Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Honda am Tiefpunkt: Hat Fernando Alonso seine Messerstiche ganz bewusst gesetzt? Chefredakteur Christian Nimmervoll über ein japanisches Desaster...

Titel-Bild zur News: Honda-CEO Takahiro Hachigo und Fernando Alonso

Vor dem gestrigen Rennen: Honda-CEO Takahiro Hachigo und Fernando Alonso Zoom

Liebe Leser,

selten zuvor wussten wir in der Formel-1-Saison 2015 schon am Sonntagabend nach einem Rennen, wen wir in der Nacht auf Montag für unsere traditionelle Kolumne am schlechtesten schlafen lassen würden. Nach dem Grand Prix von Japan in Suzuka war der Fall aber sonnenklar. Diesmal kann's nur einen geben: Honda-CEO Takahiro Hachigo.

Noch am Samstagnachmittag löcherte unser Vor-Ort-Reporter Dieter Rencken Hondas Motorsportchef Yasuhisa Arai im Rahmen von McLarens "Meet The Team", ob sein Chef denn nun zum Rennen kommen würde oder nicht. Arai wusste es nicht. Unsere Frage war berechtigt, denn selbst "Mister McLaren" war zu dem Zeitpunkt noch nicht da. Laut McLaren-Auskunft, weil er krank in einem Hotelzimmer in Tokio lag. Ein britischer Journalist twitterte hingegen: "Er leidet an Beschämung."

Wie dem auch sei: Sowohl der Honda- als auch der McLaren-CEO kamen, flanierten Seite an Seite über die Startaufstellung, schüttelten Hände, machten gute Miene zum bösen Spiel. Denn wie McLaren-Honda gerade sportlich dasteht, das muss ich unseren Lesern nicht mehr explizit erklären. Und vielleicht dachte sich Hachigo-san in einem dieser Momente insgeheim: Gut, dass nicht so viele Fans gekommen sind wie früher.

Erinnerungen an goldene Honda-Zeiten

In den späten 1980ern und frühen 1990ern, am Höhepunkt der McLaren-Honda-Ära mit Senna/Prost, wurden die Eintrittskarten für den Grand Prix von Japan verlost, ähnlich wie sonst nur bei der Fußball-WM. Ich meine mich zu erinnern, dass Heinz Prüller in seiner Grand-Prix-Story einmal von einer Million Ticketanfragen für ein einziges Rennen geschrieben hat. Diese Zeiten sind längst vorbei. Die japanischen Fans sind immer noch die besten und originellsten der Welt, aber anno 2015 würden auf den Tribünen in Suzuka noch viel mehr von ihnen Platz finden.

Genau dort also, wo früher hunderttausende Fans die historischen und legendären Honda-Triumphe von Ayrton Senna gefeiert haben, genau dort erlebte Honda gestern seine schwärzeste Stunde in der Formel-1-Geschichte des Unternehmens. Es ging gleich am Anfang los, als Jenson Button in ein- und derselben Kurve von Felipe Nasr und Max Verstappen überholt wurde. Ein Weltmeister in einem vermeintlichen Topteam von zwei Rookies in Nachzügler-Rennställen.

Gerhard Berger, Ayrton Senna 1991

Goldene Ära: Doppelsieg von McLaren-Honda beim Heimspiel 1991 Zoom

Praktisch gleichzeitig wurde etwas weiter vorne im Feld ein weiterer Champion, Fernando Alonso, von einem weiteren Rookie, Carlos Sainz, geschnupft. Aber während der englische Gentleman Button diese Demütigung zumindest nach außen hin gelassen duldete, platzte dem flamboyanten Südländer Alonso der Kragen: "Ich werde auf der Geraden überholt wie ein GP2. Das ist peinlich, sehr peinlich." Etwas später plärrte er regelrecht in den Boxenfunk: "GP2-Motor, GP2. Aaargh!" Und: "Womit wir fahren müssen, das ist unglaublich. Armselig, Jungs."

Ehrliche Spontanreaktion oder kalkulierter Messerstich?

Alles on air, sodass Millionen von Fans vor ihren TV-Schirmen zuhören konnten. Hachigo-san muss zusammengezuckt sein, als er das Alonso-Radio-Insert auf dem Weltsignal sah und den Funkspruch hörte. Eine schlechtere PR als einen schimpfenden Fahrer am Boxenfunk kann man sich nicht vorstellen. Denn was am Boxenfunk gesagt wird, das ist nur selten durchdacht, sondern ehrlich und von Herzen kommend. Oder, wie ein Kollege meinte: "Im Cockpit zeigen sie ihr wahres Gesicht. Nachher heißt es dann wieder: 'Wir sind zufrieden mit Hondas Fortschritten.'"

Wahrscheinlich ist das so. Ich habe noch eine andere Theorie. Nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen. Nämlich dass der gewiefte Alonso ganz genau wusste, wie sehr Honda solche Messerstiche (Nadelstiche wäre eine Untertreibung) gerade in Suzuka wehtun würden, und dass er ganz kalkuliert zugestochen hat. Um Honda wachzurütteln: So kann es nicht weitergehen! Und damit Hachigo-san alles Menschenmögliche in die Wege leitet, so ein Fiasko schon 2016 nicht mehr ertragen zu müssen. Die politische Machtklaviatur hat Alonso schon immer leidenschaftlich gern gespielt.

Honda ist auf der Talsohle angelangt, tiefer kann der größte Motorenhersteller der Welt nicht mehr sinken. Die Zeiten, in denen Heinz Prüller geschrieben hat, "Alles, was Honda anpackt, wird zu Gold", sind längst vorbei. Ob nun das Reglement daran schuld ist, das Personal um Arai-san (nicht mehr unumstritten), das technische Equipment - das zu beurteilen, übersteigt meine Kompetenz. Aber dass Honda derzeit aufgrund des Formel-1-Engagements nicht gerade mit Innovationskraft assoziiert wird, ist wohl Tatsache.

Warum Alonso/Button noch nicht fix sind

Ja, es gibt schlimmere Sorgen für einen Automobilhersteller als ein missglücktes Formel-1-Engagement. Auch wenn sich die Formel 1 selbst immer wahnsinnig ernst nimmt, in den Gesamtkonzepten der großen Werke ist sie bestenfalls eine Randnotiz. Volkswagen kann ein Lied davon singen, dass das große Ganze "etwas" größer ist als Monte Carlo und Le Mans. So gesehen steht Honda noch ganz gut da.

Ach ja, eins möchte ich noch loswerden: Ron Dennis ließ sich nach dem Rennen vor laufender Kamera dazu hinreißen, die Paarung Alonso/Button für 2016 mit einem deutlichen "Ja" zu bestätigen, das keinen Interpretationsspielraum mehr zulässt. Aber zu diesem Ja wurde er von Martin Brundle so gedrängt, dass er fast keine andere Wahl hatte. Etwas später, am Round Table mit ein paar Journalisten, klang das alles wieder weit weniger definitiv.


Fotostrecke: GP Japan, Highlights 2015

Ich glaube Alonso sogar, wenn er sagt, dass er seine Karriere bei McLaren-Honda beenden wird. Die in der Formel 1 zumindest. Aber ich würde kein Geld darauf wetten, dass diese Karriere 2016 weitergeht. Vielleicht ruft er ja mal Fritz Enzinger von Porsche an und fragt, ob man ihn denn für Le Mans haben möchte. Ein Sitz wurde ihm ja schon angepasst. Und ein Formel-1-Porsche in Le Mans, mit Alonso/Button/Hülkenberg... Träumen wird man ja wohl noch dürfen! ;-)

Christian Nimmervoll

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