht, genügend Geld zu finden, um zwei Teams eine volle Saison fahren zu lassen. Diese Regel macht es nun noch schwieriger."

Frage: "Zum Schluss natürlich die Frage nach deinen persönlichen Zielen für 2011, wenn du wieder bei den IndyCars fahren kannst..."
Baguette: "Das hängt noch von einigen Dingen ab, aber es wäre sehr schön, wenn ich es in der Gesamtwertung unter die besten Zehn schaffen würde."