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  • 23.05.2014 08:03

  • von Jonathan Noble (Haymarket)

Zehn Fakten zum Benzinkrieg

Bezogen die Teams früher nicht selten durch den richtigen Motorenpartner einen Vorteil auf der Strecke, so steht heute das Thema Sprit mehr denn je im Mittelpunkt

(Motorsport-Total.com) - Im Mittelpunkt der neuen Formel-1-Ära standen von Beginn an die Motoren. Da die neuen 1,6-Liter-Turbomotoren die Kräfteverhältnisse verschieben würden und die Formel 1 zukunftsfähiger machen sollten, wurde die von Renault, Ferrari und Mercedes investierte Arbeit von Beginn an als entscheidend angesehen. Es galt die Annahme, dass der Motor den größten Einfluss auf den Ausgang der Weltmeisterschaft haben würde.

Titel-Bild zur News: Benzin, Sprit, Schild

Das Thema Benzinverbrauch steht in dieser Formel-1-Saison im Fokus wie nie Zoom

Doch nachdem die ersten Rennen der neuen Ära hinter uns liegen und die Stärken und Schwächen der einzelnen Autos bekannt sind, entwickelt sich ein neuer Kriegsschauplatz in der Formel 1: Die Rede ist vom Benzin.

Die Arbeit der Treibstoffhersteller blieb jahrelang im Verborgenen, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Da aus den alten V8-Motoren nicht mehr viel herauszuholen war, gab es so gut wie keine dramatischen Leistungssprünge, die auf den Sprit zurückzuführen wären. Mit den neuen Motoren, der Rückkehr der Turbolader, den Energierückgewinnungs-Systemen und der neuen Art, wie die Rennen ablaufen, hat sich die Situation grundlegend geändert.

Der Treibstoff hat mittlerweile einen direkten Einfluss auf die Performance eines Teams auf der Strecke. Aus diesem Grund nehmen die Teams ihren jeweiligen Lieferanten mehr denn je in die Pflicht. "Das Benzin ist bei der Weiterentwicklung einer der Schlüsselfaktoren", erklärt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "Alle Lieferanten unternehmen große Anstrengungen. Sie sehen die Chance, einen Unterschied machen zu können."

Die zehn wichtigsten Fakten zum neuen Benzinkrieg in der Formel 1:

Treibstoffe unterscheiden sich so stark voneinander wie Motoren

Dass sich die aktuellen Turbomotoren grundlegend von den aus der Vergangenheit bekannten V8-Saugmotoren unterscheiden, liegt auf der Hand. Was nicht ganz so offensichtlich ist, ist die Tatsache, dass sich auch das Innenleben der Motoren komplett verändert hat.

"Die Regeln sind die gleichen. Das Arbeitsfenster, in dem wir uns bewegen, hat sich gegenüber dem vergangenen Jahr nicht verändert. Die an den Treibstoff gestellten Anforderungen sind bei einem aufgeladenen Motor mit weniger Hubraum und Direkteinspritzung aber ganz andere als es bei einem 2,4-Liter-V8-Saugmotor der Fall war. Im Detail gibt es also große Unterschiede", sagt Guy Lovett, Technologieverantwortlicher bei Shell.

Benzin erstmals ein Design-Element des Motors

Petronas-Geschäftsführer Eric Holthusen hat während seiner zwei Jahrzehnte umfassenden Schaffensperiode auf dem Gebiet der Schmiermittelforschung viel erlebt. Es sagt viel über die neue Formel 1 aus, wenn diese Führungsfigur anführt, dass es in diesem Jahr Dinge gibt, die noch nie zuvor gesehen wurden. So zum Beispiel die Tatsache, dass ein Formel-1-Motor und das Benzin für diesen im Einklang miteinander entwickelt werden müssen.

Mercedes-AMG-Petronas-Logo

Der Mercedes-Vorsprung ist nicht zuletzt auf Partner Petronas zurückzuführen Zoom

"Das Benzin ist in der Formel 1 seit jeher ein wichtiger Faktor. Die neuen Motoren und neuen Spritmischungen bedeuten aber, dass es so gut wie nichts gibt, was man aus der Vergangenheit übertragen könnte", sagt Holthusen und betont: "Es ist nicht das Benzin allein. Vielmehr ist es eine Kombination, denn das Benzin wird für einen speziellen Motor maßgeschneidert. Wir arbeiten seit fast zwei Jahren mit Mercedes zusammen an diesem Projekt. Ich selbst bin seit mehr als 20 Jahren im Geschäft und kann mich nicht erinnern, dass es schon einmal vorkam, dass das Benzin schon bei der Konzeption eines Motors als Design-Element in Erscheinung trat."

Motoren stellen die Treibstofflieferanten vor eine echte Aufgabe

Die größte Veränderung, der sich die Treibstofflieferanten in diesem Jahr gegenübergestellt sehen, ist ein Problem, das als 'Klopfen' bezeichnet wird. Dieses Klopfen ist nichts anderes als eine unkontrollierte Explosion im Inneren des Zylinders. Dies wirkt sich nicht nur nachteilig auf die Spitzenleistung aus. Es kann auch eine Schockwelle lostreten, durch die innere Komponenten des Motors beschädigt werden.

Die Turbomotoren sind für dieses Problem deutlich anfälliger, denn sie haben eine höhere Kompressionsrate und drehen niedriger. Das bedeutet, dass es für eine zweite Verbrennungsquelle mehr Zeit gibt, sich zu entwickeln. Wenngleich die Benzinlieferanten in der Lage sind, das Risiko des Klopfens durch höhere Oktanzahlen zu verringern, so gilt es dennoch die richtige Balance zu finden. Nicht immer wird die beste Leistung durch die höchsten Oktanzahlen erreicht.

"Es kann durchaus passieren, dass die Motorleistung sinkt, wenn man mit der Oktanzahl nach oben geht. ." Petronas-Geschäftsführer Eric Holthusen

"Es gibt so etwas wie einen Index der optimalen Oktanzahl. Diesen Wert gilt es zu finden", sagt Holthusen und weiß: "Das verlangt viele Tests. Es kann durchaus passieren, dass die Motorleistung sinkt, wenn man mit der Oktanzahl nach oben geht. Unterm Strich geht es um Optimierung."

Verhalten des Benzins im sprayartigen Zustand entscheidend

Die diesjährigen Turbomotoren funktionieren mit Direkteinspritzung. Das bedeutet, dass das Benzin direkt in die Kammer gespritzt wird anstatt vorher mit Luft gemischt zu werden. Holthusen veranschaulicht die Wichtigkeit des Benzins im dampfzerstäubten Zustand für die Gesamtperformance des Motors:"Wir müssen das Benzin in die komprimierte Luft einspritzen - wie in einem Dieselmotor."

"Die Qualität der Verbrennung wird also von der Zerstäubung des Benzins ganz entscheidend mitbestimmt. Ideal ist es, wenn es kleine Tröpfchen sind. Die Oberflächenspannung des Treibstoffs muss verringert werden, um die bestmögliche Zerstäubung zu erreichen und damit eine gute Verbrennung", so der Petronas-Geschäftsführer.

Höhere Temperaturen

Formel-1-Motoren entwickeln seit jeher hohe Temperaturen. In diesem Jahr aber ist die Kühlung zu einer noch größeren Herausforderung geworden. Grund dafür sind die neuen Energierückgewinnungs-Systeme, die ihre eigene Wärme produzieren.

Ein Schlüssel in diesem Zusammenhang ist es, wie gut es gelingt, das Öl zu kühlen. "Bezogen auf das Hitzemanagement war es ein großer Schritt. Vergleichen mit dem V8-Motor verzeichneten wir einen Anstieg der Schmiermitteltemperaturen um 20 Prozent", rechnet Holthusen vor. Diese Herausforderung zu meistern, gelingt nur mit synthetischen Treibstoffen.

Energiemenge ist der Schlüssel zum Erfolg

Es gab eine Zeit in der Formel 1, da ging es um nichts anderes, als die maximale Leistung aus den Motoren zu kitzeln. Das Resultat waren einige exotische Treibstoffmischungen. Doch strengere Vorgaben der FIA, was als Treibstoff verwendet werden darf und das Limit von 100 Kilogramm Benzin pro Rennen haben zur Folge, dass die Anforderungen heute völlig andere sind.

Wie Lovett von Shell erklärt, geht es darum, so viel Energie wie möglich aus einer bestimmten Benzinmenge zu extrahieren: "Diese 100 Kilogramm bedeuten, dass wir so viel Energie wie möglich ins Benzin bekommen müssen. Man will so viele Kalorien wie möglich im Auto haben, um Energie zu erzeugen. Schließlich ist das die einzige Energie, die dem Auto zugeführt wird."

"Man will so viele Kalorien wie möglich im Auto haben, um Energie zu erzeugen." Shells Technologieverantwortlicher Guy Lovett

"Das Knifflige dabei ist: Alles was sich positiv auf die Oktanzahl auswirkt, wirkt sich negativ auf die Energie aus - und umgekehrt. Wir haben es also mit einer negativen Korrelation zu tun. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der richtigen Balance der Oktanzahl, um einerseits die bestmögliche Leistung herauszuholen und das Risiko des Klopfens so niedrig wie möglich zu halten und andererseits der richtigen Energiemenge. Unterm Strich geht es darum, clevere und innovative Wege zu finden, um die Performance zu steigern. Das ist wirklich eine riesige Herausforderung", bemerkt Lovett.

Besseres Benzin auch für die elektrische Energie wichtig

Die richtige Balance der von Lovett geschilderten Kriterien ist nicht nur für den Verbrennungsmotor von großer Bedeutung. Ab sofort wirken sich Fortschritte auf diesem Gebiet doppelt aus. Schließlich geht es auch um die zurückgewonnene elektrische Energie, die dem Fahrer zur Verfügung steht.

Ein effizienterer Treibstoff hat nicht automatisch zur Folge, dass weniger Sprit ins Auto getankt und somit Gewicht gespart werden kann. Die überschüssige Benzinmenge kann direkt verwendet werden, um die leistungsstärkeren Energierückgewinnungs-Systeme der heutigen Formel 1 aufzuladen.

"Die Motoren sind homologiert. Einer der wenigen Bereiche, wo Hand angelegt werden kann, ist der Treibstoff", sagt Lovett. "Hier gibt es die Chance, die Performance eines Autos im Verlauf der Saison zu verbessern. Dank der MGU-H kann dem Treibstoff mehr Energie zugeführt werden. Anschließend kann die zusätzliche Wärme in rückgewinnbare Energie umgewandelt werden."

Treibstoffeffizienz wirkt sich auf Endgeschwindigkeit aus

Noch vor kurzer Zeit hatten die Anstrengungen der Treibstoffhersteller zur Verbesserung der Effizienz kaum eine Auswirkung auf die Motorenhersteller. Es galt die Annahme, dass man in erster Linie dann schneller ist, wenn man mit weniger Sprit im Tank fährt und somit ein leichteres Auto hat.

Inzwischen allerdings nehmen die Automobilhersteller die Treibstoffhersteller in die Pflicht, effizienteres Benzin zu kreieren. Schließlich hängt ihr Erfolg auf der Rennstrecke davon ab. "Benzinverbrauch war in der Vergangenheit zweitrangig, doch jetzt ist dies einer der wichtigsten Aspekte überhaupt", weiß Renault-Technikchef Rob White.

Rob White

Renault-Technikchef Rob White weiß um den Vorteil effizienten Treibstoffs Zoom

"Ein besserer Benzinverbrauch kann sich direkt auf eine höhere Endgeschwindigkeit auf der Geraden auswirken", bemerkt White und führt an: "Ich will nicht übertreiben, aber wenn man es schafft, eine gewisse Benzinmenge dafür zu verwenden, um elektrische Energie zu erzeugen, dann öffnet das dem Fahrer die Tür zu einer interessanteren Energiefreisetzung. Dabei kann schon die kleinste Verbesserung der Endgeschwindigkeit eine spürbare Verbesserung der Rundenzeit mit sich bringen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Formel 1 heutzutage funktioniert. Es geht um die Optimierung von unzähligen Parametern."

Unterschiede auf dem Gebiet der Treibstoffe können riesig sein

Wie detaillierte Analysen der Motoren-Performance zeigen, spielt der Treibstoff inzwischen eine große Rolle. Red-Bull-Designer Adrian Newey war zu Saisonbeginn der Erste, der darauf aufmerksam machte. Er vermutete, dass Unterschiede zwischen Autos mit dem gleichen Motor im Heck nur auf das Benzin zurückzuführen sein können.

"Wir können anhand unserer eigenen GPS-Analysen erkennen, dass einige unserer Gegner mehr Leistung haben als andere, obwohl sie mit dem gleichen Motor antreten", so Newey. Insider schätzen, dass die nur auf den Treibstoff zurückzuführenden Leistungsunterschiede bei Motoren desselben Herstellers bei bis zu 30 PS liegen.

Shells Technologieverantwortlicher Lovett schließt nicht aus, dass so mancher Benzinlieferant einen Rückstand hat. Gleichzeitig glaubt er, dass unterschiedliches Entwicklungstempo für die Leistungsunterschiede verantwortlich sein kann: "Eines ist klar. Wir beobachten größere Schritte als es in der V8-Ära der Fall war. Wir befinden uns am Anfang des Entwicklungszyklus. Typischerweise gelingen am Anfang die größten Schritte. In dieser Phase befinden wir uns gerade."

Formel 1 wieder eine Spielwiese für technische Innovationen

Einer der Hauptgründe, weshalb die Formel 1 im Winter auf Hybridmotoren umgerüstet hat, war das Ziel, mögliche Entwicklungswege für die Automobilindustrie aufzuzeigen. Die in diesem Jahr gewonnenen Erfahrungen werden sich in den Folgejahren positiv auf die Straße auswirken. Das gilt auch für die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Treibstoffe.

"Die Technologie, die wir gemeinsam mit Ferrari entwickeln, ist dem Automobilsektor direkt zuträglich", sagt Lovett und stellt heraus: "Einer der wichtigsten Gründe, weshalb Shell in der Formel 1 engagiert ist, ist der Technologietransfer des Ferrari-Formel-1-Programms auf die Straße."

Petronas-Geschäftsführer Holthusen fügt hinzu: "Die Leute, die an den Schmiermitteln und Treibstoffen für die Formel 1 arbeiten, tun diese Arbeit auch für den Otto Normalverbraucher. Ich sehe das als eine Motivation für die Mitarbeiter. Sie alle haben eine große Leidenschaft für die Formel 1, aber gleichzeitig arbeiten sie an Treibstoffen und Schmiermitteln, die wir alle tagtäglich in unseren Autos einsetzen."