Wurz: "Mit Herz und Hirn in der Formel 1"
Williams-Testfahrer Alexander Wurz im 'F1Total.com'-Interview über sein neues und sein altes Team, das brisante Thema Wissenstransfer und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Nach fünf Jahren McLaren-Mercedes hat Alexander Wurz die "Silberpfeile" verlassen - ob nun freiwillig oder nicht -, um einen Tapetenwechsel zu vollziehen und seine Karriere als Freitagsfahrer bei Williams noch einmal anzukurbeln. Der 31-Jährige hat mit der Formel 1 nämlich noch lange nicht abgeschlossen, sondern will sich wieder für ein Renncockpit empfehlen.

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Hier kommt Alex! Wurz will spätestens 2007 wieder Formel-1-Rennen fahren...
Derzeit scheint seine Rechnung auch voll aufzugehen, denn während man seine Arbeit bei McLaren-Mercedes als selbstverständlich betrachtete, prasseln bei Williams regelrechte Lobeshymnen auf ihn herein - Technikchef Sam Michael ist jedenfalls hin und weg von den Qualitäten des Österreichers. Dass Wurz gestern in Jerez de la Frontera auch erstmals eine Tagesbestzeit fuhr und sogar deutlich schneller war als Nico Rosberg, bestätigte diesen positiven Eindruck.#w1#
Freitagsbestzeiten zählen mehr als Testrekorde
Am Rande der Testfahrten in Spanien nahm sich der 53-fache Grand-Prix-Teilnehmer Zeit, um im Interview mit 'F1Total.com' seine neue Situation zu erläutern und die Beweggründe für seinen Wechsel zu beleuchten.
Frage: "Alexander, du wirst 2006 die Freitagstrainings für Williams bestreiten. Das war sicher eines der Hauptargumente für deinen Wechsel, oder?"
Alexander Wurz: "Auch, ja. Ich habe in Barcelona und auf anderen Strecken viele Rundenrekorde aufgestellt, aber wenn du einmal eine Freitagsbestzeit fährst, zählt das viel mehr. Das ist heutzutage so. Es bringt dir überhaupt nichts, Testweltmeister zu sein. Das habe ich in den fünf Jahren gesehen. Das ist so, weil die Formel 1 ein extrem mediengetriebenes Business ist."
Frage: "Warst du verärgert darüber, dass dir Pedro de la Rosa 2005 zumindest zum Teil die Freitagstests weggenommen hat?"
Wurz: "Nein, überhaupt nicht. Dazu muss man wissen: Als ich alleine Testfahrer war, habe ich mich ganz stark dafür eingesetzt, dass sie den Pedro dazuholen - weil ich ihn kenne und weil er dieselbe Art und Weise des Fahrens pflegt wie ich. Die Arbeit war für einen Fahrer schlicht und einfach zu viel. Die Sache mit dem Rennen in Bahrain, das er gefahren ist, und mit den Freitagstests war ganz einfach so, dass ich damals noch nicht ins Auto gepasst habe. Pedro hat aber immer schon einen Superjob gemacht und hatte sich die Chance redlich verdient. Er ist einer meiner besten Freunde."
Frage: "Rein sportlich ist Williams gegenüber McLaren-Mercedes nach Stand 2005 ein Abstieg, aber du wirst mir jetzt erklären, warum es für dich persönlich nicht so ist!"
Wurz: "Wenn man rein nach Resultaten geht, hat McLaren im Moment natürlich die Oberhand. Sie hatten in den letzten Jahren immer ein gutes und 2005 wirklich ein extrem schnelles Auto. Williams macht gerade eine große Umstellung durch - vom Werksteam von BMW auf Cosworth."
Wurz fühlt sich bei Williams schon pudelwohl
"Trotzdem kann ich schon nach den ersten paar Tagen sagen, dass es äußerst interessant ist, hier zu arbeiten, was Arbeitsweise und Mentalität angeht. Es ist eine sehr interessante Konstellation. Es liegt an mir, mich da einzuarbeiten, was natürlich mein Ziel ist. Dann will ich auch richtig mithelfen, um dem Team wieder einen Impuls zu geben und das zu tun, was sie wollen - und sie wollen ganz oben stehen, das ist klar."
Frage: "Williams und Cosworth gelten als Unternehmen der alt-britischen Racing-Schule. Kannst du das bestätigen?"
Wurz: "Die Mentalität ist Racing, aber alt-britisch ist es nicht, sondern es ist Hightech! Es gibt in der McLaren-Fabrik nichts, was ich nicht auch bei Williams schon gesehen hätte. Da ist alles gleich, auf demselben Niveau. Die Struktur ist etwas anders - andere Farben, andere Leute. Aber im Prinzip geht es um dasselbe: Man muss zwei schnelle Autos bauen. Dazu brauchst du eine gewisse Entwicklungsabteilung, gewisse Maschinen wie den Windkanal, Prüfstände und so weiter. Williams hat das alles. Man muss nur das Paket zusammenfügen. Ich hoffe, dass ich ein Teil sein kann, der da mithilft."
Frage: "Hast du für 2006 alle 19 Freitagstests in deinem Vertrag stehen?"
Wurz: "In der Formel 1 kann viel passieren, was nicht im Vertrag steht. Es ist vorgesehen, dass ich die Freitage fahre, und Williams hat das auch schon kommuniziert. Sie haben mich engagiert, weil ich sehr viel Erfahrung habe und weil sie mich schon lange kennen."
Beförderung bei Williams für 2006 kein Thema

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Teil der Williams-Familie: Alexander Wurz (ganz rechts) ist Test- und Ersatzfahrer Zoom
Frage: "Dein klares Ziel ist, irgendwann wieder Rennen zu fahren. Siehst du eine Chance, dass sich da schon 2006 etwas bewegen könnte, oder betrachtest du diese Saison eher als Gelegenheit, dich für die Zukunft wieder ins Rampenlicht zu rücken?"
Wurz: "Ich bin Ersatzfahrer. Wenn einer der beiden Fahrer aus gesundheitlichen Gründen oder verletzungsbedingt nicht fahren kann, ist es meine Aufgabe, ihn zu ersetzen - genau wie bei McLaren oder auch damals bei Benetton. Was nach 2006 passiert, weiß ich nicht, aber ich bin sicherlich nicht hier, um jetzt irgendjemanden zu ersetzen. Diese Berichte sind absoluter Blödsinn. Sowohl Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) als auch Mark (Webber; Anm. d. Red.) sind absolut gefestigt im Team, weil sie sehr schnell sind. Mark hat das in der Formel 1 schon bewiesen, Nico halt im GP2-Auto. Ich bin als Test- und Ersatzfahrer bei Williams."
Frage: "Ende 2005 gab es Gerüchte über einen Wechsel in die DTM. War da etwas dran und wärst du überhaupt schon bereit, die Formel 1 in deinem Alter abzuschreiben?"
Wurz: "Mein Ziel ist, in der Formel 1 zu bleiben. Hier habe ich sehr viel Wissen, mit dem ich noch arbeiten mag. Die Formel 1 hat technisch hoch stehende Rennautos, die schnellsten der Welt - und das ist geil! Darum geht es mir. Ich habe überhaupt kein Problem mit der DTM oder der ChampCar-Serie, schließlich habe ich immer gesagt, dass die DTM ein ultralässiger Sport ist, als ich noch selbst dort gefahren bin, und das ist auch heute noch so. Die ChampCar-Serie ist auch super. Als ich in die Formel 1 gekommen bin, habe ich gesagt, dass ich irgendwann in die ChampCar-Serie gehen möchte. Irgendwann werde ich das vielleicht auch machen, aber im Augenblick sind mein Herz und mein Hirn in der Formel 1."
Frage: "Was unterscheidet den Alexander Wurz mit fünf Jahren McLaren-Mercedes-Erfahrung vom Alexander Wurz, der Ende 2000 Benetton verlassen hat?"
Wurz: "McLaren war das erste Team, das den Testfahrer ganz anders positioniert hat. Davor war der Testfahrer immer ein Junger, den man vielleicht aufbaut und ein paar Mal einsetzt. Ich bin genau in diese Phase hineingekommen, in der es in der Formel 1 groß geworden ist, Leute mit Erfahrung und demselben Speed wie die Rennfahrer zu engagieren, denn der Druck und die Anforderungen an die Testfahrer sind extrem hoch. Die Teams können daher nicht mehr einem jungen Fahrer die Chance geben, sich so zu entwickeln."
Wurz hat in den vergangenen Jahren enorm viel gelernt
"Bei McLaren habe ich einige Jahre sehr viel getestet - zum Teil sogar mehr als alle anderen Fahrer zusammengerechnet. Da habe ich natürlich wahnsinnig viel gelernt! McLaren ist ein Team, das Weltmeisterschaften und jedes Jahr Rennen gewonnen hat. Ich bin gegen Weltmeister und Grand-Prix-Sieger gefahren und habe mich stark weiterentwickelt. Alles andere wäre aber auch traurig."
Frage: "Das Vorurteil, gegen das die Testfahrer zu kämpfen haben, ist, dass sie ihren Biss verlieren - beim Überholen oder auf eine schnelle Runde im Qualifying -, weil ihr ja tagaus, tagein nur präzise Long-Runs absolviert. Was hältst du dem entgegen?"
Wurz: "Daran denke ich nur, wenn ich im Interview danach gefragt werde, denn für mich ist das kein Thema. Ich habe keine Motivation verloren - das ist ein Fremdwort für mich! Wenn ich mich ins Auto setze, will ich auch schnell fahren."
Frage: "Aber Testen ist anders als Rennen fahren..."
Wurz: "Logisch, aber wenn du dich dein ganzes Rennfahrerleben lang beim Testen hundertprozentig am Limit bewegst - oder auch im Rennen -, dann verlernt man das Rennfahren nicht. Ich mache beim Testen 100.000 Starts und 100.000 Rennsimulationen. Was den direkten Zweikampf angeht: Als ich damals in die Formel 1 gekommen bin, haben mir viele gesagt, ich sei ein bisschen auf der aggressiven Seite. Jetzt, mit mehr Erfahrung, weiß ich genau, wie ich mich zu verhalten habe. Daher ist das überhaupt kein Problem. Wenn man einmal Radfahren kann, weiß man, wie es funktioniert."
Frage: "Wie oft und wie knapp warst du bei McLaren-Mercedes an einer Beförderung dran?"
Wurz: "Laut Aussagen der dort beschäftigten Leute: sehr knapp! Zweimal - einmal davon äußerst knapp, einmal knapp, aber das zählt nicht, denn knapp daneben ist auch vorbei."
Den "Silberpfeil" kannte Wurz in- und auswendig...
Frage: "Wie ist dein erster Eindruck vom Williams? Du kannst einen für Journalisten sehr interessanten Vergleich ziehen..."
Wurz: "Dazu muss man sagen, dass ich den McLaren nach fünf Jahren blind fahren konnte. Der Unterschied, wenn man zu einem neuen Team kommt, das einen anderen Motorenhersteller und eine andere Arbeitsweise hat, ist natürlich groß, aber das ist ganz normal. Grundsätzlich will man dasselbe erreichen: Man will möglichst schnell sein. Natürlich habe ich schon viele Eindrücke gewonnen."
Frage: "Kannst du über den Unterschied zwischen Bridgestone und Michelin schon etwas sagen?"
Wurz: "Man spürt den Unterschied sofort! Es stecken andere Konstruktionsphilosophien dahinter, deshalb fühlen sich die Bridgestones anders an, sind auch anders zu fahren."
Frage: "Stimmt es, dass Bridgestone stabilere Flanken hat?"
Wurz: "Ich möchte nicht ins Detail gehen. Der Michelin war sehr eigen zu fahren, während der Bridgestone etwas einfacher zu handhaben ist. Allerdings reden wir da nur von Kleinigkeiten. Ich habe gemerkt, dass der Grip nicht wesentlich unterschiedlich ist, aber es stecken halt andere Philosophien dahinter. Man muss aber aufpassen: Wintertests mit so niedrigen Temperaturen können auch zu Trugschlüssen führen."
Frage: "Wie läuft deine Integration ins Team ab - mit Sam Michael, deinem ersten Ansprechpartner, und auch deinen Teamkollegen?"
Wurz: "Sehr gut. Wir haben schon sehr viele technische Gespräche geführt, denn es gibt natürlich viel zu reden. Es verläuft alles sehr positiv und ich bin sehr, sehr happy."
Wissenstransfer in der Formel 1 eine "ganz normale" Sache

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Von McLaren-Mercedes bringt Alexander Wurz jede Menge Know-how mit Zoom
Frage: "Ron Dennis hat einmal gesagt, dass die McLaren-Mercedes-Testfahrer von jedem anderen Team ausgesaugt werden. Ich nehme an, auf dich haben sich die Williams- und auch die Bridgestone-Ingenieure gestürzt..."
Wurz: "Logisch, das ist ganz normal, aber als ich zu McLaren gekommen bin, wurde ich dort auch ausgesaugt, weil sie alles über Benetton wissen wollten. McLaren war damals zwar schneller als Benetton, aber jeder will wissen, was die anderen machen - nicht, weil man es kopieren will, sondern um zu verstehen, wie die anderen arbeiten. So erweitert man den Horizont. Genauso, wie das Team mich gefragt hat, habe auch ich das Team gefragt, wie in diesem und jenem Bereich gearbeitet wird. Das ist in diesem Geschäft aber ganz normal."
Frage: "Wie sieht dieser Wissenstransfer eigentlich aus? Du wirst ja nicht zu den Williams-Ingenieuren gehen und ihnen aufzeichnen, wie die McLaren-Radaufhängung aussieht. Skizzen darfst du auch nicht klauen. Sind das Fahreindrücke, die du weitergibst? Wie muss man sich das vorstellen?"
Wurz: "Skizzen mitnehmen wäre ja vertragsbrüchig! Grundsätzlich ist es ein Mix aus Dingen, von denen ich weiß, wie sie gemacht werden, und aus Fahreindrücken. Man hat auch Erfahrung dabei, und technisch gesehen bin ich ja nicht auf den Kopf gefallen. Ich interessiere mich sehr für Details. Aber wie gesagt: Das ist ein ganz normaler Transfer, der bei Fahrern, Ingenieuren und Designern stattfindet. Das Personal wechselt ja immer ein bisschen im Fahrerlager."
Frage: "Letzte Frage: Wer ist dein WM-Tipp für 2006?"
Wurz: "Es ist ganz schwierig, das vorherzusehen, weil die Standfestigkeit für viele Teams zum Problem werden könnte. Ich würde daher fast Toyota oder Honda sagen."

