Hamilton gewinnt Chaos-Grand-Prix in Kanada

Hamilton feiert in einem verrückten Grand Prix mit vier Safety-Car-Phasen seinen ersten Sieg - Kubica überlebt schweren Unfall unverletzt

(Motorsport-Total.com) - Dass der Circuit Gilles Villeneuve immer für einen Chaos-Grand-Prix gut ist, war schon vor diesem Wochenende bekannt - aber was heute auf der Île de Notre Dame an Action und Dramen geboten wurde, hat die Formel 1 seit vielen, vielen Jahren nicht mehr erlebt. Und das Allerschönste: Robert Kubica (BMW Sauber F1 Team) überlebte einen fürchterlichen Crash verhältnismäßig glimpflich.

Titel-Bild zur News: Podium in Kanada 2007

Strahlende Gesichter auf dem Podium: Heidfeld, Hamilton, Whitmarsh, Wurz

Es war die Szene des Rennens: In der 27. Runde wurde Kubica bei der Anfahrt zur Haarnadel von Jarno Trulli (Toyota) unabsichtlich abgedrängt. Der F1.07 des Polen hob auf einer Bodenwelle wie eine Rakete ab, streifte den neben der Strecke stehenden Toro-Rosso-Ferrari von Scott Speed, krachte mit voller Wucht frontal gegen eine Betonmauer und überschlug sich beim Queren der Strecke mehrfach, bis die Odyssee schließlich an der Mauer auf der anderen Seite endete.#w1#

Bange Minuten um Kubica

Kubica blieb zunächst regungslos seitlich im Cockpit hängen - und es folgten bange Minuten, als er von den Rettungskräften geborgen wurde. Das Rennen lief indes hinter dem Safety-Car weiter, doch eine Weile konnte sich niemand auf das sportliche Geschehen konzentrieren. Dann Entwarnung: Erst hieß es aus dem Medical-Center, der 22-Jährige sei stabil, später wurde dann sogar bekannt gegeben, er sei auf dem Weg ins Krankenhaus ansprechbar gewesen.

Doch der Reihe nach: Schon vor dem Start hatte Christijan Albers (Spyker-Ferrari) Getriebeprobleme, so dass er aus der Boxengasse losfahren musste, Jenson Button (Honda) kam nicht vom Fleck und stieg aus. Polesetter Lewis Hamilton (McLaren-Mercedes) kam indes am Start etwas schlechter weg als sein Teamkollege Fernando Alonso, doch Alonso bremste in der ersten Kurve außen zu spät und musste in die Wiese, dadurch schlüpfte auch Nick Heidfeld (BMW Sauber F1 Team) durch.

In der Reihenfolge Hamilton, Heidfeld, Alonso, Felipe Massa (Ferrari), Nico Rosberg (Williams-Toyota), Kimi Räikkönen (Ferrari), Giancarlo Fisichella (Renault), Kubica, Mark Webber (Red-Bull-Renault) und Takuma Sato (Super-Aguri-Honda) kamen die Top 10 aus der ersten Runde zurück. Alexander Wurz (Williams-Toyota) lag nach einem Traumstart an 15. Position, Ralf Schumacher (Toyota) war 19. vor Adrian Sutil (Spyker-Ferrari).

Wurz nach Kollision mit kaputtem Heckflügel

In der Anfangsphase war es zunächst Webber, der am meisten für Aufregung sorgte, als er zunächst durch einen Dreher zurückfiel und dann einige tolle Überholmanöver zeigte - unter anderem gegen seinen Teamkollegen David Coulthard, der keine Gegenwehr leistete. Ebenfalls in jener Phase attackierte Speed in der Haarnadel Wurz, wobei Wurz' Heckflügel beschädigt wurde, doch der Österreicher konnte zumindest weiterfahren - und das sollte sich später noch lohnen...

Robert Kubica

Robert Kubica hing nach seinem Crash zunächst regungslos im Auto Zoom

Nach zehn Runden hatte Hamilton an der Spitze schon acht Sekunden Vorsprung auf Heidfeld, der Brite sorgte also von Anfang an für klare Verhältnisse. Alonso kam weniger gut zurecht, landete im Laufe des Rennens im Senna-S insgesamt viermal neben der Strecke und fiel dadurch zwischenzeitlich auch hinter Massa zurück. Die Ferraris blieben ansonsten aber farblos, touchierten sich in der ersten Kurve sogar leicht, wobei Räikkönens Frontflügel leicht beschädigt wurde, und nie Akzente setzen.

Heidfeld kam als Erster an die Box

In der 20. Runde wurden die Boxenstopps von Heidfeld eröffnet, zwei Runden später kam auch Hamilton herein. Einen weiteren Umlauf später wurde es dann aber richtig turbulent, als Sutil mit seinem Abflug die erste von insgesamt vier Safety-Car-Phasen auslöste, denn aufgrund der neuen Regel war ab dem Zeitpunkt des Safety-Car-Signals die Boxengasse gesperrt - Alonso und Rosberg kamen dennoch herein und mussten dafür später eine Strafe absitzen.

Wie später bekannt wurde, handelte es sich bei Alonso nicht um einen Irrtum, sondern er wäre sonst wohl ohne Benzin liegen geblieben. Pech hatten aber auch all jene, die während der Safety-Car-Phase an die Box kommen mussten und dadurch im Feld zurückfielen - darunter auch die beiden Ferraris, die von dem Zeitpunkt an eigentlich keine Rolle mehr spielten. Besonders hart für Räikkönen: Er musste sich in der Box hinter Massa anstellen und abwarten.

In Runde 27 wurde das Rennen wieder freigegeben, doch gleich danach passierte der Crash von Kubica. Fast gleichzeitig zeigten die TV-Replays, dass Massa und Fisichella im Gegensatz zu Kubica bei ihrem ersten Stopp trotz roter Ampel in der Boxengasse auf die Strecke zurückgefahren waren, was natürlich für beide zur Disqualifikation führte. Über die war Massa stinksauer, was er mit einer entsprechenden Geste in die TV-Kameras quittierte.

Viele Zwischenfälle im totalen Chaos

Im Chaos war es kaum noch möglich, den Überblick zu behalten, doch einige Zwischenfälle sind gut dokumentiert: Rosberg, der wie schon in Monaco nach dem ersten Stopp und natürlich durch seine Strafe weit zurückgefallen war, geriet im Senna-S mit Trulli aneinander. Indes kam Schumacher fast unbeobachtet zwischenzeitlich bis auf den dritten Platz nach vorne, weil er als Letzter die Box zum regulären Stopp ansteuerte.

Fernando Alonso und Lewis Hamilton

Bereits am Start war Fernando Alonso im Senna-S erstmals neben der Strecke Zoom

In Runde 47 dann die endgültige Entscheidung im Rennen, als Heidfeld zum zweiten und letzten Mal reinkam. Der fehlerlos agierende Hamilton folgte eine Runde später - und konnte seine Führung souverän behaupten. Damit waren die beiden vor der Gefahr einer weiteren Safety-Car-Phase gefeit und mussten im Prinzip nur noch nach Hause fahren, denn im völlig unübersichtlichen Chaos dahinter eliminierten sich die direkten Gegner quasi gegenseitig.

Insgesamt vier Safety-Car-Phasen

Nach einem Abflug von Albers kam das Safety-Car in der 51. Runde zum dritten Mal auf die Strecke. Bei den folgenden Boxenstopps ging Alonso dank der schnellen Crew seiner Arbeit an Räikkönen vorbei, wenig später landete er aber wieder einmal neben der Strecke und fiel wieder zurück. In Runde 55 dann der Restart, wegen eines Crashs von Vitantonio Liuzzi an der "Wall of Champions" folgte aber schon im 56. Umlauf die nächste Gelbphase.

Die Reihung lautete zu jenem Zeitpunkt: Hamilton vor Heidfeld, Barrichello, Wurz, Heikki Kovalainen (Renault), Trulli, Räikkönen und Schumacher. Takuma Sato (Super-Aguri-Honda) lag an zehnter Position, sollte aber noch zu einer großen Aufholjagd ansetzen. Während (!) der letzten Safety-Car-Phase, die in der 61. von 70 Runden beendet wurde, schlitterte zu allem Überdruss auch noch Trulli in der Haarnadel in die Mauer.

Am Ende wurden die Duelle dann Mann gegen Mann ausgetragen - und weil Barrichello als einziger Fahrer aus dem Spitzenfeld noch an die Box kommen musste, lag Wurz dank seiner Einstoppstrategie vom 19. Startplatz aus plötzlich auf Podiumskurs. Der Österreicher spielte seine Routine voll aus, verteidigte sich einmal per Kampflinie gegen Kovalainen in der Zielschikane und fuhr dann im Grunde genommen sicher ins Ziel - genau zehn Jahre nach seiner Grand-Prix-Premiere in Montréal.

Tränen bei Hamilton sen. und Dennis

An der Spitze ließ Hamilton nichts mehr anbrennen, fuhr damit im sechsten Formel-1-Rennen seiner Karriere zu einem geschichtsträchtigen ersten Sieg, mit dem er auch in der Weltmeisterschaft in Führung ging. Was folgte, war zu erwarten: Tränen bei Daddy Anthony - und auch Teamchef Ron Dennis war sichtlich gerührt. Mit Heidfeld und Wurz standen bei der Siegerehrung zwei weitere sehr glückliche Piloten auf dem Podium.

Alexander Wurz

Genau zehn Jahre nach seinem Debüt auf dem Podium: Alexander Wurz Zoom

Kovalainen trug seinen vierten Platz ins Ziel, hatte bis zum Schluss seinen Landsmann Räikkönen im Genick. Mann der Schlussphase war aber zweifellos Sato: Der Japaner schnappte sich der Reihe nach Webber und Schumacher - und schrieb dann Super-Aguri-Geschichte, als er vor der Zielschikane außen an Alonso vorbeiging, der mit seinen superweichen Bridgestones zu kämpfen hatte. Lohn: Platz sechs vor dem Doppelweltmeister und Schumacher.

Viele belohnte und unbelohnte Helden

Ansonsten sahen heute nur noch Webber, der zwischenzeitlich auf Podiumskurs lag, dann aber im Chaos auf die gleiche Weise zurückfiel, wie Wurz nach vorne kam, Rosberg, Davidson und Barrichello die Zielflagge. Zehn Piloten schieden aus oder wurden nicht gewertet, womit der Circuit Gilles Villeneuve in Montréal wieder einmal seinem Ruf gerecht wurde, die Grand-Prix-Station mit der höchsten Ausfallsrate zu sein.

Was bleibt, ist große Erleichterung, denn aufgrund des fürchterlichen Kubica-Unfalls sah es minutenlang so aus, als würde Kanada 2007, der sechste von 17 WM-Läufen in der Saison, unter keinem guten Stern stehen. Schlussendlich konnten dann aber doch alle aufatmen, so dass die tollen Leistungen von Hamilton, Heidfeld, Wurz und Sato würdig und ohne dunklen Schatten gefeiert werden konnten.

Auch in der Weltmeisterschaft hat Hamilton heute wichtigen Boden gutgemacht, denn der 22-jährige Shooting-Star führt nun mit 48 Zählern recht komfortabel vor Alonso (40), Massa (33), Räikkönen (27) und Heidfeld (26), der weiterhin vorne mithalten kann. Bei den Konstrukteuren konnte McLaren-Mercedes die Führung vor Ferrari auf 88:60 ausbauen. Auf den weiteren Positionen das BMW Sauber F1 Team (38), Renault (21) und Williams (13).