• 30.04.2017 22:13

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Von wegen Wut und Häme: Wie Bottas seine Kritiker strafte

Der Finne erklärt, warum er nicht mit Wut im Bauch gefahren, Selbstvertrauen der Schlüssel zum Erfolg und der Sieg nur der Anfang seiner Formel-1-Mission ist

(Motorsport-Total.com) - Die Faust in die Höhe gestreckt, die Augen weit aufgerissen und einen Schrei auf den Lippen: So wie auf dem Siegerfoto der Mercedes-Mannschaft nach dem Russland-Grand-Prix in Sotschi kannte die Formel 1 Valtteri Bottas nicht. Bis zu dem Tag, an dem sich der stille Finne mit Gebrüll und einem Parforceritt zum Renngewinner machte. Daneben sitzt Lewis Hamilton, gequält lächelnd und mit Sonnenbrille auf der Nase. Auf dem Foto ist der schillernde Weltmeister nur noch ein Statist.

Titel-Bild zur News: Valtteri Bottas

So jubelt kein geprügelter Hund: Valtteri Bottas hat sein Selbstvertrauen wieder Zoom

Verkehrte Welt zu einem Zeitpunkt, an dem Bottas als Fehlbesetzung für die Nachfolge von Weltmeister Nico Rosberg abgestempelt wurde. Es ging um die Frage, wann Mercedes Hamilton zur Nummer 1 macht - und ihn per Stallregie alleine in den Kampf gegen Sebastian Vettel und Ferrari schickt. "Das war nicht Grund für meinen Erfolg", sagt Bottas unaufgeregt. "Eine schöne Theorie, aber ich glaube, sie stimmt nicht." Trotzreaktionen sind dem 27-Jährigen fremd. Er bleibt sich treu.

Bottas war von Anfang an überzeugt, Hamilton bei Mercedes schlagen zu können. "Nein", entgegnete er mit Erstaunen der Annahme eines Reporters, dass der Superstar an guten Tagen unschlagbar wäre. Es war vor dem Sotschi-Rennen. Anders ausgedrückt: Nachdem sich Bottas in China hinter dem Safety-Car gedreht und in Bahrain trotz Pole-Position den Wasserträger hatte spielen müssen. Mancher wäre am Boden zerstört gewesen. Andere hätten sich hinter Hamiltons Nimbus versteckt.

"Wer denkt, er könnte nicht gewinnen, sollte zu Hause bleiben"

Nicht Bottas, der cool blieb. "Ich mag bisher nur ein paar Jahre in der Formel 1 gefahren sein und kein Rennen gewonnen haben, aber so denke ich eben", zuckte er noch vor wenigen Tagen mit den Schultern. "In diesem Sport braucht es Selbstbewusstsein und den Glauben daran, dass alles möglich sei." Es fällt schwer, ihm die Überzeugung abzukaufen, weil sich das Vollgastier Bottas hinter einem zurückhaltenden und charmanten Analytiker versteckt. Er ist ein stiller Akkordarbeiter.


Fotostrecke: GP Russland, Highlights 2017

Das, glaubt Bottas, hätte ihn zum Grand-Prix-Sieger gemacht. "Es ist surreal", beschreibt er das Gefühl, ein Formel-1-Rennen gewonnen zu haben. "Alles, was ich an Arbeit reingesteckt habe." In seiner Stimme schwingen Erleichterung und Genugtuung, nicht Häme und Hohn für diejenigen, die an ihm gezweifelt haben: "Es spielt im Auto keine Rolle, ob man wütend ist oder nicht. Wenn ich fahre, ist nicht viel Emotion dabei. Ich versuche, jede Kurve und jede Runde perfekt hinzubekommen."

Sotschi als Befreiungsschlag und als Kampfansage

Valtteri Bottas

Valtteri Bottas auf der Zielgeraden von Sotschi, längst nicht der seiner Träume Zoom

Trotzdem schlummert der Erfolgshunger in ihm, wenn der Wettkämpfer durchblitzt: "Wer denkt, er könne nicht gewinnen, sollte zu Hause bleiben. Ich habe meine Fähigkeiten nie infrage gestellt. Ich will beweisen, dass ich noch mehr kann", wird Bottas für einen Augenblick markant und macht zwischen den Zeilen klar, dass er Sotschi nicht dem Glück zu verdanken hat, das One-Hit-Wonder der Formel-1-Geschichte hatten. "Es war nicht so, als hätte vor uns einer einen Motorschaden gehabt."

Das Selbstvertrauen ist zurück auf den erstaunlich breiten Schultern des 1,70-Meter-Mannes aus dem 14.000-Seelen-Örtchen Nastola. Denn es ist nicht so, dass Bottas unerschütterlich wäre. Sein langjähriger Manager und Freund Toto Wolff räumte ein, dass das peinliche Malheur von Schanghai an seinem Nervenkostüm gekratzt hätte. Das klingt nun anders: "Allzu große Sorgen habe ich mir nicht gemacht", blickt er auf die schwierigen Wochen zurück. "Ich habe bewiesen, dass ich für das Team gewinnen kann - aber auch für mich selbst, was mir viel Selbstvertrauen verschafft."

Er erwarte in Zukunft bessere Rennen von sich, stellt Bottas klar und lanciert eine Kampfansage: "Hoffentlich ist es der erste Sieg von vielen. Ich weiß jetzt, wie's funktioniert." Bei Mercedes distanzierte man sich von den Spekulationen über eine Hierarchie der Piloten und sieht sich bestätigt. "Es war verrückt, seine Position nach drei Rennen infrage zu stellen", sagt Sportchef Wolff und glaubt nicht, dass Bottas nach dem Durchbruch die Bodenhaftung verlieren würde.

Eine zutreffende Einschätzung, wie der frisch gebackene Sieger bestätigt: "Ich denke nicht, dass es für mich jetzt oder nie um den Titel geht. Ich habe Zeit. So viel Druck lade ich mir nicht auf." Mit nur noch zehn Punkten Rückstand auf Hamilton und 23 auf Vettel in der WM-Gesamtwertung der Fahrer schiebt er den lieber auf die Stars, die er liebend gerne wieder zu Statistiken degradieren würde.