• 03.07.2002 22:34

  • von Fabian Hust

Vorschau auf den Großen Preis von Großbritannien

Für die Mehrzahl der Teams und vier Fahrer ist das Rennen im "Home of British Motor Racing" das wichtige Heimrennen

(Motorsport-Total.com) - Silverstone ist schon seit jeher bemüht, sich als das Zuhause des Motorsports ("Home of British Motor Racing") bezeichnen zu dürfen, auch wenn die Wurzeln des Automobil-Sports vielleicht doch eher in Frankreich zu suchen sind und langjährige Formel-1-Fans sich wohl mehr an spannende Rennen in Brands Hatch erinnern dürften als an packende Positionskämpfe in Silverstone.

Titel-Bild zur News: Gonzalez

Gonzalez gewann im Jahr 1951 das in Silverstone erste F1-Rennen für Ferrari

Doch die Rennstrecke, auf der die Formel 1 am 13. Mai 1950 mit einem Sieg von Guiseppe Farina auf einem Alfa Romeo 158 "geboren" wurde, darf ihr Formel-1-Rennen trotz aller laut gewordenen Rückkehrwünsche nach Brands Hatch wohl weitere 14 Jahre behalten ? wenn die bestehenden Verträge eingehalten werden.

Silverstone ? fest verankert in der Geschichte
Die Strecke von Silverstone entstand auf einem ehemaligen Flugplatz der Royal Air Force, den diese im Zweiten Weltkrieg nutzte. Im Oktober 1948 fand hier der erste Grand Prix ohne WM-Status nach dem Krieg statt, die Streckenführung wurde damals lediglich durch Strohballen markiert.

Der Große Preis von Großbritannien ist der einzige Grand Prix, der in der 52-jährigen Geschichte der Formel 1 ohne Unterbrechung ausgetragen wurde. Jahre lang fand er in Wechsel zwischen Silverstone und Aintree (insgesamt fünf Mal) statt, doch 1964 zog man nach Brands Hatch um, wo zwischen 1964 und 1984 im Wechsel mit Silverstone 12 Rennen stattfanden.

Die Piloten waren von Aintree und Silverstone flache Pisten gewöhnt, Brands Hatch war für britische Verhältnisse einzigartig. Die 4,3 Kilometer lange Strecke war eine Berg- und Talbahn quer durch den Wald, eine Strecke, die die Fahrer herausforderte und den Zuschauern tolle Bilder driftender Autos lieferte.

Nach Aintree kam auch für Brands Hatch das Aus
Mitte der 80er-Jahre war das Aus für Brands Hatch gekommen. Die anderen Rennstrecken der Welt waren viel moderner und damit sicherer, ein schwerer Unfall von Jacques Laffite 1986 beendete eine Ära. Was bleibt sind Erinnerungen an den dominierenden Jim Clark und das Rennen 1974, als Niki Lauda mit Problemen an die Box fuhr und Jody Scheckter den Sieg überlassen musste, weil sich eine Menschentraube um sein Auto gebildet hatte und der Österreicher nicht mehr auf die Strecke gehen konnte...

Silverstone ist Platz unvergesslicher Momente: Ferrari feierte 1951 mit Froilan Gonzales den ersten Formel-1-Sieg, 1980 holte Clay Regazzoni für Williams den ersten Triumph und man feierte 1997 mit Jacques Villeneuve in Silverstone den 100. Sieg. 1977 gab dessen Vater Gilles Villeneuve auf dem Traditionskurs sein Debüt. 1952 sahen 22 Fahrer die Zielflagge - ein Rekord, der bis heute Bestand hat. Mit je fünf Siegen sind Alain Prost und Jim Clark in Silverstone die erfolgreichsten Piloten. McLaren gewannen zwölf Mal in England, Ferrari elf Mal.

Rekordverdächtig schnell
Seit 15 Jahren gastiert die Formel 1 nun unablässig in Silverstone - seit 1987 ist Silverstone die alleinige Austragungsstrecke des Großbritannien-Grand-Prixs und in diesem Jahr wird dort der 36. Grand Prix stattfinden. Die Strecke wurde seit ihrem Bestehen häufig modifiziert. Bis 1990 gehörte Silverstone neben Monza sowie den früheren Strecken von Spa-Francorchamps und Spielberg zu den schnellsten Grand-Prix-Kursen, die schnellste Rennrunde wurde 1987 von Nigel Mansell im Williams-Honda mit 246,325 km/h gefahren.

"Speed" ist noch heute in Silverstone das richtige Stichwort. In der Schikanenkombination 'Becketts' werden die Piloten mit 3g belastet. Am 20. Juli 1985 schrieb Keke Rosberg Geschichte, als er in Silverstone auf die Pole Position fuhr. Es war keine normale Pole Position, denn Rosberg fuhr trotz zweier leichter Grasberührungen mit seinem Williams-Honda mit einem Schnitt von 259,005 km/h die schnellste Qualifying-Runde aller Zeiten.

Sicherer aber immer noch schnell
Ab 1991 wurde die Strecke durch den Einbau zusätzlicher Schikanen langsamer und länger. Vorjahressieger Mika Häkkinen erzielte im McLaren-Mercedes bei seiner schnellsten Runde 2001 "nur" ein Durchschnittstempo von 221,900 km/h.

Schnelle Kurven stellen die Reifen auf eine Belastungsprobe, eine gute Aerodynamik und ein gutes Fahrwerk sind in den schnellen Kurven wichtig, in denen die Autos oft untersteuern. Auf den langen Geraden ist ein hoher Top-Speed gefragt, die langsamen Kurven im Schlussdrittel der Strecke verlangen eine gute Traktion - ein guter Kompromiss beim Flügel-Set-Up der Autos ist aus diesem Grund sehr wichtig. Das Überholen ist auf der Strecke wegen fehlender langsamer Kurven nach langen Geraden und vielen schnellen Kurven, in denen man dem Vordermann kaum folgen kann, sehr schwierig.

Die Tücken der Strecke kommen von oben. Oftmals sorgt das typisch britische Wetter für Regen, der den sonst sehr griffigen Asphalt rutschig werden lässt. Ein weiteres Problem äußert sich vor allem in den schnellen Kurven wie der 'Becketts' - der Wind. Da die Landschaft rund um die Strecke sehr flach ist, fegen nicht selten heftige Windböen über die Strecke, die in diesen Passagen dazu führen, dass die Autos aus der Balance geraten und häufig unangenehm untersteuern.

Allgemeine Informationen
Nordwestlich des Dorfes Silverstone mit der gleichnamigen Grand-Prix-Strecke liegt Stratford-upon-Avon, Geburtsort von William Shakespeare, einem der berühmtesten Söhne Englands. Nordöstlich liegt Northampton mit 158.000 Einwohner, Hauptstadt der Grafschaft Northamptonshire, zu der auch Silverstone gehört, bekannt geworden durch seine Schuhfabrikation.

Um die Strecke herum herrscht eine eher ländliche Gegend vor, auch wenn viele Formel-1-Teams ihre Fabriken unweit der 5,141 Kilometer langen Strecke platziert haben. Um die Piste gelagtert sind zahlreiche Campingplätze, die Anreise mit dem Auto stellt die Fans, die sich das 60-Runden-Rennen über 308,356 Kilometer anschauen wollen, wegen ständiger Staus vor eine Geduldsprobe.

Kultur
Sachsen und Normannen prägten die frühen Epochen Northamptons und seiner Umgebung. Viele Sehenswürdigkeiten aus jener Zeit sind in der Stadt jedoch einem Großfeuer im Jahr 1675 zum Opfer gefallen, die damaligen Straßenzüge sind allerdings noch weitgehend die gleichen wie heute.

Im Castle von Northampton stritten 1164 König Heinrich II. und Thomas Becket. An der Stelle des früheren Schlosses, das im 12. Jahrhundert auch Tagungsort des Parlaments war, steht heute eine Bahnstation. Nur das 'Postern Gate' erinnert noch an früher. Northampton, am Nordufer des Nene gelegen, ist heute Industriestadt mit bedeutenden Schuhherstellern und besitzt einen der größten Marktplätze Englands.

Sehenswürdigkeiten
Die 'Central Museum and Art Gallery' in der 'Guildhall Road' widmet sich der örtlichen Schuhindustrie. Fußbekleidungen von der Römerzeit bis heute sind hier zu sehen. Das 'Althorp House', Sitz des 'Earl of Spencer', sechs Meilen nordwestlich von Northampton, erlangte traurige Berühmtheit als letzte Ruhestätte der 1997 verstorbenen Lady Diana, Prinzessin von Wales. In einer permanenten Ausstellung wird ihr Leben gewürdigt.

Rund 30 Meilen zu fahren, aber einen Besuch wert ist Shakespeares Geburtshaus in 'Straford-upon-Avon'. Das Gebäude ist im Inneren baulich unverändert geblieben und zeigt das Leben einer Familie der unteren Mittelschicht aus dem 16. Jahrhundert, also jener Zeit, in der Shakespeare als Sohn eines Wollhändlers aufwuchs.

Die historische 'Northampton-and-Lamport'-Eisenbahn, fünf Meilen nördlich der Stadt, basiert auf der ehemals 15 Meilen langen Strecke nach Market Harborough, eröffnet 1859. Ein kleines Teilstück wird mit Dampf- und klassischen Diesel-Lokomotiven wieder befahren.

Essen und Trinken
In Silverstone kann man in den wenigen Pubs nicht viel besser essen als an den Imbussbuden der Strecke selbst - das britische Essen ist eben gewöhnungsbedürftig. Wer nicht auf dem Campingplatz übernachtet, der ist gut beraten, Silverstone zu verlassen und in einen der Pubs in Northampton oder Stratford-upon-Avon zu gehen, wo man sich als Nicht-Engländer deutlich wohler fühlt - Essen, Bier und Stimmung sind hier deutlich besser.

Von der tiefsten deutschen Provinz am Nürburgring zieht es die Formel 1 also nun in die tiefste englische Provinz. Das berühmte "Zuhause des britischen Motorsports" liegt in einer ziemlich verlassenen Gegend 150 Kilometer nördlich von London zwischen Northampton und Oxford. Ähnlich wie vor zwei Wochen am Nürburgring braucht man aber auch hier keineswegs ganz auf ein schönes Abendprogramm abseits des Rennens zu verzichten.

Für Liebhaber der britischen Trinkkultur empfehlen sich die zahlreichen Pubs an der A43 in Silverstone, die auch schon mal länger als bis Mitternacht geöffnet haben. Die bekanntesten sind 'The Green Man', 'The Royal Oak', 'The White Horse' und das 'Marlburough Arms'. Jugendliche treffen sich gerne im 'Browns' und im 'Gee's' in Oxford. Das 'Malt Shovel' in der 'Bridge Street' 121 in Oxford ist Anlaufstelle für alle jene, die auch schon mal mehr wollen als nur einen Pint Guinness trinken.

Im Pub 'Garrick', 'High Street' 25 in 'Stratford upon Avon' gibt es die wohl größte Auswahl an Bieren in ganz Northamptonshire, dazu exzellentes Essen und typisch britische Gemütlichkeit. Um sich zu amüsieren muss man aber nicht unbedingt gleich bis Northampton fahren, in England wird auch in kleinen Dörfern einiges geboten. Das Restaurant im 'Saracen's Head Hotel' und das 'Rice Ball Towcester' sind zwar nicht ganz billig, dafür kann man hier aber allabendlich den einen oder anderen Fahrer und auch andere Prominenz beim Dinner antreffen. Die Spezialität im 'Rice Ball' ist übrigens Ente: die 'Royal Crispy Duck', die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.

Nachtleben rund um Silverstone
Vor dem Aufbruch ins bewegte Nachtleben von Silverstone lohnt sich ein Abstecher nach 'Whittlebury Hall' gleich an der Strecke, der Lieblingsplatz, wo sich Fahrer und Teams schon mal einen kleinen Umtrunk gönnen. Riesenstimmung herrscht bis spät in die Nacht rund um die Karussells auf dem Kirmesplatz am Streckeneingang. Die längsten, heißesten und feuchtesten Partys in Silverstone gibt es auf den zahlreichen Campingplätzen an der Strecke, egal ob man dort auch selbst campiert oder nicht. Für Abwechslung ist auf alle Fälle gesorgt, nur trinkfest sollte man sein?

Vielleicht ist es aber auch eine keine schlechte Idee, wirklich auf einem der Campingplätze einzuchecken. Die endlosen Staus, die traditionell zum Grand Prix von Großbritannien ihren Einzug halten haben schon so manchem den letzten Nerv geraubt, und Nicht-Engländer sind im Schlange stehen schließlich bei weitem nicht so geübt wie die Einheimischen, die selbst die längsten Blechschlangen mit stoischer Ruhe hinnehmen.

Last but not least nun zum Höhepunkt jedes Grand-Prix-Wochenendes in Silverstone: Das Konzert, das Eddie Jordan und seine Band alljährlich am Samstagabend auf der Wiese hinter der Strecke geben. Der Teamchef zeigt sich dabei traditionell immer als lauter Drummer.

Wetterkapriolen
Im vorletzten Jahr war es das Wetter, das für lange Gesichter sorgte. Zum ersten Mal wurde das Rennen in den April vorverlegt und prompt goss es aus allen Kübeln. Die Parkplätze waren unbenutzbar, es gab riesige Staus und zahlreiche Fans konnten nicht an die Strecke kommen. Wohlweislich entschied man sich ein Jahr später wieder für den traditionellen Juli-Termin. Zudem wurden neue Zufahrtstraßen gebaut und die Parkplätze modernisiert, um eine Wiederholung des Chaos zu verhindern.

Die erfolgreichsten aktiven Piloten
Die Fans hoffen in diesem Jahr auf ihren Landsmann David Coulthard, dessen Traum im vergangenen Jahr mit dem Sieg von Mika Häkkinen platzte, als Erster nach Jim Clark 1964 einen Hattrick in Silverstone zu schaffen. In Sachen WM-Punkten ist der Schotte aber dennoch einer der erfolgreichsten amtierenden Piloten in Silverstone. 31 Punkte aus acht Rennen, zwei Siege, das kann sich sehen lassen.

Michael Schumacher hingegen hat keine besonders gute Beziehung zu Silverstone. 1999 der schwere Unfall, zehn Starts aber nur ein Sieg und eine Pole Position. Mit 29 WM-Punkten ist Silverstone eine der ganz wenigen Strecken, auf denen Michael Schumacher bisher nicht extrem erfolgreich ist. Jacques Villeneuve ist mit seinen Siegen 1996 und 1997 der dritte aktive Pilot im Bunde, der in Silverstone schon einen Sieg feiern durfte.

2001
Nach elf Monaten ohne Sieg feiert Mika Häkkinen in Silverstone einen überlegenen Triumph. Für McLaren-Mercedes-Teamkollege David Coulthard endete das Rennen nach einer Kollision mit einer gebrochenen Aufhängung. Ferrari-Pilot Michael Schumacher hatte gegen den Finnen keine Chance und sah mit über 33 Sekunden Rückstand als Zweiter die Zielflagge vor Teamkollege Rubens Barrichello, der weitere 26 Sekunden zurücklag.

2000
David Coulthard holt seinen zweiten Sieg in Folge vor Teamkollege Mika Häkkinen im zweiten McLaren-Mercedes. In einem Qualifying mit gemischten Wetter holt Rubens Barrichello im Ferrari die Pole Position vor Heinz-Harald Frentzen im Jordan-Mugen-Honda. 31 Runden führt der Brasilianer, muss dann aber mit Hydraulik-Problemen aufgeben. Michael Schumacher hat keine Chance, er wird Dritter.

1999
Trotz roter Flagge gibt Michael Schumacher in der ersten Runde nach dem Start noch Gas und versucht Teamkollege Eddie Irvine zu überholen, als an seinem Ferrari ein Bremskreis versagt. Der Deutsche kracht mit 107 km/h in die Reifenstapel und erleidet einen doppelten Beinbruch. Es folgen sechs Rennen Pause. Mika Häkkinen muss seine Sieghoffnungen begraben, als er nach einem verpatzten Boxenstopp ein Rad verliert. Teamkollege David Coulthard gewinnt vor Eddie Irvine im zweiten Ferrari und Ralf Schumacher im Williams-Supertec.

1998
Eines der verrücktesten Rennen der Formel-1-Geschichte. Starker Regen sorgt für Chaos auf der Strecke und Michael Schumacher geht von Startplatz 2 in Führung, nachdem Mika Häkkinen von der Strecke rutscht. Michael Schumacher wird eine 10-Sekunden-Zeitstrafe aufgebrummt, die dieser in der letzten Runde in Führung liegend absitzt. Da er beim Einfahren in die Box bereits die Ziellinie überquert, wird er trotz heftiger Proteste zum Sieger erklärt. Mika Häkkinen kommt auf den zweiten Platz, Eddie Irvine im zweiten Ferrari wird Dritter.

1997
Jacques Villeneuve holt seinen zweiten Silverstone-Sieg und den 100. Triumph für das Williams-Team. Jean Alesi kommt auf den zweiten Platz vor Benetton-Renault-Teamkollege Alexander Wurz. Michael Schumacher muss mit einem Radlagerschaden in Führung liegend aufgeben.

1996
Trotz Protest des Benetton-Teams nach dem Rennen wegen einer angeblich nicht reglementkonformen Endplatte am Frontflügel ist Jacques Villeneuve im Williams-Renault der Sieger. Gerhard Berger kommt im Benetton-Renault auf den zweiten Platz, Mika Häkkinen wird Dritter. Michael Schumacher muss schon nach drei Runden mit einem Getriebeschaden aufgeben.