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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Bernie Ecclestone muss nicht nur um Renault/Lotus, sondern auch um Red Bull fürchten - und Volkswagen wird die Formel 1 nicht retten können

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone

Bernie Ecclestone muss um die Zukunft einiger seiner Teams zittern Zoom

Liebe Leser,

eigentlich ist es selten leichter gefallen als nach dem Grand Prix von Singapur, einen Verlierer des Wochenendes auszumachen. Denn Mercedes hat erstmals überhaupt in der V6-Hybrid-Ära der Formel 1 ein Rennen zu 100 Prozent aus eigener Kraft verloren, ja war sogar völlig chancenlos gegen Ferrari und Red Bull. Lewis Hamilton hat seine erste Null der Saison 2015 angeschrieben. Aber bei immer noch 41 Punkten Vorsprung auf Nico Rosberg und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Silberpfeil in Suzuka wieder funktionieren wird, ist das kein Grund, wirklich schlecht zu schlafen.

Also suchen wir unseren Kandidaten diesmal nicht ausschließlich im sportlichen Bereich. Und dann kommt man schnell drauf, dass Bernie Ecclestone momentan vielleicht die eine oder andere unruhige Nacht haben könnte. Denn der Formel-1-Boss muss langsam darum fürchten, weiterhin ein ordentliches Starterfeld auf die Beine stellen zu können. Gut denkbar, dass ihm schon 2016 das eine oder andere Team abhandenkommen wird.

Renault-Einstieg noch lange nicht fix

So ist beispielsweise der Renault-Einstieg bei Lotus entgegen anderslautenden Medienberichten alles andere als besiegelt. Es ist zwar richtig, dass vergangene Woche ein sogenannter "Letter of Intent" unterzeichnet wurde, aber ein Renault-Insider bezeichnet die Chancen, dass daraus ein vollwertiger Vertrag wird, als bestenfalls 50:50. Und das ist bei genauerem Hinsehen auch durchaus nachvollziehbar.

Derzeit hängt alles einzig und allein an Konzernchef Carlos Ghosn. Der will ein Werks-Comeback nur, wenn Renault als Premiumteam anerkannt wird und ähnliche finanzielle Zugeständnisse erhält wie Ferrari, Red Bull, McLaren und Mercedes. Aber das ist kein Selbstläufer. Denn selbst wenn Ecclestone bereit wäre, ein Stück von seinem Kuchen abzugeben, müsste ein Sonderstatus für Renault mit den anderen Teams abgeklärt werden. Und deren Interesse daran, einen Konkurrenten zu stärken, muss sich klarerweise in Grenzen halten.


Fotos: Großer Preis von Singapur, Sonntag


Ghosn lässt sich nicht unter Druck setzen

Ghosn ist der Typ Manager, der sich nicht unter Druck setzen lässt. Würde man ihn jetzt vor die Wahl stellen, den Deal sofort oder nie abzuschließen, dann würde er der Formel 1 absagen. Und schnelles Handeln ist geboten. Denn Lotus muss schon diese Woche erneut vor den Richter, die Insolvenz rückt unaufhaltsam näher. Das könnte Ghosn verhindern - aber ob er das genug will, um zur notwendigen schnellen Entscheidung zu kommen, steht auf einem anderen Blatt.

Dass Renault in den nächsten Jahren zweimal Weltmeister wird und sich einen Sonderstatus quasi selbst erarbeitet, erscheint ausgeschlossen. Lotus konnte in Enstone in den vergangenen Jahren aus finanziellen Gründen die Infrastruktur nicht weiterentwickeln. Romain Grosjean scheint auf dem Sprung zu Newcomer Haas zu sein, und Pastor Maldonado bringt weniger fahrerisches Talent ein als venezolanische Erdöl-Millionen. Zudem ist die technische Basis im Chassisbereich schlecht - und der aktuelle Antrieb sowieso. Es würde Jahre dauern, wieder siegfähig zu werden.

Carlos Ghosn

Renault-Boss Carlos Ghosn entscheidet alleine über den Formel-1-Einstieg Zoom

Bei Red Bull wird das Szenario eines Ausstiegs immer wahrscheinlicher. Zwar ist die Tür zu Renault noch nicht endgültig zugeschlagen, wie Christian Horner gestern in Singapur bestätigt hat, aber für eine Fortsetzung ist vermutlich schon zu viel Erde verbrannt. Mercedes hat abgesagt, Ferrari und ein alternativer Motorenhersteller wie etwa AER oder Cosworth, die einen Nicht-Hybrid liefern könnten, wären bestenfalls ein Plan B.

Zieht Mateschitz den Stecker?

Dietrich Mateschitz hat in der Formel 1 schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Mit einem Red-Bull-Junior, der im eigenen Nachwuchskader gezüchtet wurde. Das lässt sich nicht mehr toppen. Umgekehrt blutet Red Bull zunehmend aus: Viele der wirklich guten Leute, die für die Erfolge der Vettel-Ära verantwortlich waren, sind schon in hochdotierte Verträge bei der Konkurrenz gewechselt oder denken daran abzuspringen. Bevor Red Bull wieder Weltmeister wird, braucht es einen Neuanfang. So, wie ihn Ferrari vollzogen hat.

Mateschitz ist Geschäftsmann. Wenn die Rechnung mit der Formel 1 für ihn nicht mehr aufgeht, zieht er den Stecker. Und zwar bei beiden Teams. Kurz und schmerzlos. Die Mitarbeiter, so viel ist klar, würden nicht auf der Straße stehen. Vielleicht weil man einen Käufer suchen, vielleicht aber auch, weil man eine neue Aufgabe für sie finden würde. Warum nicht mal versuchen, auch noch die 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen? Adrian Newey hätte seine Freude daran.

Dietrich Mateschitz

Für Dietrich Mateschitz ist ein Ausstieg aus der Formel 1 nicht ausgeschlossen Zoom

Mit zwei Red-Bull-Teams und einem (dann) gesunden Renault-Werksrennstall würde Ecclestone gleich drei wichtige Player in seinem Zirkus verlieren. Force India, Sauber und Manor stehen schon länger auf der Kippe. Die werden vermutlich irgendwie weiterwursteln, doch völlig ausgeschlossen ist ein Kollaps nicht. Und dann steht die Formel 1 plötzlich mit viel zu wenig Autos da. Denn auch wenn Gene Haas den Eindruck erweckt, viel richtig zu machen: Red Bull und Renault kann das neue US-Team nicht ersetzen.

Volkswagen-Einstieg nur ein Hirngespinst

Und dann kommt noch hinzu, dass der von der Formel 1 gewünschte Einstieg des Volkswagen-Konzerns ein Hirngespinst ist. Volkswagen hat immer wieder mit diesem Szenario geliebäugelt, kann ein Investment in die Königsklasse aber intern nicht rechtfertigen - in einer Zeit, in der ein Milliarden-Sparprogramm geschnürt wird und in Nordamerika nach einer groß angelegten Rückrufaktion auch Milliardenforderungen fällig werden könnten.

Es sind Zeiten des Aufruhrs in der Formel 1, und die Krise ist noch lange nicht beendet. Das Schlimmste steht möglicherweise erst bevor. Bernie Ecclestone ist abgebrüht genug, vielleicht trotzdem gut zu schlafen. Aber realistisch betrachtet sollte er zumindest beunruhigt sein. Sein Lebenswerk steht derzeit nicht auf gesunden Beinen.

"Das Schlimmste steht möglicherweise erst bevor."
Christian Nimmervoll

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