• 03.11.2008 01:48

Whitmarsh: "Mussten uns an Glock orientieren"

McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh erklärt im Interview, weshalb keine Panik aufkam, als Sebastian Vettel an Lewis Hamilton vorbeiging

(Motorsport-Total.com) - Was für ein Drama: Als Sebastian Vettel in der drittletzten Runde des Grand Prix von Brasilien an Lewis Hamilton vorbeiging, sah Felipe Massa für einen Moment lang schon wie der sichere Weltmeister aus. Doch das Drama um Timo Glock, der mit Trockenreifen im Regen aufgeschmissen war, rettete den Silberpfeilen den WM-Titel.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Auch Martin Whitmarsh fiel nach dem Rennen ein Stein vom Herzen

Hamilton krönte sich also gestern zum Nachfolger von Kimi Räikkönen - doch was für die TV-Zuschauer wie reines Glück aussah, als er Glock in der letzten Kurve vor der Zielflagge noch packte, war in Wahrheit anscheinend geistesgegenwärtiges Kalkül. Diese Version unterbreitete uns zumindest Martin Whitmarsh, Geschäftsführer des McLaren-Mercedes-Teams, in seiner traditionellen Analyserunde für die Medien.#w1#

Angst vor Heißsporn Vettel

Frage: "Martin, was für ein Drama in der letzten Runde!"
Whitmarsh: "Es war ein hektischer Tag. Es ist ein komisches Gefühl, um den fünften Platz zu fahren. Dass er in der letzten Kurve nichts riskiert hat, war absolut richtig. Wir haben zu Lewis gesagt: 'Lass Vettel durch, er ist ein junger Heißsporn, wir können kein Risiko eingehen!' Wir wussten, dass wir gegen Glock fahren. Wir mussten Fünfter werden, sahen Glock, hatten das GPS und wir sahen, dass wir Glock immer näher kamen. Wir waren überzeugt, dass wir ihn in der letzten Runde noch einholen würden. Aber dann fragst du dich, ob es wirklich so stark regnet, ob es wirklich noch geht. Wir starrten auf unsere Vorhersagen und waren uns nicht sicher, ob wir uns richtig entschieden hatten."

"Ich bin mir sicher, Lewis war viel cooler als wir alle zusammen auf der Boxenmauer." Martin Whitmarsh

Frage: "Es war also geplant, Vettel durchzulassen?"
Whitmarsh: "Nein, wir wollten ihn nicht durchlassen, aber als er einmal durch war, sagten wir zu Lewis: 'Glock ist auf Trockenreifen, du wirst ihn in der letzten Runde überholen! Aber solange du nicht vorbei bist, bist du nicht vorbei!' Lewis blieb unglaublich cool. Ich bin mir sicher, er war viel cooler als wir alle zusammen auf der Boxenmauer. Wir haben also damit gerechnet, dass es klappen wird, aber als es dann tatsächlich geklappt hat, war es eine große Erleichterung."

Frage: "Warum habt ihr Vettel durchgelassen?"
Whitmarsh: "Wir mussten ihn nicht hinter uns halten. Vettel ist ein junger Kerl, sehr ehrgeizig, es war rutschig - das ist ein hohes Risiko. Lewis brauchte einen fünften Platz. Am Ende hat es gereicht. Im Trockenen wäre es gar nicht mehr so spannend geworden."

Frage: "Hast du jemals schon solche Berechnungen anstellen müssen wie heute?"
Whitmarsh: "Nein, nicht dass ich wüsste (lacht; Anm. d. Red.)! Das wird es vielleicht auch nicht mehr geben. Du siehst das GPS, weißt, es geht noch eine Runde, hast selbst keinen Einfluss mehr darauf. Wenn du dann Glock siehst, ist das eine Riesenerleichterung."

Risikomanagement statt Tempobolzerei

"Wir haben das getan, was wir für richtig hielten." Martin Whitmarsh

Frage: "Das war erst in der letzten Kurve. Kann man es noch knapper timen?"
Whitmarsh: "Wir haben es nicht absichtlich so geplant, sondern wir haben das getan, was wir für richtig hielten. Das ganze Rennen hindurch haben wir alle Risiken minimiert und alles getan, was dafür notwendig war. Wir mussten uns an Glock orientieren und ihn in Schach halten. Das war ungewohnt, denn normalerweise sind wir so ausgerichtet, dass wir gewinnen. Das Rennen zu fahren und nur Fünfter werden zu müssen, aber unter keinen Umständen ausfallen zu dürfen, das kann eine große Herausforderung sein, wie wir heute erlebt haben."

Frage: "Würdest du sagen, dass der erste WM-Titel der schwierigste ist?"
Whitmarsh: "Es war eine harte Nuss für Lewis. Ich möchte Ferrari und Felipe gratulieren, denn sie haben den Konstrukteurs-WM-Titel verdient gewonnen. Wir haben es ihnen dieses Jahr einige Male leicht gemacht, aber Felipe, der schon immer unglaublich schnell war, war dieses Jahr auch unglaublich konstant. Kimi ist ein starker Referenzpunkt, aber er hatte ihn im Griff."

"Lewis stand unter enormem Druck. Nach Brasilien zu kommen und einen Brasilianer schlagen zu müssen, das ist eine schwierige Aufgabe. Für Lewis ist es ein Riesenerfolg. Er ist jetzt der jüngste Weltmeister aller Zeiten. Ich bin mir sicher, dass er in seiner Karriere noch viele weitere Weltmeisterschaften gewinnen wird!"


Fotos: McLaren-Mercedes, Großer Preis von Brasilien, Sonntag