Wurz: "Aufgegeben wird sicher nicht so schnell"
Der Österreicher über den Einstand bei Williams, die V8-Motoren, Schulwissen in der Formel 1, das Überholproblem, mediale Übersättigung und die "Formel Austria"
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Alex, bei den Wintertests lag der Williams-Cosworth FW28 immer wieder unter den Schnellsten. In den ersten Saisonrennen lieferte Williams eine beachtliche Performance. Abgesehen von der bedingten Aussagekraft der Testfahrten im Allgemeinen - ist das bereits, unter anderem, eine Folgeerscheinung deiner Arbeit? Sind bereits 'Wurz-Lösungen' am Auto? Oder ist dafür der Zeitraum noch zu kurz gewesen?"
Alexander Wurz: "In der Tat sind sehr schnell einige meiner Vorschläge am Auto eingesetzt worden. Wobei ich dazu sagen muss, dass das Entwickeln eines Formel-1-Autos eine sehr komplizierte Angelegenheit darstellt - es ist eine Teamarbeit, wo jeder seinen Teil einbringen muss. Logisch taugt es mir, dass ich von der ersten Minute an voll involviert war."#w1#

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Alexander Wurz ist nun bei Williams ein integraler Bestandteil des Teams
Frage: "Manche Experten haben Neo-Privatier Williams nach den Tests als Geheimtipp auf ihrer Rechnung stehen. Welche Resultate hältst du für machbar? Kann man als Privatier überhaupt noch das Podest erklimmen?"
Wurz: "Logisch können wir auf das Podest fahren. Williams ist zwar jetzt Privatier, aber das Team hat Spitzenleute und enorme Erfahrung. Der Motor ist auch sehr gut. Aber die Dichte und Ausgeglichenheit heuer ist enorm. Es ist möglich, aber hart auf das Podest zu kommen."
Wurz mag keine Vergleiche mit der Ex...
Frage: "Der FIA-Präsident höchstpersönlich lobte, Cosworth habe mit einem Bruchteil eines Hersteller-Budgets einen der besten Motoren entwickelt. Du kennst sie beide - den 'Cossie' und den Mercedes-V8. Was kannst du über die beiden Aggregate im Vergleich zueinander sagen?"
Wurz: "Vergleichst Du Deine Ex und jetzige Freundin in der Öffentlichkeit? Ich mag das nicht. Auf jeden Fall wissen wir, dass Cosworth einen echt tollen Job gemacht hat, darüber sind sich alle einig. Cosworth ist der einzige Motoren-Hersteller, der keinen Motorschaden hatte in den beiden ersten Rennen."
Frage: "Stichwort Reifen: Einige Bridgestone-Teams, allen voran Ferrari, aber auch Toyota, haben das Problem, dass sie ihre Reifen nicht auf die nötige Betriebstemperatur bringen können. Was kannst du darüber sagen? Was kannst du prinzipiell über die beiden Reifenfabrikate sagen?"
Wurz: "Prinzipiell sind beide Hersteller die vermutlich besten Reifenhersteller, die zurzeit am Markt sind. Über einen Nachteil und die Konstanz kann ich nicht klagen, was die Rundenzeiten der ersten beiden Rennen klar gezeigt haben."
"Im Winter hat das Bild vielleicht anders ausgeschaut, aber wie du selbst weißt, Wintertests sind oft aussagelos. Der Reifenkrieg ist beinhart und mir taugt das sehr - denn die Entwicklung geht so schnell, dass man immer am Drücker sein muss, um den Anschluss nicht zu verpassen."
Frage: "Viele Piloten sagen, sie hätten wegen der V8-Motoren ihren Fahrstil ändern müssen. Aggressives Fahren sei nun out, man müsse möglichst rund fahren."
Wurz: "Na am Anfang war das auch so, da waren die V8-Motoren noch recht schwach. Mittlerweile sind wir aber wieder in einem Leistungsbereich, wo man ruhig etwas aggressiver ans Werk gehen kann. Wobei man wissen muss, dass man als Fahrer ständig seinen Fahrstil anpassen muss. Das ist wichtig und unumgänglich, um konstant bei der Musik zu sein."
Schulwissen ist schön und gut, aber...
Frage: "Du hast die HTL für Kraftfahrzeugbau besucht. Du verfügst also im Unterschied zu vielen Kollegen über Ingenieurswissen. In wie fern wirkt sich das aus in deiner Arbeit mit den Ingenieuren? Kann man sich das so vorstellen, dass du mit den Technikern über Achslasten und Kräfteparallelogramme sprichst, wo dann herkömmlich ausgebildete Fahrer nur noch passen können? Bist du in gewissem Maße auch im Konstruktionsbüro, beim Entwurf der Boliden, dabei?"
Wurz: "Okay, gute Frage. Grundsätzlich war meine HTL-Zeit zwar schön und gut - aber was keine Schule so richtig schafft, ist dass man im täglichen Leben auf ganz spezielle Aufgaben stößt und vor allem, dass man Entscheidungen treffen muss - das ist das Wichtigste, eigentlich."
"Die Physik und Kinematik hilft mir sicher, Dinge zu verstehen. Einzig mein Physiklehrer in der HTL hatte versucht, uns Schülern auch gesundes Querdenken zu vermitteln. Naja, am wichtigsten ist: Entscheidungen treffen zu können, kommunizieren zu können und, logisch, den richtigen Bleifuss braucht man auch."
Frage: "Du hast in einem Interview mit dem 'Sportmagazin' eine lebhafte 'Grabrede' an den V10 gehalten, sprachst vom 'Popscherl', das beim V10 noch nervös wurde und so weiter. Ist das Fahren mit dem V8 jetzt leichter geworden? Bist du eigentlich ein Freund der Traktionskontrolle? "
Wurz: "Das Interview mit dem 'Sportmagazin' war ganz am Anfang der ersten V8-Testfahrten, da hatten wir noch weit weniger Leistung wie schon jetzt wieder. Es war vielleicht ein wenig überspitzt, aber dennoch hat der V10 mit 930 PS schon enorm angeschoben. Wobei auch 740 PS ausreichen mit 250 km/h ganz zart den Hintern zu versetzen."
"In punkto Traktionskontrolle bin ich ein Fan davon - heutige Formel-1-Autos würden ohnehin nicht driften, weil die Reifen das nicht zulassen in der Art und Weise, wie manche sich das vorstellen. Mit Traktionskontrolle - die im Übrigen überhaupt keine Fahrhilfe ist wie in einem Straßenauto - fährt es sich generell knapper am echten physikalischen Limit. Und das ist geil."
Frage: "Eine tschechische Rennfahrerin sagte: 'Autos haben keine Gesichter mehr!'. Tatsächlich können viele Zuschauer keine Unterschiede mehr zwischen dem aktuellen und dem Vorjahrsmodell ausmachen. Außerdem sehen auch die verschiedenen Fabrikate nicht mehr so unterschiedlich aus wie früher. Liegt das nur daran, dass die Regeln so engmaschig sind? Oder würden die Autos auch bei einem geöffneten, freieren Reglement einander ähnlich sehen? Ist im Formel-1-Fahrzeugbau quasi die Optimalform erreicht?"
Wurz: "Hängt an den Regeln, mit dieser Aussage kann ich wenig anfangen."
Die moderne Formel 1 ist laut Wurz attraktiver als ihr Ruf
Frage: "Man spricht immer wieder über das Überholproblem wegen der 'Dirty Air' im Heck eines Konkurrenten. Andererseits gab es im letzten Jahr einige spannende Überholmanöver. Was sagst du zu dieser Problematik? Was hältst du von dem von der FIA gemeinsam mit AMD entwickelten CDG-Wing?"
Wurz: "Wenn die besten Piloten gegeneinander antreten wird halt wenig überholt. Und solche Rennen, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, hat's ja noch nie gegeben. Wenn man an die viel gepriesenen 80er denkt - da hat Senna 50 Sekunden vor Prost gewonnen und der Dritte war 1 Runde zurück. Jetzt ist zwischen dem Ersten und Sechsten manchmal nur 20 Sekunden Unterschied im Ziel. Leider ist die mediale Übersättigung des Konsumenten so hoch, dass man immer nur hundert Prozent Spannung haben will, was es leider nicht spielen kann."
Frage: "Die Formel 1 geht eher in die Richtung einer über Perioden eingefrorenen Entwicklung, sowohl bei den Motoren als auch in punkto Aerodynamik soll die Entwicklung stark eingedämmt werden. Zudem gibt es immer mehr Einheitsteile. Was hältst du davon? Ist das dann noch die Königsklasse? Und ist das für dich persönlich, als großer Entwickler, nicht ein Riesennachteil?"
Wurz: "Wir müssen abwarten, was schlussendlich rauskommt. Alles hat für und wieder. Was den Markt der Entwicklungsfahrer angeht, bin ich aber sicher, dass wir gerade in den goldenen Jahren sind. Dessen bin ich mir bewusst."
Frage: "Die Österreicher sind in der Formel 1 so prominent vertreten wie noch nie. Was sagst du zur 'Formel Austria'?"
Wurz: "Irgendwann waren mal drei Österreicher in den Punkten - Lauda, Berger und Gartner, wenn ich mich recht erinnere. Logisch bin ich stolz, Österreicher zu sein - aber das ist in der Formel 1 heutzutage kein Vorteil mehr."
Frage: "Du wirkst stets freundlich und nett, aber du giltst zugleich auch als ein ziemlicher 'Beißer' - vor allem, wenn es um den sportlichen Wettkampf oder um das Belasten des eigenen Körpers geht. Was suchst und findest du beim Betreiben von Extremsportarten? Wie würdest du diesen 'Kick' beschreiben?"
Wurz: "Kein Kick, ich suche keinen Kick und ich brauche keinen Kick. Jede Sportart, die unberechtigt als Extremsportart bezeichnet wird, ist für mich eine aktive Meditation. Ich genieße es einfach, klettern oder kitesurfen zu gehen, weil bei der Betätigung mein Geist voll bei der Sache ist und sonst nichts anderes in diesem Augenblick zählt außer dem Hier und Jetzt - kein Kick - kein Adrenalin-Junkie! Und wenn ich kein Beißer wäre, dann wäre ich nicht Profisportler."
Wurz macht es "keinen Spaß mit 280 in die Mauer zu krachen"
Frage: "In Kanada hattest du einmal einen Überschlag und du sollst noch kopfüber im Auto nach dem Ersatzwagen gefragt haben. Gut in Erinnerung ist auch die Rad-an-Rad-Fahrt neben Michael Schumacher in Monaco. Du hattest mit McLaren auch schon haarsträubende Testunfälle. Gibt es irgendetwas in deinem Leben, vor dem auch du Angst hast? Oder wird bei dir beim Ausüben des Sports eine Art Kippschalter betätigt, wo es einfach keine Angst mehr gibt?"
Wurz: "Sehr tiefgehende Frage, die ich aufgrund der Länge des Interviews eigentlich nur oberflächlich ankratzen kann. Keine Angst, natürlich Respekt und es macht keinen Spaß mit 280 in die Mauer zu krachen - wie in Paul Ricard, was angeblich der schnellste je gewesene Formel-1-Unfall war, bei dem der Pilot unverletzt ausgestiegen ist. Soweit bin ich noch recht relaxed - sollte ich mal Angst haben, ist es an der Zeit, den Helm an den Nagel zu hängen."
Frage: "Im Vorjahr bist du nach Jahren wieder einen GP gefahren und wurdest auf der Strecke Vierter, im Endeffekt sogar Dritter. Sowohl du als auch Pedro lieferten starke Rennen mit großem Kampfgeist. Warum kann man das Rennfahren nicht verlernen? Ist das Renntalent oder der Rennvirus so tief verankert, dass es jederzeit wieder abrufbar ist?"
Wurz: "Wenn Du jede Woche am Limit fährst, gegen Weltmeister, Grand-Prix-Sieger und Megatalente beim Testen antrittst, bist du logisch bei der Musik dabei."
Frage: "Du bist beinahe zehn Jahre älter als Christian Klien. Der Red-Bull-Pilot hatte unlängst mit Negativpresse im Zusammenhang mit einem Diskobesuch zu kämpfen. Kimi Räikkönen hat da auch seine Erfahrungen. Einerseits wird über 'zu brave F1-Fahrer' geklagt, andererseits regt man sich auf, wenn mal jemand zu tief in ein Glas schaut. Wie ist deine Meinung zu dieser Frage? Sollte man Extremsportlern nicht auch eine gewisse Entrücktheit eingestehen? Respektive muss man nicht ohnehin ein bisschen seltsam sein, um sich überhaupt in so ein Gefährt zu setzen?"
Wurz: "Alles ein Problem der medialen Übersättigung. Medien müssen berichten, Internetmedien bringen sogar jeden Tag mehrere Geschichten, und dann gibt es halt nur schwarz oder weiß. Ob der eine mal was schluckt und ein anderer mal wem eine andrückt, sollte ja immer der Situation nach bewertet werden und auf keinen Fall sollte man es verallgemeinern. Im Grunde sind alle Sportler eigene Menschen, was doch auch super ist."
Dank 'Direxiv' zum Comeback als Einsatzpilot?
Frage: "Auf deinem Helm prangt das 'Direxiv'-Logo. Diese Firma soll angeblich eine Art McLaren-Zweitteam planen. Daraus könnte man jetzt natürlich Rückschlüsse ziehen. Ist 'Direxiv' lediglich ein Sponsor oder gibt es darüber hinaus Verbindungen zu dieser Firma?"
Wurz: "'Direxiv' ist eine japanische Firma, die ihre Ziele zielstrebig verfolgt. Ich bin Freund des Hauses, schon seit einiger Zeit, und habe 'Direxiv' als persönlichen Sponsor in diesem Jahr. Des weiteren bin ich bei 'Direxiv' auch als Art Mentor für deren Junior Programm dabei."
Frage: "Die Frage der Fragen ist jene nach deinem Renncomeback. Du bist erst 32, könntest also locker noch mindestens 5 Jahre in der Formel 1 bleiben. Du hast mehrfach betont, dass du nicht über deinen Williams-Vertrag sprechen möchtest. Und dass du immer noch ein Renncomeback anstrebst. Kannst du deinen Fans zumindest verraten, wie hoch du deine Chancen einschätzt, 2007 wieder in der Startaufstellung zu stehen?"
Wurz: "Die Chanceneinschätzung ist unmöglich, denn knapp dran sein, oder wie schon in den Vorjahren ganz knapp dran gewesen zu sein ist eben nicht am Start stehen. Keine Ahnung, was laufen wird - aufgegeben wird sicher nicht so schnell."

