• 23.11.2013 11:13

  • von Dominik Sharaf

Whitmarsh: Fahrerfreund, der ein halbes Flugzeug feuerte

Der McLaren-Teamchef erklärt die Trennung von Perez, wundert sich über falsche Versprechungen sowie seine Naivität und schimpft über Nachwuchs-Paydriver

(Motorsport-Total.com) - Martin Whitmarsh ist kein Teamchef vom Typ Bulldozer, Zyniker oder unberechenbarer Despot. Der smarte Brite redet Klartext und lässt selten etwas auf Fahrer kommen. Umso erstaunlicher war die Entscheidung, Sergio Perez nach nur einem Jahr in Woking vor die Tür und dafür Youngster Kevin Magnussen ins Auto zu setzen. Jedoch war dieser Schachzug weder Plan A noch bereitete er Whitmarsh sonderlich viel Freude, schließlich musste er den Mexikaner telefonisch feuern - mit einigem Unbehagen.

Titel-Bild zur News: Sergio Perez, Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh hatte Sergio Perez vor einigen Wochen Unerfreuliches mitzuteilen Zoom

Dabei hatte der 55-Jährige Perez vorgewarnt: "Ich glaube nicht, dass er das so ernst genommen hat, wie er es hätte nehmen sollen", blickt Whitmarsh im Gespräch mit 'Formula1.com' zurück. Hintergrund ist ein Anruf vor einigen Wochen, als die Gerüchteküche brodelte. Er erinnert sich genau, was er seinem Piloten damals erklärte: "'Wir hatten Hülkenberg, di Resta, Massa - sehr viele Kandidaten. Dein Stuhl wackelt nicht, weil es innerhalb der Formel 1 Gründe dafür gäbe. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Unterschiede einen Wechsel rechtfertigen. Dein Stuhl wackelt wegen junger Fahrer.'"

Whitmarsh sicherte zu, keine Vertragsgespräche zu führen, ohne Perez zu informieren. Er hielt sich an sein Versprechen und ließ beim Mexikaner durchblicken, dass der talentierte Magnussen eine realistische Option für 2014 ist. "Diese Anrufe sind kein schöner Teil des Jobs, aber sie liegen in meiner Verantwortung. Wir sind ein loyales Team", zeigt sich der Brite staatsmännisch. Whitmarsh erzählt schmunzelnd von einem Flug von Japan nach Südkorea, als er mit fünf Piloten jettete. "Plötzlich sagte ein Ehemaliger, nämlich Martin Brundle: 'Ich erinnere mich noch, wie du mich gefeuert hast'", weiß der McLaren-Teamchef.

McLaren sucht den Superstar

Kurz darauf hätten David Coulthard und Heikki Kovalainen mit eingestimmt. "Das Flugzeug beförderte acht Passagiere, von denen ich fünf rausgeschmissen hatte", so Whitmarsh, der seine Personalentscheidung als eine pro Magnussen und nicht contra Perez verstanden wissen will - aller Kritik am insgesamt eher enttäuschenden Sauber-Neuzugang zum Trotz: "Diese Aktion richtete sich nicht gegen 'Checo', weil er einen tollen Job verrichtet hat. Was falsch lief, war, dass ein Kevin Magnussen existiert. Würde es ihn nicht geben, würde wahrscheinlich 'Checo' weiter McLaren fahren."

Eigentlich hatte McLaren für seinen dänischen Rohdiamanten einen ganz anderen Karriereweg vorgesehen. Whitmarsh bot den amtierenden Meister der Renault-World-Series (WSbR) bei vielen Konkurrenten an. "Ich habe sogar einen Deal abschlossen und dem Teamchef die Hand geschüttelt - es war wasserdicht, aber dann hat er einen Rückzieher gemacht", ärgert sich der McLaren-Verantwortliche. "Ich finde es auch nach 25 Jahren schwierig, damit umzugehen. Das sollte ich nicht, aber ich bin noch immer hoffnungslos naiv. Ich denke noch immer, dass ein Deal steht, wenn dir jemand in die Augen sieht und deine Hand schüttelt."


Fotos: McLaren, Großer Preis von Brasilien


Um wen es sich dabei handelt, verschweigt Whitmarsh. Allerdings war Magnussen lange heißer Kandidat bei Force India: "Ich war schockiert und dachte mir: 'Lern' dazu, sei nicht so naiv.'" McLaren scheint sich Personalpolitik im Stile "Woking sucht den Superstar" auf die Fahne geschrieben zu haben, schließlich nennt Whitmarsh es seine Mission, den Weltmeister der Zukunft zu finden: "Alle Formel-1-Piloten sind gut, aber die außergewöhnlichen der vergangenen Jahre heißen Lewis und Sebastian (Hamilton und Vettel, Anm. d. Red.). Jetzt suchen wir den nächsten." Und Magnussen soll eben dieser Nächste sein.

"Wir suchen den nächsten Außergewöhnlichen." Martin Whitmarsh

Whitmarsh warnt vor Nachwuchs-Vakuum

Genau wie der Belgier Stoffel Vandoorne, für den Whitmarsh nach eigener Aussage noch ein Cockpit in der Königsklasse sucht, befindet sich der 21-Jährige dank der Förderung nicht in der Situation, eine Mitgift in Form von Sponsoren mitbringen zu müssen. Doch so einen Weg gibt es außer bei Red Bull, Ferrari und Mercedes nur bei McLaren. Whitmarsh will dieser Verantwortung gerecht werden: "Die Formel 1 braucht diese jungen Supertalente, aber das Problem des Sports ist, dass das Geld die Dinge regelt", schnauft er und warnt: "Wir laufen Gefahr, ein Vakuum zu schaffen. Es ist sogar schwierig, Talente in der GP2 unterzubringen."

Das erlebt Whitmarsh derzeit im Fall Vandoorne, für den der Unterbau Priorität Nummer zwei ist, sollte sich kein direkter Einstieg finden. Das Gebaren in der GP2 schmeckt dem Briten überhaupt nicht: "Das Problem ist, dass es dort finanzstarke Piloten gibt, die vier oder fünf Jahre bleiben - das ist das falsche Signal." Auch wenn er es wahrscheinlich nicht gerne tun würde, Whitmarsh empfiehlt: "Nach zwei Jahren rauswerfen." Allerdings hat er genug um die Ohren, schließlich sucht er auch noch für einen dritten Piloten ein Cockpit.


Fotostrecke: Magnussen - Kleiner Däne ganz groß

Große Hoffnungen auf Magnussen: WM-Kandidat?

Die Rede ist von Perez, den er nicht als Gescheiterten sieht. Auch nicht, weil er im Duell mit Teamkollege Button oft das Nachsehen hatte: "Seine Mission war es, mit Jenson zu kämpfen und ihn zu schlagen. Jenson ist eine unglaubliche Messlatte und keine, die so einfach übersprungen ist", weiß Whitmarsh, der bei diversen Teamchefs für seinen bald ehemaligen Schützling vorgesprochen hat: "Checo ist ein liebenswerter Kerl und wird im kommenden Jahr in der Formel 1 fahren. Wir tun für ihn, was wir können, weil er es verdient."

Kevin Magnussen

Die Zukunft bei McLaren heißt Kevin Magnussen - und Stoffel Vandoorne Zoom

Die Chancen dafür schätzt Whitmarsh auch deshalb nicht so schlecht ein, weil er den Abschied als fair betrachtet: "Man mag vielleicht sagen, dass die Entscheidung spät fiel und der Platz bei Ferrari vergeben war - aber er wurde ja nie ernsthaft in Erwägung gezogen", argumentiert er. Whitmarsh meint außerdem, dass es bei Red Bull, Toro Rosso und Mercedes nicht anders gewesen sei. "Aber jeder Drive, für den er zumindest Kandidat war, war noch frei." Er meint Williams, Lotus, Force India, Sauber und Caterham. Und Magnussen? Kann er wie einst Hamilton im Debütjahr um die WM-Krone fahren? "Ich hoffe es und ich glaube, dass er es kann."