• 07.02.2006 18:39

Totschnig: Vier Reifen und ein Haufen Eisen...

Red-Bull-Cheflogistiker Walter Totschnig im ausführlichen Interview über die Zusammenführung der beiden Teams, die Red-Bull-Philosophie und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Walter Totschnig hat nach 13 Jahren bei Sauber eine neue Aufgabe übernommen, die für ihn die Herausforderung seines Lebens darstellt: Er soll die beiden Red-Bull-Rennställe Red Bull Racing und die Scuderia Toro Rosso logistisch gleichschalten.

Titel-Bild zur News: Red-Bull-Racing-Logo

Die Logistik bei Red Bull ist neuerdings Walter Totschnigs Aufgabenbereich

Wer jetzt aber glaubt, dass Totschnig ein reiner Theoretiker ist, hat sich geschnitten: In seiner Freizeit setzt sich der Österreicher schon mal in einen legendären Rallye-Boliden und glüht damit bei diversen Veranstaltungen durch aufregende Landschaften, oder aber er steuert das so genannte Vorausauto bei Veranstaltungen wie der 'Jänner-Rallye' - stolz berichtet er von 157 fehlerfreien Sonderprüfungen.#w1#

Totschnig muss bei Red Bull Pionierarbeit leisten

So wie der Vorauswagen als erster die Strecke abfährt, stellt sich auch sein neuer Job als Pionierarbeit dar. Denn im Grunde hat noch nie jemand zwei Formel-1-Teams besessen, und daher hat auch niemand Erfahrung im Gleichschalten zweier Rennställe. Bei den Tests in Spanien lud Totschnig spontan in den Cosworth-Transporter...

"Was macht man mit diesen so genannten Freitagsfahrern?" Walter Totschnig

Frage: "Das freiwillige Testverbot droht heuer nichts zu werden - im Gegenteil: Es wird im Gegensatz zu den Vorjahren auch außerhalb Europas getestet; bald schon werden in Bahrain Tests abgehalten. Zugleich versucht die FIA mit restriktiven Maßnahmen den Teams beim Sparen zu helfen. Aufgrund dieser Maßnahmen gibt es beispielsweise den Motor für zwei Wochenenden - und aufgrund dieser Haltbarkeitsregel wird an den Grand-Prix-Freitagen so wenig wie möglich gefahren. Ist das nicht auch eine Art von Publikumsverhöhnung?"
Walter Totschnig: "In gewisser Weise ist das schon richtig. Aber diese Regelung mit den Freitagspiloten beziehungsweise den dritten Autos an den Grand-Prix-Freitagen wurde ja auch so ausgelegt, damit sich kein Team beschweren kann, dass man nicht genug testen kann. Und da es diese Regelung nun einmal gibt, steht man als Team vor der Frage: Was macht man mit diesen so genannten Freitagsfahrern, die ja nur am Freitag fahren dürfen? Und zwar dürfen das ja nur jene Teams, die nicht in den Top 4 der Vorjahres-WM gelandet sind."

Frage: "Ich kann natürlich nachvollziehen, dass man als Team bei diesen Regeln versucht, den Motor zu schonen, und dass man lieber den Freitagsfahrer auf die Strecke schickt. Aber ein David Coulthard dreht zum Beispiel bei einem Test 113 Runden - wenn dann aber die Coulthard-Fans am Grand-Prix-Freitag auf der Tribüne sitzen, dann fährt der aber nur drei Runden am Vormittag und vielleicht 17 am Nachmittag. Diese Fans freuen sich wohl auch über den Robert Doornbos, aber eigentlich wollen sie Coulthard in Action sehen."
Totschnig: "Okay, das geht schon in die Richtung, die du vorher angesprochen hast. Es stimmt auch, dass die Formel 1 überreguliert ist. Also ich stimme dem zu, was du gesagt hast - da kann man schon laut und deutlich darüber diskutieren."

Frage: "FIA-Präsident Max Mosley verspricht der Formel 1 eine florierende Zukunft. Die Kosten sollen eingedämmt werden und am Ende sollen dann sogar 14 oder 15 Teams in der Formel 1 vertreten sein. Glaubst du daran?"
Totschnig: "Es ist theoretisch möglich. Aber nach meinen Informationen besteht überhaupt kein Grund zur Annahme, dass es demnächst einmal der Fall sein wird - im Gegenteil: Ich bin der Meinung, die FIA muss aufpassen, dass sie den Sport bleiben lässt, was er ist - nämlich Automobilrennsport auf höchster Ebene."

Red Bull will es besser machen als Abramovich und Co.

"Da kauft sich irgendein Russe eine Fußballmannschaft - und was da sportlich passiert, ist dem völlig egal." Walter Totschnig

"Und man sollte danach trachten, dass man einen Pseudoprofessionalismus verhindert, mit einem Seitenblick auf einen FC Chelsea oder auf ähnliche Fälle. Da kauft sich halt irgendein Russe oder ein Inder eine Fußballmannschaft - und was da sportlich damit passiert, das ist dem völlig egal, der kann sich daheim dann einsperren. Dann verscherbelt er halt das Team wieder, weil er keinen Bezug zu der ganzen Sache herstellen konnte. So wie das beispielsweise bei einem Didi Mateschitz sehr wohl der Fall ist, der da richtig mitfiebert, der ja richtig Bauchbrennen hat, wenn das läuft."

Frage: "Es wird ja auch immer wieder betont, dass sich Dietrich Mateschitz im Gegensatz zu anderen Teambesitzern nicht so sehr oder sogar überhaupt nicht in Entscheidungen einmischt. Trifft das zu?"
Totschnig: "Er gibt die großen Direktiven, er setzt die Ziele und das war es dann."

Frage: "Es gibt den 'Red-Bull-Ring', dieses Projekt in Spielberg soll ja nun doch in abgespeckter Form entstehen. Da hört man ja, dass Red Bull Racing und auch die Scuderia Torro Rosso langfristig einmal in Österreich sitzen könnten. Plant man tatsächlich so eine Art Formel-1-Imperium in der Steiermark?"
Totschnig: "Ich glaube, dass darüber nachgedacht wird. Aber den tatsächlichen Stand dieser Entwicklung kenne ich nicht."

Frage: "Du bist nach 13 Jahren mit Sauber zu Red Bull gewechselt. Welche Rolle nimmst du bei Red Bull ein beziehungsweise welchem Team darf man dich zuordnen?"
Totschnig: "Das ist ein bisschen eine Zwittersituation. Meine von Anfang an definierte Aufgabe wird es sein, im Laufe dieser Saison die beiden logistischen Schienen von Red Bull Racing und von der Scuderia Torro Rosso in ein Haus zu führen, so dass alle logistischen Fragen zentral geregelt werden - ob das die Hotelreservation ist, es sich um Flugbuchungen, Mietautos, was auch immer handelt. Das heißt, meine Hauptaufgabe ist die folgende: Finde sämtliche Möglichkeiten für Synergien! Jetzt ist es aber so, dass Red Bull Racing gegenüber der Scuderia Toro Rosso ein Jahr an Vorsprung hat. Das heißt, da gibt es schon so etwas, das man Struktur nennen kann. Bei Ex-Minardi gibt es überhaupt nichts, es gibt keine Strukturen. Da sind wir jetzt so schnell wie möglich dran, so etwas wie eine Basis zu schaffen."

Eigentlich wollte Totschnig nichts Neues mehr anfangen

"Ich wollte mich ja nach 13 Jahren Sauber eigentlich ein bisschen zurückziehen..." Walter Totschnig

Frage: "Zwei Formel-1-Teams zu besitzen und sie strukturell und logistisch gleichzuschalten, das hat selten oder gar nie jemand getan. Es gibt niemanden, der das schon einmal getan hat und den du um Rat fragen könntest - also eigentlich eine totale Pionierarbeit..."
Totschnig: "Ich wollte mich ja nach 13 Jahren Sauber eigentlich ein bisschen zurückziehen - nicht völlig, aber so, dass ich mich entweder nur noch auf die Rennen oder die Testfahrten konzentriert hätte. Aber die Aufgabe, die mir hier gestellt wurde, hat mich dermaßen fasziniert, dass ich gesagt habe: 'Gut, dann mach ich es noch ein, zwei Jahre!'"

Frage: "Die Scuderia Toro Rosso soll ein neues, völlig anderes Design verpasst bekommen. Kannst du sagen, wie es aussieht?"
Totschnig: "Nicht wirklich. Ich habe ein paar Entwürfe gesehen, zu denen ich mich nicht äußern kann, weil ich nicht weiß, in welche Richtung die Entscheidung geht."

Frage: "Red Bull Racing holte Adrian Newey an Bord und soll auch Interesse an Juan-Pablo Montoya haben."
Totschnig: "Da musst du mit dem Herrn Mateschitz sprechen."

Frage: "Gibt es wie bei Toyota eine Art Jahresplan, in dem die Ziele definiert sind? Red Bull Racing hat mit Adrian Newey sicher höhere Ziele. Müssen da nicht zwangsläufig Siege und der Gewinn der Weltmeisterschaft die Ziele sein?"
Totschnig: "In letzter Konsequenz ja, sonst dürfte man so was gar nicht anfangen. Man muss es in der letzten Konsequenz natürlich anstreben, wobei man es von der obersten Führung von Red Bull gewohnt ist, dass man den Dingen Zeit lässt. Das ist nicht wie bei einem Konzern oder einem Vorstand von Daimler-Benz oder von BMW, die sagen: 'Im ersten Jahr fahren wir in der Mitte, im zweiten Jahr gewinnen wir ein Rennen und im dritten Jahr sind wir Weltmeister!'"

Bei Red Bull gibt man dem Team genug Zeit

"Man gibt den Leuten Zeit, man lässt sie die kleinen Schritte tun." Walter Totschnig

"Da kann es dann wiederum jederzeit passieren, dass der Vorstandsvorsitzende wechselt und dem neuen Mann ist die Formel 1 wieder schnuppe und dann fliegen die alle wieder raus. Das ist bei Red Bull aufgrund der Führungsstruktur sicher nicht der Fall. Man gibt den Leuten Zeit, man lässt sie die kleinen Schritte tun. Aber man darf keine falschen Schritte machen, nach Möglichkeit. Da sagt man dann: 'Also. Macht's die Schritte. Lasst's euch Zeit dafür. Ihr habt die Zeit. Aber macht das Richtige.' Das alleine, finde ich, ist eine vernünftige Einstellung. Man kann nicht hingehen und sagen: 'In drei Jahren sind wir Weltmeister!'. Aus irgendeinem Grund kann es dann ja einfach gerade nicht möglich sein - oder vielleicht doch. Wir werden sehen."

Frage: "Kann man sagen, dass Red Bull Racing in puncto Flair ein typisch österreichisches Team ist? Oder ist man derart international besetzt, dass der österreichische Besitzer gar nicht mehr auffällt?"
Totschnig: "Das Team ist zurzeit noch international ausgerichtet, wobei wir schon daran denken, noch weitere gute Leute ins Team zu holen, die vorzugsweise aber deutschsprachig sind. Ob das jetzt Deutsche, Österreicher oder Schweizer sind, ist weniger wichtig. Wir werden genug politische Kämpfe durchstehen müssen. Jetzt müssen wir Engländer und Italiener in ein Bett bekommen, das ist derzeit noch nicht wirklich denkbar, aber es muss uns gelingen, das ist unser Ziel. Also was man an deutschsprachigen Leuten kriegen kann, und wenn man weiß, dass sie gut sind, wird man sie auf jeden Fall nehmen."

Frage: "Und der Gerhard Berger wäre auch so jemand?"
Totschnig: "Ja, ja, sicher. Es sind deutschsprachige Caterer da - das fängt beim Essen an: Das ist weder italienisch noch ausschließlich englisch, sondern es gibt für jeden etwas, so dass alle zufrieden sind. Was Red Bull Racing so sympathisch macht, ist, dass vom ersten Moment an zwar seriös Formel 1 betrieben wurde - man hat eine fürs erste Jahr erfolgreiche Saison hinter sich - und dass man aber trotzdem das Gefühl hat, es darf gelacht werden und es darf auch einmal ein bisschen etwas Verrücktes passieren. Denn wir wollen doch der Produktphilosophie entsprechen. Das soll jedoch nicht heißen, dass man sich nicht ernsthaft mit der Aufgabe auseinandersetzt. Zuerst wird der Job erledigt, hinterher darf geklatscht werden."

Frage: "Das finde ich auch sympathisch, dass man nicht immer zum Lachen in den Keller oder in den Transporter gehen muss. Eure Pressemitteilungen sind ja recht unkonventionell, und eine eigene Paddock-Zeitung gibt es auch..."
Totschnig: "Wir haben ein Team, dass das 'Red Bulletin' produziert, das sechsmal an einem Rennwochenende erscheint - je zweimal am Freitag, Samstag und Sonntag wird eine Ausgabe produziert. Die kommen mit zwei Sattelschleppern mit einer Druckerei drin. Das ist ein internationales Team von zirka 15 Personen."

Totschnig traut Klien eine starke Saison 2006 zu

"Der Christian spielt recht gesund mit dem Wettbewerb innerhalb des Teams..." Walter Totschnig

Frage: "Christian Klien hat sich am Ende des letzten Jahres nach einer harten Saison mit der Fahrerrotation gesteigert. Was schaut die kommende Saison für ihn raus?"
Totschnig: "Er hat gewiss die nötige Grundgeschwindigkeit, die es braucht, und er ist mental wesentlich älter als er physisch ist. Er ist wesentlich gereift in diesem einen Jahr. Der Christian spielt recht gesund mit dem Wettbewerb innerhalb des Teams - mit dem David Coulthard als Senior -, und ich glaube, dass er durchaus ganz locker wird mithalten können."

Frage: "Christijan Albers bemängelte, dass Robert Dornboss bei Minardi sehr wenig entwickelt hat, im Gegensatz zu Patrick Friesacher. Vorausgesetzt, diese Behauptung würde stimmen, was ja nicht sein muss - wäre Doornbos dann der richtige Mann für den Job als Freitagsfahrer?"
Totschnig: "Hierzu kann ich nichts sagen, denn ich habe Robert Doornbos erst vor kurzem kennen gelernt."

Frage: "Über Scott Speed werden recht lustige Geschichten erzählt, er soll eine Art 'verrückter Vogel' sein?"
Totschnig: "Naja, verrückt nicht gerade. Der Scott, der arbeitet auch hart, doch er hat eben diese Lockerheit, die die Kalifornier in sich haben. Man muss ihm aber schon von Zeit zu Zeit klar machen: 'Junge, mach jetzt mal deinen Medical-Check!' oder ähnliche Dinge - da muss man ihm Druck geben, man muss es ihm ganz klar machen, dann tut er es auch. Von der Mentalität her ist er vielleicht eher wie der Bode Miller im Skisport."

Frage: "Stichwort Suderia Toro Rosso. Bezüglich der Restriktion machen sich andere Teams Sorgen, dass der gedrosselte Cosworth-V10 zu stark sein könnte. Wie wird es in dieser Frage weitergehen?"
Totschnig: "Da musst du mit Technikern reden, denn davon habe ich keine Ahnung. Ich komme aus der Hotellerie, war 25 Jahre in St. Moritz Hotelmanager und meine Tätigkeit hier bei Red Bull ist davon nicht so weit entfernt. Für mich stellt sich ein Auto folgendermaßen dar: Das sind vier schwarze runde Dinger und in der Mitte ist ein Haufen Eisen..."

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