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Vorteil oder nicht? Die Crux der künstlichen Bestrafung

Das Verlassen der Strecke hat die FIA in den vergangenen Rennen unterschiedlich behandelt - Weil es weniger natürliche Strafen gibt, muss man künstlich eingreifen

(Motorsport-Total.com) - Die vergangenen Wochen wurden immer wieder zu einer Posse um die Streckenbegrenzung. Da immer häufiger natürliche Einbremsvariablen wie Kies oder Gras verschwinden, muss die Rennleitung gezielter von außen eingreifen, damit die Piloten keinen Vorteil haben, wenn sie von der Strecke abkommen. Doch in den vergangenen Wochen war Renndirektor Charlie Whiting diesbezüglich nicht gerade konstant. Während man in Spielberg und Silverstone sofort bestraft wurde, wenn man die Strecke verlassen hat, war die Auslegung in Hockenheim plötzlich eine andere.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Bitte nicht so weit rausfahren: Die letzte Kurve in Ungarn hat noch natürlich selektiert Zoom

Fahrer, Experten und Fans waren darüber nicht gerade glücklich, doch Whiting erklärt, wieso es zu diesen Auslegungen der Regeln kam. Der Knackpunkt ist: Erhält ein Fahrer einen Vorteil beim Verlassen der Strecke oder nicht? Das ist speziell an jenen Streckenteilen der Fall, an denen sich außen an den Kurven keine einbremsenden Materialien wie Gras oder Kies befinden - sondern blanker Asphalt.

"In Kurve 8 in Österreich gibt es kein künstliches Gras. Es gab nur einen Randstein, von dem wir dachten, dass er als Abschreckung dient, aber leider ist es nicht so gekommen", erklärt Whiting bei 'Sky Sports F1'. "Es war für uns ziemlich klar, dass Autos darüberfahren und Zeit gewinnen können. Leider mussten wir an dieser Stelle eine Grenze ziehen", so der Brite über die Zero-Tolerance-Politik in Spielberg.

In Silverstone war das Beispiel ähnlich. Dort achtete die Rennleitung besonders auf die letzte Kurve eingangs der Start- und Zielgeraden. Auch dort war das Problem, dass man das künstliche Gras entfernt hatte und durch Asphalt ersetzte: "Leider hat es nicht so funktioniert, wie wir das erwartet haben. Wieder hat es dazu geführt, dass man dort ein wenig Zeit gewinnen konnte, sodass wir etwas unternehmen mussten", so Whiting weiter.

Fahrer wollen lockeren Ansatz

In Hockenheim durften die 22 Piloten dann aber plötzlich auch in Kurve 1 weit rausfahren, obwohl diese Stelle schon seit Jahren unter Beobachtung steht, weil Fahrer dort gerne über die Grenze hinausschießen. Doch während in anderen Serien wie der DTM ein striktes Überfahrverbot ausgesprochen wurde, schaute die Formel 1 weg. "Es ist akzeptabel, weil es nicht schneller ist", erklärt Whiting und sagt, dass die Rennleitung genau erkennen könne, ob ein Fahrer einen Vorteil hat oder nicht: "Wir können es anhand der Daten sehen, wenn es nötig ist. Man kann deutlich sehen, dass es kleine, aber sichtbare Unterschiede gibt."

Die meisten Fahrer haben sich über die lockerere Linie der Offiziellen gefreut. Anders als in Silverstone kam es in Hockenheim nicht zu peinlichen Szenen wie zwischen Sebastian Vettel und Fernando Alonso, die sich gegenseitig wegen ein paar Zentimetern außerhalb der Strecke angeschwärzt haben. Stattdessen lief der Deutschland-Grand-Prix ohne größere Diskussionen ab. Auch Romain Grosjean findet das Eingreifen der Rennleitung im Falle des Verlassens der Strecke eher albern: "Das ändert die Rangliste nicht und ist nicht weltbewegend."

Randstein

Oft merkt ein Fahrer keinen Unterschied, ob er auf oder neben der Strecke fährt Zoom

"Das macht nur das Leben für uns in einer Qualifying-Runde ein bisschen einfacher, wenn wir nicht darüber nachdenken müssen, wenn wir ein oder zwei Zentimeter zu weit draußen sind", so der Lotus-Pilot zu dem Thema. Doch eigentlich entspricht es ja auch gar nicht dem Sinn der Sache, wenn ein Pilot durch das Verlassen der Strecke einen Vorteil bekommen kann. Eigentlich sollte das Überschreiten der Streckenbegrenzung eine natürliche Strafe zur Folge haben.

Sind Randsteine wirklich abschreckend?

Laut Charlie Whiting sollte theoretisch auch das Befahren der Randsteine an der Außenseite einer Kurve für einen Piloten nicht ideal sein, doch heutzutage gehören die breiten Kerbs in den meisten Fällen zur Ideallinie. "Offiziell ist das der Rand der Strecke, wenn man also mit vier Rädern diesen Bereich verlässt, dann ist man abseits der Strecke", so Whiting. "Randsteine sind dazu da, um die Seitenstreifen zu schützen, denn wenn man hier nur Gras hätte, würde es sich abnutzen."

Ursprünglich seien die Randsteine aber nicht dazu gedacht, dass man in jeder Runde ohne Rücksicht auf Verluste darüberfährt: "Man versucht den Randstein so zu machen, dass es eine abschreckende Wirkung hat, wenn Fahrer darüberfahren", sagt der Renndirektor der FIA. In der letzten Kurve von Ungarn habe der Randstein beispielsweise eine Absenkung von zwei Inches - rund fünf Zentimeter. "Es ist ein Negativ-Randstein, wie wir es nennen, weil er zwei Inches niedriger liegt als die Strecke. Wenn man dort raufkommt, dann ist es ziemlich wellig und ungemütlich - aber natürlich können die Autos dort rübergehen."


Fans jubeln über Vettel-Dreher in Budapest

Hinter dem Randstein eingangs der Start- und Zielgerade befindet sich sogenannter "Astroturf", ein Streifen aus künstlichem Gras. "Es ist sehr fest und scheint allen Versuchen der Formel-1-Autos zu widerstehen, es hochzureißen. Aber es besitzt sehr wenig Grip", so Whiting. "Das Prinzip ist: Wenn man mit zwei Rädern darauf ist, dann ist das nicht nur ungemütlich, sondern führt auch zu einem Zeitverlust."

Bei nassen Bedingungen birgt er allerdings auch eine Gefahr, wie Sergio Perez und Sebastian Vettel mitbekommen mussten. Doch während die Zuschauer am 360-Grad-Dreher des Deutschen Spaß gehabt haben, dürfte Charlie Whiting wieder einmal genau hingeschaut haben. Einen Vorteil hatte Vettel durch das Verlassen der Strecke aber dieses Mal sicher nicht.