Wie schlecht ist Renault wirklich?

Offenbar noch schlechter als 2007: Pat Symonds und Bob Bell analysieren nach drei Saisonrennen die Krise des einstigen Weltmeisterteams

(Motorsport-Total.com) - Die nackten Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2006 hatte Renault als WM-Leader nach drei Saisonrennen 42 Punkte auf dem Konto, 2007 (3.) immerhin neun - dieses Jahr nur deren sechs, was momentan Platz sechs bei den Konstrukteuren bedeutet. Und das trotz der Rückkehr von Fernando Alonso, den viele im Winter noch als großen Heilsbringer gehandelt hatten.

Titel-Bild zur News: Nelson Piquet Jr.

Der Renault R28 schnitt bisher sogar schlechter ab als das Vorgängermodell

Aber Wunder gibt es in der Formel 1 eben nicht, und so muss Renault aufpassen, in der Hierarchie der Königsklasse nicht in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen. Bei den schnellsten Rennrunden war man in Australien im Teamdurchschnitt Neunter (+ 2,558), in Malaysia (+ 0,979) und Bahrain (+ 1,507) jeweils Siebenter. Da schrillen natürlich alle Alarmglocken: "Fisichellas schnellste Rennrunde war schneller als meine, dabei fährt er Force India", war Alonso nach Platz zehn in Bahrain entsetzt.#w1#

Verständnis für Alonsos Enttäuschung

Das Team hat Verständnis für den Groll des entthronten Doppelweltmeisters: "Er ist sehr enttäuscht - zurecht, denn wir haben ihm nicht das Auto gebaut, das er erwartet hatte. Wir haben uns nicht der Illusion hingegeben, dass wir mit Ferrari und McLaren um den Titel kämpfen würden, aber genau wie das Team hat er schon auf Podestplätze gehofft und vielleicht auf den einen oder anderen Sieg, wenn andere ausfallen. Das war unser Ziel, aber das haben wir nicht erreicht", sagte Technikchef Bob Bell.

"Wir haben Fernando nicht das Auto gebaut, das er erwartet hatte." Bob Bell

Umso besorgniserregender ist die Situation, als man Alonso unbedingt längerfristig halten möchte. Wenn es aber nicht bald aufwärts geht, wird er sich für 2009 sicher nach einem anderen Auto umsehen. Bell: "Fernando ist ein Kämpfer - ganz egal, wie gut oder schlecht das Auto ist, er holt immer das Maximum heraus. Unsere Aufgabe ist es, diese Motivation in ihm aufrechtzuerhalten, indem wir die Probleme des Autos so gut es geht angehen."

Immerhin stieß der Spanier in Bahrain zum zweiten Mal hintereinander ins Top-10-Qualifying vor, aber: "Das Qualifying von Fernando hat uns ein bisschen geschmeichelt, denn wir waren sicher nicht das zehntschnellste Auto", analysierte Chefingenieur Pat Symonds frustriert. "Seine schnellste Rennrunde war die 13. im Feld. Die Performance im Qualifying war also etwas besser als die im Rennen, aber beide waren nicht annähernd so gut, wie wir es uns erwarten würden."

Im Rennen in Bahrain gehandicapt

Im Rennen wurde Alonso regelrecht gedemütigt, als er nicht einmal am Toyota von Timo Glock vorbeikam, obwohl der junge Deutsche in seinem siebenten Formel-1-Rennen mit massiven Getriebeproblemen zu kämpfen hatte. Fairerweise muss man allerdings anmerken, dass auch Renaults Aushängeschild gehandicapt war: "Nach der Kollision mit Hamilton zu Beginn fehlte ein großer Teil der Heckflügelendplatte und des Flaps", klärte Symonds auf.

"Nach der Kollision mit Hamilton zu Beginn fehlte ein großer Teil der Heckflügelendplatte und des Flaps." Pat Symonds

Apropos Hamilton-Kollision: Nach dem Rennen vermuteten einige britische Journalisten, Alonso könnte absichtlich vom Gas gegangen sein, um seinen ungeliebten Teamkollegen von 2007 auflaufen zu lassen. Symonds legte daher die Telemetriedaten offen und bewies das Gegenteil: "Ich habe die Daten gezeigt, weil ich nicht wollte, dass irgendjemand denkt, Fernando habe absichtlich gelupft. Die Daten belegen, dass er das nicht getan hat", hielt der erfahrene Ingenieur fest.

Was ist anders als 2005 und 2006?

Gleichzeitig ist allen klar, dass Alonso auch ohne den Zusammenstoß am vergangenen Sonntag keine große Rolle gespielt hätte. Aber wo ist im R28 der Hund begraben? Die Ausrede, dass der Wechsel von Michelin- auf Bridgestone-Reifen nicht zum Konzept passt, gilt im zweiten Jahr auf den Einheitspneus nicht mehr, und an der Qualität des Teams kann es auch nicht liegen - bis auf Alonsos früheren Renningenieur Rod Nelson sind noch alle Masterminds von 2005/06 beisammen.

Fernando Alonso

Wenn Renault nicht zulegen kann, wird Fernando Alonso die Lust verlieren... Zoom

Zumindest hört man aus Enstone - wie schon seit einem Jahr -, dass man ganz genau weiß, was das Problem ist. Bells auf Ursachenforschung: "Eindeutig liegt unser größtes Defizit in der Aerodynamik. Daher arbeiten wir momentan nicht nur am Design des Fahrzeugs, sondern auch an der Organisation des Aerodynamikbereichs. Hinter den Kulissen wird da gerade viel getan", gab der Brite zu Protokoll. Wichtig zu wissen: Im Sommer soll das neue CFD-Zentrum in Betrieb gehen.

Warum die Aerodynamik des R28 nicht funktioniert, ist Bells Kompagnon Symonds ein Rätsel - an der mangelnden Risikobereitschaft im Designbereich liege es jedenfalls nicht: "Wir haben im Vergleich zu den vergangenen Jahren in diesem Winter sehr große Änderungen gemacht. Wir haben die Aerodynamikabteilung umgestellt und viel verändert: neue Vorderradaufhängung, komplett neues Layout der Frontpartie", zählte er auf.

Europaauftakt in Barcelona als Richtungsweiser

Vor dem Alonso-Heimrennen in Barcelona hat man dort immerhin Gelegenheit, drei Tage zu testen: "Barcelona ist ein wichtiger Test", so Symonds. "Wir müssen Performance finden, aber leider auch zuverlässiger werden, denn wir hatten jetzt schon ein paar Ausfälle. Das hilft natürlich nicht, wenn es in einer Weltmeisterschaft so eng ist und Punkte so schwierig zu holen sind. Da muss man zur Stelle sein, wenn die Spitzenfahrer einen schlechten Tag haben. Im Moment können wir das nicht."

"Man muss zur Stelle sein, wenn die Spitzenfahrer einen schlechten Tag haben." Pat Symonds

Doch die Aussagen der Renault-Techniker klingen ein wenig nach Durchhalteparolen. Zumindest scheint man sich des Ernsts der Lage bewusst zu sein: "Wir müssen große Schritte machen, schnell, und nicht viele kleine, denn dafür haben wir keine Zeit", betonte Bell abschließend. "Der erste Schritt muss schon in Barcelona kommen. Das Ziel ist, gegen Saisonmitte das Mittelfeldpaket überholt und einigermaßen den Anschluss an die drei Topteams geschafft zu haben."