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  • 10.08.2015 19:35

  • von Glenn Freeman (Haymarket)

Wie die Formel 1 ihre Spiele zurückhält

Codemasters ist für sein neues Formel-1-Spiel und die Änderungen zu loben, doch durch den Ansatz der Formel 1 hängt man Konkurrenten immer hinterher

(Motorsport-Total.com) - Es hat eine ganze Weile gedauert, aber in den vergangenen zwölf Monaten hat die Formel 1 versucht, auf das 21. Jahrhundert aufzuholen. Soziale Medien, YouTube und mobile Apps haben nun endlich etwas Licht von den hohen Tieren hinter der Spitze des Motorsports erhalten, nachdem sie jahrelang übersehen wurden. Aber es gibt immer noch einen wichtigen Bereich, in dem die Formel 1 ihre Möglichkeiten ausschöpfen muss, will sie neue, jüngere Fans gewinnen: Videospiele.

Titel-Bild zur News: F1 2015

Codemasters entwickelt seit 2009 die offiziellen Formel-1-Videospiele Zoom

Codemasters, die seit 2009 die Lizenz für das offizielle Formel-1-Spiel in jedem Jahr besitzen, haben mit F1 2015 neues Leben in ihre Serie eingehaucht. Es ist der erste Titel, der für die neusten Konsolen-Generationen Playstation 4 und Xbox One erscheint. Das Spiel hat seine Beschränkungen, die wir später noch erläutern werden, aber es wäre falsch, die ganze Kritik - besonders zu fehlender Tiefe und Flexibilität - an die Entwickler zu schicken.

Codemasters besitzt einen strikten Auftrag: eine akkurate Repräsentation der aktuellen Formel-1-Saison zu produzieren - und im Moment ist der Spielraum für Kreativität abseits davon ziemlich begrenzt. Aktuell haben die Macher der Formel 1 nicht viel Interesse daran gezeigt, dass die offizielle Spielereihe mit anderen großen Sportarten mithält, zum Beispiel indem man den Spielern mehr Möglichkeiten gibt, als nur die exakte Kopie der neusten Saison zu spielen.

Die Sache mit den Verträgen...

2015 reicht das aber nicht mehr aus. Spieler wurden verwöhnt, dass sie in den Spielen alle möglichen Dinge abseits der eigentlichen Sportart machen konnten. Egal ob es Fußball, Basketball, Golf, Wrestling oder jegliche erdenkliche andere große Sportart ist: Ihre Spiele haben sich dahingehend entwickelt, dass der Spieler den Sport auf so vielen Ebenen leben und atmen kann. Die Grenzen zwischen Rollenspielen und reinen Sportspielen sind längst verschwommen, aber die vertraglichen Restriktionen der Formel 1 haben es davon abgehalten, Schritt zu halten.

Als Ideen wie eigene Anpassungen, Teammanagement und Rahmenserien vorgeschlagen wurden, sorgte F1 2015s Chefdesigner Lee Mather für Hoffnungsschimmer, dass Veränderungen am Horizont zu sehen sind. "Wir haben mit der Formel 1 tiefgehende Gespräche darüber geführt, was wir gerne in Zukunft machen würden, und sie stehen einigen Ideen offen gegenüber", sagte er. "Wir haben einen Dialog über zukünftige Dinge eröffnet und möchten etwas Besonderes tun."

Bernie Ecclestone

Die Formel-1-Bosse schränken mit ihren Regeln die Spielemacher ein Zoom

In einem Interview verriet Spieledirektor Paul Jean kürzlich, dass Codemasters "gerne eine komplett freie Welt" hätte, "in der alle Fahrer frei zu anderen Teams wechseln könnten, aber das ist ein politisches Thema." Mit dem zweidimensionalen 20.-Jahrhundert-Ansatz der Formel 1 zu Verträgen und diversen Bildrechten kommen Gamer in einer Industrie, die eine riesige Werbeplattform anbietet, nicht auf ihre Kosten.

Computer aggressiver und schlauer

Wie steht F1 2015 also da? Das Spiel ist jetzt seit einigen Wochen draußen, was uns einige Zeit verschafft, uns einzugewöhnen und mehr als nur ein paar Schnappeindrücke zu geben. Codemasters hat eine revolutionäre Computerintelligenz und ein überarbeitetes Handling-Modell versprochen - und hat beides geliefert. Nicht länger werden Computergegner von der Straße verschreckt, nachdem den Vorgängern jahrelang die Eier fehlten, um sich gegen überaggressive Spieler zu wehren.

Wenn du deine Nase auf einer Geraden oder Bremszone halbherzig zeigst und erwartest, dass deine Gegner aus dem Weg springen, oder wenn du deinen Gegner schneidest um deine Position zu halten, dann wirst du schockiert sein - und ein paar Einschläge erleben, während du lernst, wie wenig du damit davonkommst. Ein weiteres Plus ist die Art und Weise, wie die Computergegner miteinander interagieren. Es ist nun genauso wahrscheinlich, dass sie selbst Kollisionen herbeiführen, was einen tieferen Level an Realität in den virtuellen Grand Prix bringt. Jetzt weißt du, dass Zwischenfälle ohne deinen Einfluss im Rennen passieren, und das macht das Anschauen der Replays spaßiger als zuvor.

Das funktioniert gut an der Seite eines verbesserten Strafensystems, das dich nicht mehr so schnell für kleinste Berührungen im dichten Feld bestraft, außerdem bekommen nun auch die Gegner mehr Strafen für das Heraufbeschwören von Kollisionen. Wir haben selbst gesehen, dass ein Auto vom Qualifying ausgeschlossen wurde und dass Zeitstrafen für Vergehen bei gelber Flagge ausgesprochen wurden. Gute Augen für Details.

Neuer Erscheinungstermin lobenswert

Die stark verbesserte künstliche Intelligenz (KI) ist einer der größten Faktoren des Spiels, der beweist, dass Codemasters seinen Vorgängertiteln nicht einfach eine neue Farbe verliehen hat, um die Formel 1 mit kraftvolleren Maschinen schöner aussehen zu lassen. Es gab verständliche Sorgen, dass genau das der Fall sein würde, besonders da die PS3-/X-Box-360-Generation der Spiele (F1 2010-2014) Momentum zu verlieren schien.

Für das Release 2015 wurde aber viel Zeit aufgewendet, obwohl man unter mehr Druck stand, weil das Spiel die Ladentische schon Mitte des Jahres erreichen musste anstatt Ende des Jahres wie bei den vergangenen Spielen. Das war ein großartiger Zug, da es sich immer seltsam angefühlt hat, deine virtuelle Saison mit dem Australien-Grand-Prix zu beginnen, wenn die echte Saison schon fast zu Ende war. Das Spiel vor der Sommerpause zu bekommen - und es trotzdem mit der neuen McLaren-Lackierung ab dem Spanien-Grand-Prix zu versehen - ist Anerkennung wert. Hoffentlich ist das jetzt Standard.

F1 2015

Das Spiel wurde renntechnisch enorm aufgewertet Zoom

Es gab einen weiteren großen Faktor, der Bearbeitung bedurfte: das Handling der Autos. Die träge Steuerung der Vorgänger ist Vergangenheit. Selbst mit einem Gamepad (das laut Schätzungen von Codemasters 95-97 Prozent der Spieler nutzen) fühlen sich die Autos flink und ansprechbar an. Es braucht eine Weile, um sich daran zu gewöhnen, nachdem man fünf Jahre lang öfters beim Bremsen eingelenkt hat als man sollte, aber die Meister der Fingerspitzen-Fahrer können nun präziser fahren, und jeder der zuvor Probleme hatte, kann sich nun besser aus Situationen befreien.

Handling-Revolution

Zuvor war es frustrierend schwierig, sich zu erholen, wenn man eine Kurve nicht richtig hinbekommen hatte, da die Autos möglicherweise nicht ordentlich reagiert haben. F1 2015 ist in dieser Hinsicht ein Schritt nach vorne, und nur wenig des Handling-Modells fühlt sich ähnlich zu vorherigen Titeln an, von daher hat Codemasters spürbar hart gearbeitet. Gibt es ein völliges Gefühl von Simulation? Nicht sonderlich, aber die meisten Beschwerden werden von Leuten kommen, die keine Ahnung haben, wie sich ein Formel-1-Auto anfühlt - besonders am Limit.

Die Veränderungen ermöglichen Spielern mehr zu attackieren, und man kann in einen zufriedenstellenden, konstanten Rhythmus kommen. Echte Formel-1-Autos schlucken Randsteine gut, und jetzt können ihre virtuellen Pendants das ebenfalls. Du kannst Bremszonen attackieren, während sich das Auto unter dir windet, wenn du zu spät bremst, und du kannst die Zeit wegfließen sehen, wenn du den Scheitelpunkt nur knapp verpasst. Die Autos bewegen sich auch mit der Power gut, aber auf kontrollierbare Weise.

Das Spiel scheint einen besseren Job gemacht zu haben, auf dem schmalen Grat zu wandern, der unerfahrenen Spielern den Wettbewerb ermöglicht und den Harcore-Racern etwas zum Denken verschafft. Das bringt uns zurück zur KI. Es ist nicht nur das Auto des Spielers, das lebhafter auf der Strecke aussieht, auch die Computergegner bewegen sich mehr und geraten durch das Drehmoment des Turbomotors leicht außer Kontrolle.

F1 2015

Von Einsteiger bis Gaming-Freak findet jeder seinen Level Zoom

Wenn der Reifenabbau ins Spiel kommt, dann kann man merken, wie die Spitzen-KI-Fahrer das Auto handlen können, auch wenn es eindeutig mehr herumrutscht. Der Spieler muss genauso am Limit sein, um mitzuhalten. Mit einem verbesserten Reifenmodell, auf das Codemasters zurecht stolz ist, ist der Reifenabbau viel weniger frustrierend als zuvor. Der Performance-Abbau der Pirellis ist realistischer, sodass dein Auto in den Kurven langsamer ist und dich weniger attackieren lässt, anstatt es fast unfahrbar zu machen und dich in einen Dreher zu zwingen.

Es fehlt Variabilität

Zu Beginn haben wir gesagt, dass wir auch auf die Einschränkungen des Spiels eingehen, und nicht nur da sind, um ein Loblied auf F1 2015 anzustimmen, auch wenn wir im Großen und Ganzen beeindruckt sind. Die Spielmodi sind limitiert: Der einzige Unterschied zwischen einer kompletten Saison im Modus "Schnelles Rennen" und einer "Meisterschafts-Saison" scheinen mehr Cut-Scenes vor und nach dem Rennen zu sein.

Die dritte Option ist "Pro Season", also Rennen auf voller Distanz, ohne Fahrhilfen und mit verbindlicher Nutzung der Helmkamera - alles Features, die man auch in den anderen beiden Modi einstellen kann. Der Karriere-Modus der vorherigen Generationen wurde geparkt, während Codemasters herausarbeitet, wie man eine stagnierende Idee wiederbelebt. Das ist okay, aber es ist schade, komplett die Fähigkeit zu verlieren, den eigenen Namen in ein Spiel zu bringen. Das ist ein kleiner Makel, aber genau dieser kleine Touch, an den sich die Leute in den meisten Sporttiteln gewöhnt haben.

Und während die Änderungsmöglichkeiten bei Wochenendeinstellungen, Fahrhilfen und Saisonkalender großartig sind, erscheint der Sprung der Renndistanz von fünf Runden auf 25 Prozent des kompletten Rennens sehr groß. Fünf Runden sorgen für wildes, kurzes, scharfes Racing und viel Spaß, aber wenn man ein wenig mehr Fleisch auf den Knochen seines Grand Prix will, dann muss man viel mehr Zeit pro Rennwochenende investieren.

Besseres Gaming = mehr Fans?

Obwohl das Spiel so gut in den verbesserten Bereichen ist, leidet es immer noch an dem Fakt, dass es das aktuelle Kräfteverhältnis der Formel 1 wiedergeben muss. Für Spannung an der Spitze braucht man ein Rennen, wo Ferrari auf Augenhöhe mit Mercedes ist. Wir waren sogar (einmal) so glücklich, dass ein Williams-Pilot mit dabei war, und man wünscht sich, dass das Feld etwas enger beisammen wäre, damit die Kraft des neuen KI-Modells wirklich ausgenutzt werden kann. Wobei man im wahren Leben wenig machen kann, bis die Rivalen von Mercedes aufgeholt haben, doch wir hätten nichts dagegen, wenn die schwankende Teamperformance von Saison zu Saison, die im Karriere-Modus des 2012er-Spiels einen kurzen Auftritt hatte, zurückkehrt.

Kritiker der Formel-1-Spiele werden mit dem Finger weiter auf die fehlende Spieltiefe abseits einer einfachen Formel-1-Saison zeigen, aber der Schlüssel des Spieles war es, dass die Serie wieder Momentum aufnimmt - und das hat F1 2015 geschafft. Bis die versprochenen aufregenden Entwicklungen kommen - hoffentlich in F1 2016 - hat Codemasters wieder Leben in eine Serie gehaucht, indem sie das spielbarste und spaßigste Grand-Prix-Spiel seit vielen Jahren entwickelt hat.

F1 2015

Nur wenig Modi: Die Formel 1 sollte die Fesseln lösen... Zoom

Die Leute hinter den Formel-1-Spielen haben sich in diesem Jahr mächtig ins Zeug gelegt. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Anteilhaber, die für die Lizenz verantwortlich sind, die Fesseln ablegen und den Fans etwas geben, für das sie sich wirklich begeistern können. Wer weiß, vielleicht bringt es sogar einige Leute mehr dazu, am Sonntagnachmittag einzuschalten.