• 23.07.2010 09:50

  • von Dieter Rencken

Webber: "Im Nachhinein sagt es sich leicht..."

Mark Webber im exklusiven Interview: Warum Leidenszeiten helfen können, was er von Helmut Marko hält und wie sehr er Red Bull vertraut

(Motorsport-Total.com) - In den vergangenen Wochen, insbesondere nach den Zwischenfällen in Istanbul und Silverstone, sah es fast schon so aus, als könnte das bis dahin recht harmonische Teamduell zwischen Mark Webber und Sebastian Vettel zu einem Stallkrieg werden. Doch vor Vettels Heimrennen in Hockenheim wirkt alles wieder recht harmonisch.

Titel-Bild zur News: Mark Webber

Nach dem Frust von Silverstone hat sich Mark Webber wieder beruhigt

Vor allem scheint sich Webber vom Schock erholt zu haben, dass ihm in Silverstone die neueste Version des Frontflügels weggenommen wurde. Der Australier liegt in der Fahrer-WM vor seinem Teamkollegen und zählt mit dem schnellsten Auto zu den absoluten Topfavoriten auf den WM-Titel. Dementsprechend gelassen und locker präsentiert er sich im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com'.#w1#

Ausgewogene Kindheit in Australien

Frage: "Mark, reden wir nicht mehr über die Flügelaffäre, sondern über deren Nachwehen. Du hast nach Silverstone gesagt, dass du es in deiner Karriere nicht immer leicht hattest. Die meisten Topfahrer wie Michael Schumacher oder Kimi Räikkönen hatten keinen privilegierten Familienhintergrund. Der letzte Topfahrer, der einen privilegierten Hintergrund hatte, war Ayrton Senna. Ist das ein Zufall?"
Mark Webber: "Unterprivilegiert wäre in manchen Fällen wohl ein bisschen zu drastisch ausgedrückt - auch in meinem Fall, keine Frage."

"Ich bin nicht mit Seidenbettwäsche in Monaco aufgewachsen, aber ich hatte eine sehr gute und sehr balancierte Jugend mit sensationellen Familienwerten und guten Menschen in meinem familiären Umfeld. Sport spielte immer schon eine große Rolle. Michael ist natürlich ein Paradebeispiel für das, was du meinst. Viele dieser Jungs schafften es nur dank der Unterstützung anderer Leute. Sie mussten sich diese erarbeiten und möglicherweise größere Risiken auf sich nehmen als andere. Ich habe mit meiner Aussage am Sonntag in Silverstone aber etwas anderes gemeint."

"Es hat eine Weile gedauert, in die Formel 1 zu kommen. Dann kam Le Mans und nach den Unfällen der Neuanfang im Formelsport. Dann hat mir 'Stoddy' (Minardi-Teamchef Paul Stoddart; Anm. d. Red.) in die Formel 1 verholfen. In den nächsten Jahren hatte ich oft unzuverlässige Autos, bis ich mir im Vorjahr das Bein brach. Geld war auch immer knapp. Das ist nicht ungewöhnlich, aber es hilft dir dabei, mit kritischen Situationen umzugehen, wenn es im Leben schon ein paar Mal eng war. Samstag in Silverstone war eine kleine Leidenszeit mit einer harten Entscheidung, aber ich habe mir gesagt, dass ich einfach weitermachen muss. Das habe ich dann auch getan."

Frage: "Findest du, dass Leidenszeiten eine Voraussetzung für den Charakter sind, den man braucht, um in der Formel 1 erfolgreich zu sein?"
Webber: "Leidenszeiten sind in manchen Lebensabschnitten sicher nicht verkehrt und können sogar hilfreich sein. Wenn du als junger Fahrer oder junger Geschäftsmann nie richtig auf die Probe gestellt wirst, kommst du nicht weiter. Ein Boxer, der jede Runde gewinnt, lernt dabei nicht viel. Manchmal brauchst du sicher harte Zeiten, um dich weiterzuentwickeln."


Fotos: Mark Webber, Großer Preis von Deutschland, Pre-Events


Frage: "Im Vorjahr hast du das Qualifyingduell gegen Sebastian 2:15 verloren, während es jetzt mit 5:5 ausgeglichen steht. Was hat sich geändert? Hast du mental etwas umgestellt, war deine Beinverletzung im Vorjahr noch ein Handicap?"
Webber: "Im Vorjahr sind wir auch noch mit mehr Benzin gefahren. Jetzt findet das Qualifying durchgehend mit wenig Benzin statt, was mir glaube ich ein bisschen geholfen hat."

Frage: "Sonst ist da nichts?"
Webber: "Es ist immer sehr knapp zwischen uns. Ich glaube, der größte Abstand - Bahrain einmal ausgenommen - waren eineinhalb Zehntel in Silverstone, sonst waren es immer nur ein paar Hundertstel. Es ist ein harter Kampf. Das Qualifying ist wichtig. Es ist sehr gut für mich, das zu hören, was du sagst."

Frage: "Du glaubst also nicht, dass du im Vergleich zum Vorjahr schneller geworden bist?"
Webber: "Vielleicht ein bisschen, aber als Formel-1-Fahrer bist du ständig damit beschäftigt, dich auf die Regeln einzustellen. Das können die Reifen sein oder volle Benzintanks, aber es gibt innerhalb des Reglements immer kleine Herausforderungen, die manchmal für und manchmal gegen einen sprechen. Das interessiert niemanden, weil man sich unterm Strich einfach darauf einstellen muss, aber das Stallduell zwischen Kubica und Heidfeld hat sich zum Beispiel wegen der Reifen innerhalb eines Jahres komplett gedreht. So etwas kann passieren."

Neue Regeln als Vorteil

Frage: "Findest du, dass dir das aktuelle Reglement entgegenkommt?"
Webber: "Es hat mir sicher nicht geschadet."

Frage: "Nach außen erscheint es manchmal so, als würde es im Team eine leichte Bevorzugung geben, und ich sage bewusst 'erscheint'. Silverstone habt ihr ja offenbar beigelegt, aber siehst du immer noch ein Fragezeichen, ob du die richtige Sprache sprichst? Stört es dich, dass Helmut Marko so viel Macht hat?"
Webber: "Ich spreche mit dem Team sicher in der richtigen Sprache, denn das sind Engländer. Das ist kein Problem."

"Ich habe ein sensationelles Verhältnis zu Christian (Horner) und Adrian (Newey; Anm. d. Red.) sowie zum ganzen Designteam und allen Leuten in der Fabrik. Helmut ist schon lange bei Red Bull, aber ich habe mit ihm nicht jeden Tag zu tun, daher ist mir das nicht so wichtig wie die Leute in Milton Keynes."

Frage: "Aber er könnte mitverantwortlich für Entscheidungen sein, die deine Karriere beeinflussen..."
Webber: "Das könnte passieren, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das nicht der Fall sein wird. Technisch gesehen sind die Autos identisch. Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht jedes zweite Wochenende mit einem Auto fahren würde, das schlechter ist - dafür würde ich nicht zur Arbeit kommen. Aber genau deswegen war ich in diesem Team in der Vergangenheit immer sehr motiviert und werde es auch in Zukunft sein. Red Bull ist das Team in der Boxengasse, für das es am angenehmsten zu arbeiten ist."

¿pbvin|512|2913||0|1pb¿Frage: "Du sagst, du hast ein gutes Verhältnis zu Christian Horner, aber ist es dann nicht merkwürdig, dass sie nicht direkt mit dir sprechen? In Istanbul wurden Botschaften über den Renningenieur überbracht und in Silverstone haben sie dir nicht gesagt, dass sie dir den Flügel wegnehmen, sondern du hast es wieder vom Renningenieur erfahren. Ist das ein Zusammenbruch der Kommunikation?"
Webber: "Red Bull ist ein Team, das immer noch wächst. Wir haben gemeinsam mit mir schon erstaunliche Dinge erreicht. Alle von uns lernen immer noch dazu."

"Es gibt reibungslose Zeiten mit Siegen und sensationellen Rennautos, aber es gibt auch dann und wann andere Themen. Das ist auf diesem Niveau unausweichlich. Im Nachhinein sagt es sich leicht, dass man anders kommunizieren hätte können. Ja, das Team hätte das tun sollen und ich auch. Etwas anderes zu behaupten, wäre gelogen, aber es ist eben anders gelaufen. Das Wichtigste ist, daraus zu lernen und nach vorne zu schauen."

Frage: "Glaubst du wirklich, dass das Team aus diesen beiden Situationen gelernt hat?"
Webber: "Ja, das tue ich. Die beiden Zwischenfälle sind komplett unterschiedlich. Der in der Türkei war das größere Unheil, denn wir haben Punkte dadurch verloren, dass wir uns berührt haben. Silverstone war keine große Sache, aber meine Kommentare nach dem Rennen haben da natürlich nicht geholfen."

Webber hätte Funkspruch nicht gesendet

Frage: "War dir nicht klar, dass das live im TV ausgestrahlt werden könnte?"
Webber: "Doch, natürlich, aber wenn mich jemand gefragt hätte, ob sie das senden sollen, hätte ich wahrscheinlich nein gesagt. Es wurde aber gesendet. In der Vergangenheit war das schon mit viel schlimmeren Kommentaren der Fall."

Frage: "Auch du selbst hattest dieses Jahr schon zwei Zwischenfälle, nämlich mit Lewis Hamilton in Melbourne und mit Heikki Kovalainen in Valencia. Das waren Fehleinschätzungen deinerseits. Wenn das Team aus seinen Fehlern gelernt hat, hast du auch aus deinen gelernt?"
Webber: "Wie bei jedem Zwischenfall versuchst du natürlich, etwas daraus zu lernen. Wenn du aber schnell Rennen fährst, kann immer etwas passieren."

"Der Unfall mit Heikki war sehr verrückt und wird sicher nicht wieder passieren. Der mit Lewis war anders, denn da wollten er und ich und Fernando gleichzeitig in die gleiche Kurve, obwohl es noch dazu innen ziemlich rutschig war. Das hat am Ende dumm ausgesehen und ich war unglücklich darüber, aber so etwas kann passieren. Aber klar ist, dass man aus diesen Dingen immer etwas lernen möchte."

Mark Webber mit Mutter Diane und Vater Alan

Mark Webber mit seiner Mutter Diane und seinem Vater Alan in Silverstone Zoom

Frage: "Es gab bei dir schon einige Probleme und bei Sebastian noch mehr. Die Frage klingt verrückt, aber kann es sein, dass Red Bull gar nicht Weltmeister werden will? Wie ist es sonst zu erklären, dass die langsameren Autos die Weltmeisterschaft anführen?"
Webber: "Die langsameren Autos sind sie ja nur am Samstag."

Frage: "Ist McLaren im Renntrimm wirklich schneller?"
Webber: "Es hat ein paar Rennen gegeben, in denen sie mindestens ebenbürtig oder sogar einen Tick schneller waren. Ja, wir haben ohne Frage einige Punkte verschenkt - das wissen wir. Es ist aber nicht so, dass wir in der Türkei nur herumgerollt wären, und in Kanada bekamen wir genau das, was wir uns verdient hatten."

Frage: "Worauf führst du euren Vorteil im Qualifying zurück?"
Webber: "Die Fahrer! Wir können einfach nicht zwei Stunden lang so schnell fahren..."

Frage: "Im Ernst?"
Webber: "Nein. Wir haben manchmal einen großen Vorteil, das steht fest. Natürlich hätten wir in diesen Rennen am liebsten immer Doppelsiege eingefahren, aber das ist unmöglich. Du kannst nicht immer Erster und Zweiter werden. McLaren hatte die letzten vier Rennen einen phänomenalen Run, aber das wird auch nicht so weitergehen, weil es statistisch gesehen einfach nie passiert. Ferrari wird zurückschlagen. So ist das eben."