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  • 31.05.2016 15:58

  • von Roman Wittemeier

Schaeffler-Entwicklungen: Warum man in der Formel E startet

Wettbewerb im Herzen, Innovation als großes Ziel: Schaeffler nutzt das Engagement mit Abt in der Formel E für intensive Forschung für die zukünftige Mobilität

(Motorsport-Total.com) - Der Brasilianer Lucas di Grassi geht als Gesamtführender in das Finalwochenende der aktuellen Formel-E-Saison in London. Der Audi-Werkspilot aus dem Team Abt profitiert in der rein elektrischen Rennserie nicht nur von seinem fahrerischen Talent, sondern ein großes Dankeschön sendet der 31-Jährige auch nach Herzogenaurach. Rund 300 Kilometer nördlich des Abt-Teamsitzes (Kempten/Allgäu) arbeiten zahlreiche Techniker am Tempo des Formel-E-Boliden von di Grassi und Teamkollege Daniel Abt.

Titel-Bild zur News: Daniel Abt Lucas di Grassi

Schaeffler engagiert sich intensiv bei der Entwicklung von Formel-E-Antrieben Zoom

Die Fachleute des deutschen Autmobilzulieferers Schaeffler forschen unter Hochdruck an weiteren Verbesserungen des E-Antriebs im FE01. "Wir sind dabei, weil wir hier lernen und entwickeln können", sagt Entwicklungsvorstand Peter Gutzmer im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Zudem trägt die Formel E dazu bei, die jungem Menschen über Soziale Medien zu erreichen und Botschaften zu versenden. Die Elektromobilität ist die Zukunft, davor muss man keine Angst haben."

"Es werden sich in diesem Bereich auch gewisse Wertmaßstäbe entwickeln. Ich habe etwas besseres oder etwas anderes als ein anderer. Es muss cool werden - und es wird cool", ist der erfahrene Techniker überzeugt. Die Formel E geht in die großen Metropolen wie Berlin, Paris oder London und holt die junge Generation dort ab, wo sie ihr Leben nach neuen Gesichtspunkten gestaltet. Die heute 14- bis 25-Jährigen haben ein anderes Verhältnis zum Automobil als ältere Semester. Entsprechend müssen Zulieferer und Hersteller neue Wege suchen, sich in den kommenden Jahrzehnten nahezu neu erfinden.

Formel E ist Investment in die Zukunft

Für Schaeffler ist die Bühne Formel E ein wichtiges Element auf diesem Weg. Nicht nur, um das Thema Elektromobilität zu emotionalisieren, sondern auch um Forschung am Limit zu betreiben. "Wir lieben Innovationen, wir lieben Motorsport und wir lieben Wettbewerb und Emotionen. Deshalb sind wir dabei", fasst Gutzmer zusammen. Er fügt schmunzelnd hinzu: "Unser Geld verdienen wir aber mit Produkten für die Serie."

Die Elektrifizierung der Automobile ist ein recht neues Geschäftsfeld des Konzerns, der weltweit fast 90.000 Menschen beschäftigt. Vor 15 Jahren haben sich erste Ingenieure des Unternehmens mit diesem Themenkomplex beschäftigt, 2011 gründete man intern einen neuen Bereich für E-Mobilität, in den bislang über 500 Millionen Euro investiert wurden. Rund 1.200 Menschen arbeiten an neuen Lösungen für E-Antriebe, entsprechende Baukastensysteme und Kraftübertragungen. In den kommenden fünf Jahren wird man noch einmal eine halbe Milliarde Euro in diesen Bereich investieren.

Antriebe Schaeffler

Fahrplan für zukünftige Mobilität: Schaeffler-Entwicklungen in der Übersicht Zoom

Rein technisch bietet die Formel E derzeit optimale Voraussetzungen für Schaeffler-Innovationen. Die Entwicklung der Boliden ist in vielen Bereichen stark eingeschränkt, einzig beim Antrieb gibt es einige Freiheiten und Möglichkeiten - also genau in jenem Bereich, den das Unternehmen als künftige Kernkompetenz sieht. "Da können wir viel machen", freut sich Gutzmer. Der Elektromotor ("Abt Schaeffler MGU 01") ist eine Eigenentwicklung, gemeinsam mit Hewland baute man ein neues Dreigang-Getriebe.

Formel-E-Antrieb: Good vibrations, bad vibrations

"Es geht zum Beispiel darum, die Batterie zu entlasten - oder beim Rekuperieren andere Wege zu gehen", erklärt der Entwicklungsvorstand aus Herzogenaurach. "Bei diesem Prozess hat man immer Schwingungen mit drin. Wird rekuperiert, dann belastet man den elektrischen Antrieb, der wiederum mit dem mechanischen Antriebsstrang gekoppelt ist. In solch einem gekoppelten System entstehen elektrische und mechanische Schwingungen - und zwar in kurzer Zeit. Das ist eine große Herausforderung."

Beim Rekuperationsprozess werden rund 200 kW innerhalb einer halben Sekunden umgesetzt. "Das regt an, das muss man optimieren", erklärt Gutzmer. "Es gibt auch thermische Themen, oder auch die Fahrbarkeit. Ein ganz, ganz wichtiges Thema ist das Gewicht, also letztlich die Leistungsdichte." So experimentiert man unter anderem mit neuen Materialien. "All das gehen wir im Motorsport an und holen uns dabei sehr viele Erkenntnisse für die Serie."

Abt Schaeffler FE01

Technik aus Herzogenaurach: Unter der Haube des Abt Schaeffler FE01 Zoom

"Der Technologietransfer von Rennsport in die Serie ist immer ein Thema, mit dem Motorsport generell begründet wird", schmunzelt Simon Opel, Leiter Motorsport-Sonderprojekte bei Schaeffler, über den dieser Tage oft zitierten Grund für hohe Investitionen in den weltweiten Motorsport. Er erklärt jedoch: "Wir sind ganz fest davon überzeugt, dass dieser Übertrag in der Formel E so realistisch ist wie in keiner anderen Rennserie."

Braucht ein Elektroauto überhaupt mehrere Gänge?

Die von Williams entwickelte Einheitsbattiere in den Formel-E-Autos bietet begrenzte Möglichkeiten. Hierdurch wird man gezwungen, an der generellen Effizienz zu arbeiten. Zudem hilft die Formel E bei der Suche nach der richtigen Form für Elektroantriebe der Zukunft. "Oder etwas, das zunächst banal erscheinen mag: Wir gehen hier intensiv der Frage nach, wie viele Gänge ein Elektroantrieb eigentlich braucht", sagt Simon Opel.

In der Szene setzen die verschiedenen Hersteller auf komplett unterschiedliche Lösungen bei der Kraftübertragung. In der Formel E sind Getriebe mit ein bis vier Gängen zu finden. Schaeffler hat sich für drei entschieden. "Weil solch ein Elektromotor auch ein gewisses Kennfeld hat", sagt Peter Gutzmer, "allerdings ganz anders als ein Verbrenner. Dennoch ist es in diesem Bereich extrem wichtig, einen effizienten Weg zu finden, die Energie auf die Straße zu bringen." Kurzum: Möglichst verlustfreie Übertragung mit wenigen Gangwechseln bei hoher Zuverlässigkeit.

Der Abt Schaeffler FE01 zählt zu den besten Fahrzeugen im Starterfeld. Di Grassi führt die Meisterschaft an, das Team aus Kempten liegt in der Gesamtwertung auf Rang zwei. "Unser Antrieb ist mit an der Spitze", freut sich Gutzmer über die Bestätigung der Entwicklungsarbeit auf den Strecken der Formel E. In der Szene gibt es eine Besonderheit: Antriebe müssen auf Nachfrage auch anderen Teams verkauft werden, sodass in der Theorie alle Formel-E-Mannschaften mit einem Schaeffler-Antrieb fahren könnten.


Lucas di Grassi: "Racing for a reason"

Abt-Pilot Lucas di Grassi erzählt, wieso er in der Formel E fährt und wieso die Serie für die Zukunft wichtig ist. Weitere Formelsport-Videos

Eitelkeiten verhindern Verbreitung des Schaeffler-Antriebs

"Bis jetzt ist keine solche Anfrage bei mir angekommen", lacht Gutzmer. "Der Antrieb ist das Herz - das gilt auch für die E-Mobilität. Da tut man sich dann schwer, einen Antrieb von jemand anderem zu benutzen", sagt er. Klartext: Natürlich werden sich Hersteller wie Renault, Citroen (DS) oder Neueinsteiger Jaguar nicht die Blöße geben, bei Schaeffler einen Antrieb vom Konkurrenten Abt zu kaufen, der eng mit dem Automobil-Hersteller Audi verbandelt ist - also einem Konkurrenten auf dem Markt.

"Unser Einstieg in die Formel E ist sowieso nicht vor dem Hintergrund geschehen, dass wir nun Standard-Antriebspartner werden wollen", nimmt Gutzmer das ausbleibende Interesse gelassen hin. Ohnehin nutzt Schaeffler die Bühne nicht zum Geld verdienen, sondern es geht um Forschung, Entwicklung und Darstellung von Kompetenzen. In den kommenden Jahren sollen weitere Bereiche an den Fahrzeugen zur Entwicklung freigegeben werden. "Es läuft hier vernünftig", sagt der Entwicklungschef des Zulieferers.

Simon Opel Peter Gutzmer

Stehen voll hinter dem Engagement: Simon Opel (li.) und Peter Gutzmer (re.) Zoom

Schaeffler will sich in den kommenden Jahren für die Herausforderungen eines sich stark wandelnden Marktes bereit machen. Kern des zukünftigen Geschäftes sollen Baukastensysteme in der Elektrifizierung für die Automobilindustrie sein: kleine 20-kW-Systeme, größere 400-Volt-Lösungen, modulare Angebote für Torque-Vectoring, reine E-Antriebe, Brennstoffzellen-Technik bis hin zu Radnabenantrieb. Nach Schätzungen von Schaeffler werden im Jahr 2025 acht bis 20 Prozent aller Neuzulassungen reine E-Fahrzeuge sein, rund 30 bis 40 weitere Prozent des Marktes werden dann mit Hybridautos bestückt.