• 11.09.2007 22:06

Das große Titel-Interview mit Dario Franchitti

Lange Jahre musste Dario Franchitti warten, bis er auch bei den IndyCars den Titel einfahren konnte - Sieg beim dramatischen Finale

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Dario, wie verlief dein Renntag bis hin zum Titel?"
Dario Franchitti: "Tja, wo soll ich anfangen? Am Start war es komisch, wir waren nicht so gut wie am Samstag. Die Penske-Jungs zogen vorbei, die Ganassi-Fahrer formierten sich und gingen auch vorbei. Ich hatte Probleme mit der Balance des Autos. Ich habe einfach Benzin gespart. Gegen Ende des Stints war das Auto dann aber besser."

Titel-Bild zur News: Dario Franchitti

Dario Franchitti erfüllte sich in dieser Saison fast alle Träume auf einmal

"Doch vor mir waren sie in Zweierreihen aufgestellt, ich konnte nirgends hin. Das einzig Vernünftige war, weiter Benzin zu sparen. So konnte ich beim zweiten Stopp auch länger draußen bleiben. Ich habe wirklich den ganzen Tag lang Sprit gespart, weil ich hinter vier Autos festhing. Einmal habe ich den Windschatten verloren, ich versuchte wieder ranzukommen und holte langsam auf."#w1#

"Wir haben das Benzinfenster schon für den zweitletzten Stopp ausgedehnt. Die Gelbphase kam direkt vor dem Unfall von Vitor (Meira). Ich versuchte mich ranzusaugen, um es Scott zu geben. Dann stand Milka (Duno) im Weg. Ich habe keine Ahnung, was sie da gemacht hat, aber sie war im Weg. Ich war nicht gerade erfreut in dieser Phase. Scott und ich stoppten zum Schluss. Beim Restart waren die Penske-Autos unheimlich schnell. Ich rechnete mit dem Benzin, wusste aber, dass es nicht reichen würde, und ich weit zurückfallen würde."

"Ich hing hinter beiden Penske- und Ganassi-Autos. Ich wusste, dass es mit dem Sprit kritisch werden konnte. Ich habe versucht, so viel wie möglich zu sparen. Danica (Patrick) hatte ich im Rücken, sie fuhr dann neben mich und versuchte so gut es ging zu helfen. Dann kam wieder eine Gelbphase."

"Ich sah, dass Dan (Wheldon) in Kurve 3 stand - im war der Sprit ausgegangen. Ich dachte mir, toll, jetzt hat Scott genau das, was er braucht. Ich kam dann um die Kurve und sah, dass sich Danica gedreht hatte. Das hat dann das Finish eingeläutet."

"Ich hatte einen guten Restart und fiel über Scott her. Aber auf der Außenbahn schaffte ich es nicht. Vor der letzten Runde hatte ich mir alles zurechtgelegt. Ich blieb so dicht dran wie möglich, und gerade als ich ausscherte, seh ich ihn zucken. Er hatte kein Benzin mehr, verlor an Fahrt. Ich ging nach oben, um ihn nicht zu treffen. Ich wusste, dass das Rennen und die Meisterschaft nun uns gehörten."

Richtig herum, mit allen vier Rädern

Frage: "In den vergangenen Wochen gab es zahlreiche Ablenkungen für dich, auch mit Michael (Andretti) hattest du einen kleinen Streit. Aber es schien, als ob dir das alles nichts ausmachen würde. Wie schwierig war das?"
Franchitti: "Das spielte überhaupt keine Rolle. Die größte mentale Herausforderung in diesem Jahr war es, in Kentucky wieder in das Auto zu steigen, nachdem ich mich fünf Tage zuvor damit in Michigan überschlagen hatte. Im ersten Training in Kentucky waren wir dann die Schnellsten und wir fuhren mit Dan in Formation. Nachdem ich diese Grenze überschreiten konnte, dachte ich mir, dass ich mit allem zurechtkommen würde."

Frage: "Du hast dein Auto in Kurve 3 abgestellt und bis herumgetigert. Was ging da in dir vor?"
Franchitti: "Da ging viel in meinem Kopf vor. Ich habe an viele verschiedene Dinge und Menschen gedacht. Und ich habe mit der Safety Crew gesprochen: 'Schön, dass ihr da seid. Das Auto steht diesmal richtig herum und alle vier Räder sind noch dran.' Die fragten, wie sich das Auto hier verglichen mit Kentucky oder Michigan anfühlte. Als ich erklärte, dass es das Auto aus Kentucky ist, waren sie beeindruckt. Aber es war schön, dass ich da unten etwas Zeit für mich selbst hatte."

Frage: "An wen hast du speziell gedacht?"
Franchitti: "An viele verschiedene Leute, ich möchte da nicht ins Detail gehen. Das ist sehr persönlich."

Frage: "Das Rennen verlief für dich ja nicht großartig. Hast du während der Runden an die Meisterschaft denken müssen?"
Franchitti: "Ich war den ganzen Tag über sehr ruhig. Aber so sehr ich es auch versuchte, wusste ich, dass ich nichts machen konnte, weil die Autos vor mir so positioniert waren. Das, was ich machen konnte, war, Benzin zu sparen. John Anderson und Al McDonald und Dave an den Boxen haben ihren Beitrag geleistet. Aber es ist schon cool, dass am Ende nur Scott und ich vorn waren. Das hatte etwas. Wir haben das ganze Jahr über gesagt - auch bei 65 Punkten Vorsprung -, dass es eng werden wird. Dass es in der letzten Runde, in der letzten Kurve zwischen Scott und mir zur Entscheidung kam, fasst das Jahr gut zusammen."

Zwei Ziele in einem Jahr

Frage: "Scott wusste, dass es mit einem Sprit eng werden würde. Wie sicher warst du dir nach dem Restart?"
Franchitti: "Sie haben mit gesagt: 'Mit dem Benzin wird es eng.' Ich bekam aber keine Meldung im Auto, dass der Benzindruck zusammenbricht. Ich fuhr noch eine Extrarunde und Burnouts. Wir lagen also gut im Plan. Wir waren sicher in einer besseren Position als Scott."

Frage: "Du hast in diesem Jahr die Indianapolis 500 und den IndyCar-Titel gewonnen. Kannst du nun sagen, dass du alles in deiner IndyCar-Karriere erreicht hast, was du erreichen wolltest?"
Franchitti: "Das waren sicher zwei Ziele, die ich mir schon vor langer Zeit gesetzt habe. Als ich in die IndyCar-Serie kam, waren die Indy 500 ein großes Ziel. Und natürlich auch die Meisterschaft. Das beides geschafft zu haben, ich schon eine große Sache. Es war lustig, am Sonntagmorgen darüber nachzudenken, was ich zu tun hätte. Aber ich wichtig war, dass ich ein gutes Rennen gefahren bin. Und auch meine Jungs können stolz auf mich sein."

"Das war im Endeffekt wichtiger als das Ergebnis. Ich weiß nicht, aber vielleicht es daran, dass ich die Indy 500 gewonnen habe. Vielleicht hat das den Druck etwas verringert. So dachte ich vor dem Rennen. Meine Jungs haben in diesem Jahr hart gearbeitet, auch meine Teamkollegen. Sie haben mir sehr viel geholfen. Auch für sie wollte ich da draußen die Sache gut machen."

Frage: "Was war deine erste Reaktion, als Scott langsamer wurde?"
Franchitti: "Zuerst musste ich ihm ausweichen, denn er kam etwas nach oben. Ich korrigierte also zuerst mein eigenes Auto. Als das geschehen war, gab es bis zur Ziellinie viele Schreie im Funk und ich streckte die Faust in die Höhe. Alle redeten gleichzeitig im Funk, da war wohl nur eine Störung zu hören."

Frage: "Du hast geschildert, wie schwer es war, nach dem Überschlag in Michigan in Kentucky wieder ins Auto zu steigen. Dort hast du dich nochmal überschlagen und danach erschienst du wirklich verunsichert."
Franchitti: "Ja, zweimal in fünf Tagen, das war schon verrückt. Aber in Sonoma saß ich wieder im Auto. Das war wie ein Test auf diesem Rundkurs. Ich ging raus und innerhalb von drei oder vier Runden war ich wieder bei der Musik dabei. So lange dauert es, die Hitze in die Reifen zu bekommen. Damit kam zwar nicht sofort mein Vertrauen zurück, aber ich war danach entspannt."

Erleichtert und glücklich

Frage: "Bist du nun nach dem Titelgewinn erleichtert oder glücklich?"
Franchitti: "Auf jeden Fall beides. Ich bin glücklicher, als ich es gedacht hatte. Schon der Sieg bei den Indy 500 brachte ein tolles Gefühl. Aber das hier ist anders. Das gesamte Jahr wird hier gesammelt, das bedeutet verdammt viel."

Frage: "Wenn du dir die Saison noch einmal anschaust, wann hat sie für dich wirklich begonnen?"
Franchitti: "Beim ersten Rennen. Dort waren wir schon gut unterwegs. Während einer Gelbphase ratterte sich über eine Antriebswelle, aber wir kamen noch als Siebte ins Ziel. Danach fuhren wir in St. Petersburg. Tony (Kanaan) und ich gerieten in der ersten Kurve aneinander, wie fielen fast zwei Runden zurück."

"Das Auto wurde in der Zwischenzeit repariert und ich machte den neuen Jungs in der Crew Mut, sie sollten nicht aufgeben. Wir hatten dann noch Bremsprobleme nach 50 der 100 Runden, dennoch schafften wir es. Danach hatte ich sehr viel Vertrauen in sie. Dann wurden die Ergebnisse immer besser, das gipfelte dann im Sieg in Indy. Dann hatten wir einen Lauf."

Frage: "Tony fiel früh im Rennen zurück. Wie sehr schmerzte es, dass er als Partner im Pulk nicht mehr da war? Und was hast du gedacht, als du im Rennen kurz etwas zurückgefallen warst?"
Franchitti: "Ich wusste, dass es hart werden würde, als sie mir sagten, dass 'TK' ein Reifenproblem hatte. Ich fühlte vor dem Rennen, dass wir vorn hätten fahren können. Aber das war dann nicht so, und die Jungs vorn konnten im Paarlauf fahren. Bei Penske und Ganassi haben sie wunderbar als Teamkollegen zusammengearbeitet. Niemand kann das sonst besser als Tony und ich."

"Aber er war nicht mehr da. Marco versuchte zunächst zu mir aufzuschließen und mir zu helfen, hatte dabei aber einen heftigen Unfall. Immerhin geht es ihm gut. Dann kam mir noch Danica zu Hilfe, aber Ende waren nur noch Scott und ich übrig."

Kein Wort über die Zukunftspläne

Frage: "Über das nächste Jahr möchtest du sicher noch nicht reden. Aber wäre die NASCAR überhaupt etwas, was du in Betracht ziehen würdest?"
Franchitti: "Ich rede hier nicht über das letzte Jahr. Ich freue mich über die gewonnene Meisterschaft und das werde ich feiern. Ich werde über die Entscheidung für das nächste Jahr nicht in der nächsten Woche und auch nicht in der Woche danach nachdenken."

Frage: "Du hast als zweiter Schotte nach Jim Clark die Indianapolis 500 gewonnen, bist aber der erste Schotte, der IndyCar-Meister ist. Was bedeutet dir das?"
Franchitti: "Selbst wenn ich fünf Mal leben würde, ich könnte Jim Clark nie erreichen. Er ist mein Held! Joey Chitwood (Streckenpräsident in Indianapolis; Anm. d. Red.) gab mir einen Anstecker des Boxengassenausweises von 1965. Die Seriennummer darauf ist 1127 - das ist schon cool."

Frage: "Hattest du in den vergangenen Wochen jemals das Gefühl, dass alles gegen dich läuft, egal, was du auch machst?"
Franchitti: "Nein. Ich hatte in den USA bisher eine seltsame Karriere, aber ich hatte auch viel Glück. Bei den Indy 500 in diesem Jahr lief einiges für uns. Und dann gibt es die Rennen, bei denen man darüber spricht, wie man diese hätte gewinnen sollen und was dann doch schief lief. Wenn man sich Michigan, Kentucky, Sonoma und Detroit ansieht, dann hatten wir immer - bis auf Sonoma, aber dort führten wir am längsten - das schnellste Auto. Aber es ging immer irgendetwas schief. Manchmal lag das an mir, wie in Kentucky, manchmal nicht an mir."

Frage: "Nach deinem Erfolg in Indianapolis hast du erklärt, dass du es kaum erwarten kannst, wieder in das Auto zu steigen. Und nun? Fällst du jetzt in ein Loch?"
Franchitti: "Die Saison war lang, ich freue mich darauf, mit Ashley (Judd, seine Frau; Anm. d. Red.) etwas Ruhe zu haben."

Frage: "Ist dieser Titel noch schöner, weil ihr auf so vielen unterschiedlichen Strecken gefahren seid?"
Franchitti: "Ja, daher bedeutet mir diese Meisterschaft auch so viel. Jede Strecke benötigt etwas völlig anderes. Wenn man von Detroit hierher kommt - zwei unterschiedlichere Strecken kann man sich nicht vorstellen. Die Richtung, die die Serie eingeschlagen hat - kurze Ovale, 1,5-Meilen-Ovale, die großen Strecken, Straßenkurse, Rundkurse -, macht es wirklich schwierig, auf allen Strecken gut zu sein."

Besondere Teamkollegen

Frage: "Scott und du habt euch gegenseitig viel Respekt entgegengebracht. Kannst du dir vorstellen, wie quälend die Art und Weise der Niederlage für ihn sein muss?"
Franchitti: "Als ich die Meisterschaft 1999 verlor, habe ich am selben Tag meinen besten Freund verloren. Ich mache mir daher überhaupt keine Gedanken über eine knapp verlorene Meisterschaft. Aber ich schätze die Herausforderung, die Scott und sein Team uns entgegengebracht haben. Sie waren wirklich hart. Wenn man sich anschaut, wen wir auf dem Weg zum Titel besiegt haben, dann ist das noch zufrieden stellender. Und für Scott habe ich sehr viel Respekt. Wir kommen gut miteinander klar."

Frage: "Vielleicht kannst du uns kurz erklären, wie die Beziehung zwischen dir und Tony Kanaan aussieht. 2004 hast du ihm geholfen, in diesem Jahr hat er dir geholfen."
Franchitti: "Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich stand schon vorher einigen Teamkollegen sehr nah. Zum Beispiel Bernd Schneider, als ich in der DTM fuhr. Aber Tony und ich waren schon beste Freunde, bevor wir Teamkollegen wurden. Das kann manchmal direkt in das Desaster führen. Aber es lief bei uns einfach gut. Jeder will den anderen besiegen - das wissen wir ja, also können wir auch gemeinsam daran arbeiten. Wenn einer dann vorn ist, dann hilft man."

"Wir haben das von Anfang an in diesem Team gemacht, als Team Green zu Andretti Green wurde. Bryan Herta ist da ein gutes Beispiel, er hat mich auf dem Podest schon angerufen, das war großartig. Auch Marco und Danica - sie haben es wirklich raus. Aber TK und ich? Er ist ein sehr besonderer Mensch. Ich habe immer über ihn gesagt, dass er der egoistischste Mensch sein kann, oder der, der einen am meisten gibt. Er ist der Mann der Extreme. Er ist mein bester Freund. Und wenn wir alt sind und aufgehört haben - im Rennsport sind wir ja schon alt -, aber wenn wir nicht mehr fahren, dann sitzen wir zu Hause und werden weiter gute Freunde sein."

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