Tomczyk: Chance für einen "Neuanfang"
Hermann Tomczyk im Interview über die künftigen Herausforderungen der FIA, die Rolle der Formel 1 und die Kandidatur von Ex-Rallye-Pilot Ari Vatanen
(Motorsport-Total.com) - In wenigen Wochen endet die Ära von Max Mosley. Der britische Jurist räumt seinen Posten als Präsident des Automobil-Weltverbandes FIA und macht Platz für seinen Nachfolger. Zur Wahl stehen Jean Todt und Ari Vatanen, die sich beide große Chancen auf die Führungsposition der FIA ausrechnen. Sollte Vatanen gewählt werden, wäre auch der Deutsche Hermann Tomczyk mit dabei - als Vizepräsident für Motorsport. Im Interview spricht Tomczyk über die Perspektiven im Motorsport.

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Hermann Tomczyk unterstützt Ari Vatanen im Präsidentschafts-Wahlkampf der FIA
Frage: "Herr Tomczyk, was würden sie im Welt-Motorsport künftig ändern und damit verbessern wollen?"
Hermann Tomczyk: "In den vergangenen Jahren registrierten wir eine große Instabilität im Regelwerk. Zudem hat es die FIA versäumt, ihre Weltmeisterschaften strategisch mit klarer Zielrichtung auszurichten."#w1#
"Hier ist es dringend notwendig, dass die FIA mit all ihren Weltmeisterschaften eine neutrale Plattform für einen ausgeglichenen Wettbewerb bietet. Meiner Meinung nach sollten künftig die Reglements in Kooperation mit den Wettbewerbern und anderer interessierter Gruppen, zum Beispiel den Organisatoren, entwickelt und für einen gewissen Zeitraum festgeschrieben werden."
Frage: "Wie sollte weltweit diese Plattform aussehen?"
Tomczyk: "Weltmeisterschaftsläufe sollten naturgemäß zunächst in solchen Ländern ausgerichtet werden, in denen unser Sport eine etablierte Infrastruktur besitzt und auch das Zuschauerinteresse vorhanden ist. Des weiteren auch in Ländern und Regionen, in denen das Interesse und die Bereitschaft da sind, die entsprechende Infrastruktur aufzubauen."
"Hier sollte die FIA mit Know-How sowohl im operativen und finanziellen Bereich helfen. Bei der unterschiedlichen Mitgliederstruktur der FIA ist es ihre Aufgabe, in Ländern und Regionen, in denen die Infrastruktur für den Motorsport nur schwach oder in einem noch nicht ausreichendem Maß vorhanden ist, unterstützend tätig zu werden und eine gewisse Entwicklungsarbeit zu betreiben sowie finanzielle Hilfe zu gewähren."
Handlungsbedarf in vielen Rennserien
Frage: "Wie wollen sie die künftige Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern des Motorsports gestalten?"
Tomczyk: "Für Promotoren und Teilnehmer brauchen wir langfristig planbare Kalender und Reglementstabilität. Ich sehe kein Problem, dass es zu einer vernünftigen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit allen beteiligten Parteien kommen kann. Hier hat die FIA die Funktion eines Moderators zwischen Promotoren, Organisatoren und Wettbewerbern."
Frage: "Wo gibt es vordringlichen Handlungsbedarf?"
Tomczyk: "Ich denke bei der Rallye-Weltmeisterschaft, bei der Ausrichtung der Tourenwagen-Weltmeisterschaft, aber auch im Kartsport und anderen FIA-Serien, wie zum Beispiel der Truck-EM oder dem GT-Sport. Dringenden Handlungsbedarf sehe ich natürlich auch in der Formel 1, die im Moment mehr von Skandalen als vom Sport geprägt ist."
Frage: "Wie stellen sie sich die Änderungen vor? Können sie das präzisieren?"
Tomczyk: "Bei der Rallye-WM sollten wir den Ursprung der Rallye-Wettbewerbe bedenken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rallye-Wettbewerbe in Zukunft auf Rundstrecken ausgetragen werden. Wir sollten an den Ursprüngen der Wettbewerbe weltweit festhalten und uns um einen sicheren und verständlichen Sport bemühen, der im Gastgeberland verankert und von nachhaltiger Achtung gegenüber der Umwelt geprägt ist."
"Insbesondere bin ich für eine neue Führung in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft. Struktur und Management sollen dabei die Qualität des Sports verbessern und Vertrauen in die FIA als einen kompetenten Weltverband erneut aufbauen. Bei der Truck-EM scheint eine ausgewogenere Führung mit geringerem Einfluss seitens der beteiligten Interessenvertreter sinnvoll."
"Der Kartsport gilt als Sprungbrett für junge Motorsporttalente. Ich meine, auch hier gibt es Potenzial für Verbesserungen. Wir sollten daher die Situation in unseren CIK-FIA-Meisterschaften genauer unter die Lupe nehmen."
Die nationalen Verbände in der Pflicht
Frage: "Welche Rolle sollen die nationalen Verbände spielen?"
Tomczyk: "Grundsätzlich basiert der gesamte Motorsport auf den Aktivitäten der nationalen Föderationen (ASNS). Die Mitgliedsclubs sind es, die den Motorsport organisieren, die für die Ausbildung der Funktionäre und Streckenposten verantwortlich sind und die sich vorwiegend ehrenamtlich für den Motorsport einsetzen."
"Diese müssen regional ihren Motorsport mit Unterstützung der FIA so gestalten können, dass er für Hersteller, Teams und Fahrer die besten Möglichkeiten bietet. Hier spielt auch die Nachwuchsarbeit eine große Rolle, die meiner Meinung nach eine wesentlich stärkere Unterstützung erfahren muss - beispielsweise durch die FIA Foundation.
Frage: "Wie könnte man die Position der nationalen Verbände stärken?"
Tomczyk: "Die nationalen Verbände müssen sich in der FIA wiederfinden. In Kommissionen und Arbeitsgruppen müssen Erfahrungen und Wissen der motorsportlichen Basis wieder Gehör finden. Im World Motor Sport Council ist es Aufgabe der gewählten Vertreter, die strategischen Entscheidungen der FIA maßgeblich mitzubestimmen."
Frage: "Was sind für sie die wichtigsten Elemente, um die Zukunft des Motorsports sichern zu können? Welche Rolle kann dabei die FIA spielen?"
Tomczyk: "Einerseits geht es um die Technik, bei der ich einen engen Zusammenhang zwischen Mobilität und Motorsport sehe. Nachdem die FIA beide Bereiche vereint, fällt ihr hier die extrem wichtige Aufgabe zu, Zukunftstechnologien im Motorsport zu fördern, die bestmöglich auch in der Alltagsmobilität zum Einsatz kommen. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit zu betrachten."
"Zum anderen gilt es, wie gesagt, gemeinsam mit allen involvierten Parteien eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufzubauen. Letztendlich hat die FIA mit ihren Weltmeisterschaften den größten Einfluss, unseren Sport als einen faszinierenden Wettbewerb, verbunden mit einer großen technologischen Herausforderung in der Öffentlichkeit, darzustellen und zu positionieren."
Tomczyk reizt die Chance auf den Neuanfang
Frage: "Die Formel 1 ist das Aushängeschild der FIA. Wie sehen sie derzeit die Situation?"
Tomczyk: "Die Formel 1 hat in jüngster Vergangenheit massiv für negative Schlagzeilen gesorgt, die das Ansehen unseres Sports nachhaltig beschädigt haben. Es ist deshalb dringend geboten, ja unabdingbar, dass die Ethik wieder in den Mittelpunkt der Formel 1 rückt und dort Motorsport stattfindet, der von Fairness und gegenseitigem Respekt geprägt ist."
Frage: "Sie wollten es persönlich eigentlich künftig etwas ruhiger angehen lassen und haben das eine oder andere Ehrenamt abgegeben. Warum stellen sie sich jetzt als Kandidat für den Posten des Vizepräsidents für Motorsport auf der Liste von Ari Vatanen zur Verfügung?"
Tomczyk: "Ich wurde in der letzten Zeit von vielen Persönlichkeiten aus dem Bereich des Motorsports sowie von Automobilclubs in der ganzen Welt gebeten, mich zu engagieren. Zum ersten Mal seit vielen Jahren besteht die Möglichkeit für einen Neuanfang."
"Ein Paradigmenwechsel ist auch dringend notwendig und muss vollzogen werden. Deshalb habe ich mich überzeugen lassen und deshalb engagiere ich mich. Ich habe mich für Ari Vatanen als Präsidentschaftskandidat entschieden, weil er zu 100 Prozent darauf ausgerichtet ist, diese notwendigen Veränderungen im Sinne aller FIA-Mitgliederclubs herbeizuführen."
"Er gilt als absolut neutral und verfügt nicht nur über Erfahrung im Motorsport, sondern auch über diplomatisches Geschick, Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen. Ich freue mich auf die Aufgabe und werde, sollte Ari Vatanen Präsident werden, mit Elan an die Arbeit gehen."

