• 11.06.2007 01:27

  • von Inga Stracke

Wurz: "Mit diesem Kitsch kann ich leben!"

Alexander Wurz im ausführlichen Interview über sein unerwartetes Podium in Kanada, den Kubica-Crash und die Sicherheit in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Alex, wie motivierend ist so ein Podium für eine zehnjährige Formel-1-Karriere?"
Alexander Wurz: "Du sprichst es an: Fast ein bisschen kitschig, heute, an meinem zehnjährigen Jubiläum in der Formel 1, Dritter zu werden! Das ist wie aus dem Drehbuch. Ich bin natürlich happy, denn man muss wissen, wir hatten mit Williams im Vorjahr eine schlechte Saison. Die Resultate von Nico (Rosberg; Anm. d. Red.) sowie meine zwei Punkte von Monaco und jetzt die sechs Punkte von hier, die geben Auftrieb. Wir kommen sicherlich immer stärker in Fahrt."

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz fuhr zum dritten Mal in seiner Karriere auf das Podium

"Es ist wirklich ein Traum! Gestern hat es noch nicht ausgesehen, aber wenn du den Kopf nie in den Sand steckst, dann hey! Ich habe das ganze Jahr gezeigt, dass ich ein guter Racer bin. Heute habe ich keine Fehler gemacht und das wurde belohnt."#w1#

Erst zum Schluss begann Wurz zu träumen

"Nach der dritten Safety-Car-Phase haben wir gewusst, es kann bis aufs Podest gehen." Alexander Wurz

Frage: "Wann konntest du es eigentlich glauben, dass es das Podium werden würde?"
Wurz: "Zum Schluss dann eigentlich, denn es war bis zum Schluss sehr knapp. Nach der dritten Safety-Car-Phase haben wir gewusst, es kann bis aufs Podest gehen. Die vierte Safety-Car-Phase hat das dann klipp und klar unterstrichen. Wir haben vor dem Rennen gesagt, wir gehen auf Risiko. Ich war auf einem Stopp, randvoll, das schwerste Auto. Dadurch, dass die Reifen sehr weich waren und sich aufgelöst haben, war es wirklich sehr schwierig, das Rennen durchzufahren."

"Ich bin natürlich überhappy. Ich hatte ganz ein schlechtes Qualifying, das habe ich selber verbockt - das gebe ich zu, dazu stehe ich. Das kann passieren. Im Rennen habe ich mir vorgenommen, mit der riskanten Einstoppstrategie ohne Fehler durchzufahren. Das ist mir gelungen - wie in Monaco. Und heute bis zum Dritten, das ist natürlich fantastisch!"

Frage: "Gestern warst du noch niedergeschlagen und hast nicht einmal an Punkte geglaubt, jetzt wurde es sogar das Podium. Happy?"
Wurz: "Voll happy, natürlich! Gestern war ich deprimiert, weil ich einen Blödsinn zusammengefahren bin im Zeittraining. Ich muss diesen 20. Platz auf meine eigene Kappe schreiben - da bin ich natürlich enttäuscht. Ich gebe aber nicht auf - das habe ich als Testfahrer nie gemacht und auch als Rennfahrer tue ich das nicht. Mit ein bisschen Glück, aber auch einem fehlerfreien Rennen habe ich dieses Podest heimgeholt. Da bin ich natürlich superhappy!"

Frage: "Du warst der einzige Fahrer mit einer Einstoppstrategie, der ins Ziel gekommen ist. Wie war es in der Schlussphase mit den superweichen Reifen?"
Wurz: "Es war die Hölle, darum danke ich Gott für die Safety-Cars, denn die Reifen haben sich fast aufgelöst. Ich habe die Reifen taktisch so sehr abgerubbelt wie möglich, um das Graining schnell in den Griff zu bekommen. Das war sehr wichtig, denn am Ende hatte ich Kovalainen mit den härteren Reifen hinter mir. Meine Reifen wurden dann aber wieder sauber und ich konnte die Pace kontrollieren. Ich kam sogar nahe an Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) heran, aber es waren nicht mehr genug Runden. Trotzdem bin ich sehr happy mit Platz drei zum zehnjährigen Jubiläum. Das ist ein bisschen kitschig, aber damit kann ich leben..."

Riskante Reifenstrategie

"Ich musste meine ganze Erfahrung in die Waagschale werfen, um nicht abzufliegen." Alexander Wurz

Frage: "Deine Reifenstrategie war interessant, aber auch schwierig."
Wurz: "Ja, sehr schwierig. Wir haben gesagt, wir riskieren es. Der erste Stint war durch all die Safety-Cars unterbrochen. Einmal war ich schon Sechster und Fünfter, aber dann wieder 18. Mit der Einstoppstrategie rutschte das Auto sehr herum, speziell abseits der Linie, auf dem Gummiabrieb. Da ist es so schwierig, keinen Fehler zu machen. Ich musste meine ganze Erfahrung in die Waagschale werfen, um nicht abzufliegen. Am Ende hat es geklappt."

Frage: "Dein Heckflügel war beschädigt. Hat dich das irgendwie beeinflusst?"
Wurz: "Ich hatte eine Kollision mit einem Toro Rosso, keine Ahnung welcher. Er versuchte ein Manöver, berührte meinen Heckflügel und dabei ging die Endplatte kaputt. Die Struktur des Flügels war aber intakt, das haben wir beim Stopp gecheckt. Es war ein bisschen beängstigend, muss ich ehrlich sagen, weil ich wusste ja lange nicht, wie viel von der Struktur beschädigt war. Bei jedem Bremsmanöver habe ich in den Rückspiegel geschaut, ob der Flügel noch dort ist."

"Nachher hat das ein bisschen Topspeed gekostet. Das heißt, ich konnte von den Rundenzeiten her nicht mit Kovalainen mithalten, der einfach an mir vorbeigefahren ist, weil ich etwa sechs bis sieben km/h verloren habe auf den Geraden. Das hat mich aber zum Schluss wenig gestört. Ich habe das Auto gut nach Hause gebracht."

Dritter Podestplatz der Karriere

Alexander Wurz vor Heikki Kovalainen

Am Ende musste sich Alexander Wurz gegen Heikki Kovalainen verteidigen Zoom

Frage: "Das war dein drittes Podium in der Formel 1. Würdest du sagen, es waren drei geschenkte?"
Wurz: "Naja, der erste (Silverstone 1997; Anm. d. Red.) war schon stark damals, denn das war ein superstarkes Rennen. Heute war genauso gut. Imola (2005; Anm. d. Red.) war ein bisschen schade, dass ich das am Podest nicht ausloten konnte. Aber grundsätzlich lebe ich immer von Tag zu Tag, deswegen bin ich heute natürlich superhappy."

Frage: "Was sagst du zum Unfall von Robert Kubica?"
Wurz: "Wahnsinniger Unfall, brutal! Er hat richtiges Glück gehabt, dass da nicht mehr passiert ist. Ich habe es gesehen, habe dann Informationen bekommen, dass er okay ist. Ich wusste nicht genau, wie ernst für ihn der Unfall war, denn es hat brutal ausgeschaut, wie die Teile herumgeflogen sind. Zum Glück ist nichts passiert."

"Die Formel 1 ist extrem sicher - noch immer sehr gefährlich, aber ich würde mir wirklich wünschen, dass man diese Sicherheit auch auf die Straße übertragen kann, denn auf unseren Straßen sterben täglich 1.049 Leute. Diese Zahl ist einfach erschütternd, viel zu viel - und da müssen wir mit dem Motorsport anschieben, dass etwas passiert. Wenn wir ein bisschen was von dieser Sicherheit auf die Straße bringen würden, wären wir alle froh. Wenn man sieht, wie wenig in der Formel 1 bei schweren Unfällen passiert, dann ist mein Appell an die Hersteller, dass wir die passive Sicherheit, die wir in der Formel 1 haben, auch auf die Straße übertragen. 1.049 Menschenleben pro Tag zu verlieren ist furchtbar."

Frage: "Der Unfall von Robert Kubica wäre vielleicht noch glimpflicher abgelaufen, wenn die Stelle besser gesichert gewesen wäre. Werdet ihr darüber mit der FIA reden?"
Wurz: "Man muss sich das anschauen und man muss auch immer zwei Perspektiven sehen. Die FIA berechnet die Strecken nach einer Formel, dass wenn ein Unfall passiert, der Fahrer überlebt. Wir Fahrer möchten natürlich nie einschlagen, aber dann müssten wir in der Wüste herumfahren. Man muss immer einen Kompromiss finden. In diesem Fall wäre natürlich eine andere Streckenabsicherung mit einem absorbierenden Material wie in Amerika vielleicht besser gewesen, aber der erste Aufprallwinkel war relativ flach auf Beton, das war schon einmal ein Glück, und der zweite Aufprall war auf der Leitschiene, die sehr viel mehr Energie absorbieren kann. Also weiß ich nicht, ob hier anderes Material hilfreich gewesen wäre."

Formel 1 kann immer noch sicherer werden

"Wir steigen ins Auto ein - auch ich - im Bewusstsein, dass immer etwas passieren kann. Das verdränge ich nicht, mit dem lebe ich bewusst." Alexander Wurz

Frage: "Sind die Autos schon sicher genug?"
Wurz: "Sie sind nie sicher genug. Wir steigen ins Auto ein - auch ich - im Bewusstsein, dass immer etwas passieren kann. Das verdränge ich nicht, mit dem lebe ich bewusst, aber natürlich sind wir alle happy, dass sich so viele Leute für die Sicherheit einsetzen: die FIA, die Teams, die Hersteller. Das sind wirklich viele clevere Leute, die sich dafür einsetzen, die Formel-1-Autos sicher zu machen. Das sieht man bei einem Unfall wie dem von Kubica, der horrend ausgeschaut hat, hoher Speed, mehrere Einschläge - und er kommt fast unverletzt davon. Das zeigt, wie sicher es ist."

Frage: "Wie geht es jetzt intern bei Williams weiter? Im Moment schaut alles sehr gut aus..."
Wurz: "Wir haben nächste Woche schon den nächsten Grand Prix, in Indianapolis. Die Strecke hat ähnliche Anforderungen wie Kanada, allerdings ein bisschen mehr Grip vom Asphalt her. Das sollte unserem Auto entgegenkommen. Normal ist der Grand Prix dort immer ein Paarlaufen - dort gibt es nicht solche Ereignisse wie in Kanada. Dort wird es nicht so einfach, in die Top 10 zu kommen und Punkte zu machen, aber wir treten mit voller Motivation an."

Frage: "Mit acht WM-Punkten liegst du jetzt sogar vor deinem Teamkollegen."
Wurz: "Ja. Ich glaube, ich bin jetzt Achter in der WM, aber wir haben erst ein Drittel hinter uns. Die anderen zwei Drittel der Weltmeisterschaft werden sicherlich sehr hart, aber ich freue mich schon drauf."

Frage: "Niki Lauda hat dich auch gelobt. Macht dich so etwas stolz?"
Wurz: "Niki hat mich in Monaco schon gelobt, heute wieder - und ich hoffe, ich gebe ihm genügend Grund, dass er mich weiter loben kann, alle anderen auch. Im Prinzip fahre ich aber für das Team, für Williams und für mich. Wir stecken gemeinsam in einer Aufbruchphase, in der die Resultate von Nico und von mir dem Team helfen, wieder nach vorne zu kommen. Es ist schön zu sehen, wie wir alle am gleichen Strang ziehen. Ich bin stolz, für Williams am Volant zu drehen."

Ausblick auf Indianapolis

"Es ist unser einziger amerikanischer Grand Prix, deshalb gehe ich mit Freude dorthin." Alexander Wurz

Frage: "Weiter geht es in Indianapolis. Freust du dich schon?"
Wurz: "Es ist fantastisch, dort zu fahren, weil dort Geschichte des Motorsports geschrieben wurde. Wir haben in den letzten paar Jahren immer viele Zuschauer gehabt, um die 150.000, trotz des Debakels vor zwei Jahren. Es ist unser einziger amerikanischer Grand Prix, deshalb gehe ich mit Freude dorthin."

Frage: "Das Setup dort ist ähnlich wie hier, nicht wahr?"
Wurz: "Man muss wissen, dass wir nächste Woche andere Reifen haben. Bridgestone hat hier weiche und superweiche gebracht, für Indy sind es die mittleren und weichen. Das wirkt sich auf das Setup aus. Temperatur, Gripniveau, Verschleiß - das alles ist dort höher als hier. Die Steifheit des Autos kann auch eine andere sein als hier. Die Randsteine sind aggressiver, also braucht man ein anderes Setup, eine anders eingestellte Traktionskontrolle. Ich will nicht angeben, aber diese Details sind wichtig. Auch wenn das Setup ähnlich ist, ist es in Wahrheit eine ganz andere Geschichte."

Frage: "Gibt es heute eine Party?"
Wurz: "Sicher, ganz klar - eine große Party!"

Frage: "Zum Abschluss noch ein Gruß in die Heimat?"
Wurz: "Natürlich grüße ich alle Fans, alle Österreicher, die mir die Daumen gedrückt haben - auch die, die es nicht gemacht haben. Ich bin happy, heute hier die österreichische Fahne hochzuhalten und sie wieder auf dem Podest zu sehen. Das tut gut. Ich möchte meine Familie und meine Angehörigen grüßen, die zu Hause sind, und natürlich meine Frau und meine zwei Kinder, Felix und Charlie, und das dritte, das unterwegs ist."

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