• 01.08.2005 12:38

Todt: "Wir kommen da wieder heraus"

Ferrari-Teamchef Jean Todt im Interview über den Weggang von Barrichello, das Rennen in Budapest und die Rückkehr von Bridgestone

(Motorsport-Total.com) - Nach dem zweiten Platz von Michael Schumacher gestern am Hungaroring nahm sich Ferrari-Teamchef Jean Todt wie immer Zeit, um das zurückliegende Wochenende mit einigen Journalisten zu diskutieren. Dabei gab es vor allem zwei brennende Themen: Einerseits den stark verbesserten Auftritt dank der neuen Reifen von Bridgestone und zweitens den Wechsel von Rubens Barrichello zu BAR-Honda, der zwar noch nicht offiziell bestätigt, in Wahrheit aber längst in trockenen Tüchern ist.

Titel-Bild zur News: Jean Todt

Jean Todt sieht seit gestern endlich wieder Licht am Ende des Ferrari-Tunnels

Frage: "Jean, ihr hattet hier einen neuen Reifen dabei - und schon wird Michael Schumacher Zweiter. Wie viel hat dieser Reifen wirklich gebracht?"
Jean Todt: "Er war sehr gut für das Qualifying, sogar besser als erwartet, und dann waren auch die ersten 25 Runden des Rennens gut, bevor unsere Performance zurückgegangen ist, weil der Grip nachgelassen hat. Langsam, aber sicher verstehen wir das Problem gemeinsam mit unseren Freunden von Bridgestone. Wir kommen da wieder heraus, aber ich habe schon vor einer Woche gesagt, dass das eben ein Weilchen dauert."#w1#

Todt sieht Verbesserungen als "generellen Trend"

Frage: "Ist dieses starke Abschneiden heute als genereller Trend zu bewerten oder ist das eher ein streckenspezifisches Phänomen?"
Todt: "Es ist ein genereller Trend."

Frage: "Aber die Reifenperformance hat während des Rennens doch wieder nachgelassen..."
Todt: "Das ist, weil die Philosophie dieser neuen Reifen ganz anders ist. Um in der ersten Runde schnell zu sein, muss man die Philosophie umstellen. Dadurch gilt es, alles wieder neu zu lernen. Wir waren im Qualifying konkurrenzfähig und haben die Performance gesteigert. Wir sind noch immer nicht auf dem Level von früher, als wir das ganze Rennen hindurch schneller waren, aber langsam bewegt sich etwas. Es ist wie ein Cocktail, an dem wir gerade arbeiten."

Frage: "Liegt es eher an der Konstruktion der Reifen oder an der Gummimischung - oder an beidem?"
Todt: "Wie gesagt, es ist die ganze Philosophie. In der letztjährigen Situation konnten wir nach 25 Runden Reifen wechseln und waren durchgehend konkurrenzfähig. Dieses Jahr waren wir auch 25 Runden lang konkurrenzfähig, aber dann konnten wir keine neuen Reifen mehr aufziehen. An dieser Phase des Rennens müssen wir noch arbeiten."

"Probieren jedes Mal zehn verschiedene Mischungen aus"

Frage: "Wie lange habt ihr eigentlich an diesen neuen Reifen gearbeitet?"
Todt: "Wir probieren jedes Mal ungefähr zehn verschiedene Mischungen aus. Bei jedem Test stehen viele Mischungen und Konstruktionen zur Verfügung. Langsam, aber sicher verstehen wir, in welche Richtung wir gehen müssen, und wir können langsam identifizieren, was wir brauchen, um konkurrenzfähiger zu werden."

Frage: "Kann man in Prozent festmachen, wie viel die neuen Reifen zu eurer verbesserten Performance beigetragen haben?"
Todt: "Nein."

Frage: "Hattet ihr hier eine neue Konstruktion oder eine neue Mischung?"
Todt: "Eine Evolution dessen, was wir in Hockenheim verwendet haben."

Frage: "Michael Schumachers Vorsprung im Qualifying war außergewöhnlich groß. Wäre es im Nachhinein betrachtet nicht klüger gewesen, mehr Benzin zu tanken?"
Todt: "Ja, aber andererseits konnten wir damit ja nicht rechnen. Das kam überraschend für uns. Aber wenn man sich so umschaut, waren bis auf Montoya alle leichter als wir, Räikkönen zum Beispiel oder Ralf (Schumacher; Anm. d. Red.). Alonso haben wir nicht gesehen, der hatte ja ein Problem. Barrichello hat auch eine sehr gute Leistung abgeliefert."

Schumacher hätte 20 Kilogramm mehr Benzin mitnehmen können

Frage: "Hättet ihr 20 Kilogramm mehr Benzin mitnehmen können?"
Todt: "Ich habe gesagt, dass zehn Kilogramm hier vier Zehntel ausmachen. Rechnen könnt ihr auch selbst, oder?"

Frage: "Musste Michael Schumacher im Rennen von Anfang an konservativ fahren?"
Todt: "Bis zur 21. Runde war er sehr schnell, aber dann hat er versucht, konservativer zu sein."

Frage: "Er war zu Beginn des Rennens aber fast immer hinter seiner Zeit aus dem Qualifying, obwohl die ja mit derselben Benzinmenge gefahren wurde..."
Todt: "Man kann die Zeit aus dem Qualifying doch nicht in jeder Runde wiederholen! Michael war ungefähr 1,5 Sekunden langsamer als im Qualifying, aber anderen Fahrern hat noch viel mehr gefehlt."

Frage: "Das stimmt nicht ganz, denn Kimi Räikkönen war viel näher an seiner Zeit vom Samstag dran als Michael Schumacher."
Todt: "Ja, aber Räikkönen ist ja auch als Erster im Qualifying auf die Strecke gegangen. Da verliert man gleich mal eine Sekunde, weil die Strecke schmutzig ist. Montoya war mit 13 Benzinrunden mehr als Räikkönen etwas schneller. 13 Benzinrunden sind ungefähr 35 Kilogramm, was wiederum vier Zehntel sind. Also beträgt der Unterschied 1,4 Sekunden."

Die Renndrittel zwei und drei sind das nächste Problem

Frage: "Ferrari war hier das einzige Team, das McLaren-Mercedes herausfordern konnte. Wie bewertest du das und was sagst du zum Einbruch von Renault?"
Todt: "Renault macht einen sehr guten Job. Die führen nicht zufällig beide Weltmeisterschaften an. Man soll sie nicht gleich vergessen, nur weil sie jetzt einmal das bisher schlechteste Rennen des Jahres hatten. Im Moment sind sie nach 13 Rennen in beiden Weltmeisterschaften sehr deutlich in Führung. Ich hoffe aber, dass wir McLaren von nun an herausfordern können. Alles hängt davon ab, ob wir mit Bridgestone den besten Reifen finden und so weiter. Wir haben das Problem im Qualifying gelöst und wir haben das Problem zu Beginn des Rennens gelöst. Der nächste Schritt ist der Rest des Rennens. Dann sind wir wieder dabei."

Frage: "Heute hat der Reifen einmal tadellos funktioniert. Hilft euch das dabei, das Auto zu verstehen, denn bisher hast du ja immer gesagt, dass ihr noch nicht genau wisst, wo die Schwachstellen genau liegen?"
Todt: "Irgendwie schon. Wir haben ein viel versprechendes Paket. Das einzige Problem ist, dass wir schon 13 Rennen hinter uns haben. Wenn wir einen Monat vor Saisonbeginn stehen würden, wäre ich voll guter Hoffnung, aber nach 13 Rennen..."

Frage: "Hat euch die Hitze heute vielleicht ein bisschen geholfen?"
Todt: "Nein. Hat sie letzte Woche in Hockenheim geholfen? Ich würde sagen, sie hat uns nicht mehr aus der Fassung gebracht als erwartet, aber sie hat bestimmt nicht geholfen."

Selbst in der ungarischen Hitze trug Todt seinen Glückspullover

Frage: "Du hast auch heute deinen Pullover getragen, bei 36 Grad..."
Todt: "Er verbessert oder verschlechtert die Performance nicht, also ist es okay (lacht)! Ich schwitze nicht, aber wir sind zu langsam. Das ist alles. Nur das bringt mich zum Schwitzen."

Frage: "Es steht jetzt die Sommerpause vor der Tür. Werdet ihr trotzdem testen?"
Todt: "Wir werden testen, um die Reifen für die Türkei und für Monza vorzubereiten. Wir werden von Montag bis Donnerstag mit Badoer fahren."

Frage: "Wird Felipe Massa vor Saisonende für Ferrari testen?"
Todt: "Nein, das ist nicht geplant..."

Frage: "Es gibt Berichte, die besagen, dass Rubens Barrichello zu BAR-Honda wechseln wird. Hast du davon schon gehört?"
Todt: "Ich habe es heute Morgen zum ersten Mal gelesen. Im Moment habe ich dazu keinen Kommentar abzugeben."

Todt lässt Barrichello zu BAR-Honda ziehen

Frage: "Ein Dementi vielleicht?"
Todt: "Kein Kommentar. Ich habe immer gesagt, dass die Leute in einem Team happy sein müssen - mit oder ohne Vertrag. Wenn mir Rubens sagt, dass er in einem anderen Team glücklicher wäre, setze ich mich gerne mit ihm an einen Tisch."

Frage: "Hat es eine solche Diskussion mit ihm schon gegeben?"
Todt: "Das ist etwas, was wir demnächst finalisieren werden. Ich habe immer gesagt, dass ich damit nicht bis zum Ende der Saison warten will, sondern das soll in den nächsten Tagen entschieden werden. Ich sage nicht, dass Rubens unglücklich ist, aber vielleicht kann er woanders glücklicher werden. Ich weiß es nicht, daher werde ich mich mit ihm unterhalten."

Frage: "Und Felipe Massa?"
Todt: "Bittet mich nicht darum, Spekulationen zu kommentieren! Das sind im Moment meine geringsten Sorgen. Ich spreche lieber von Tatsachen. Zuerst einmal müssen wir evaluieren, wie glücklich oder unglücklich Rubens ist. Wenn wir zum Schluss kommen, dass er woanders glücklicher sein könnte, dann könnten wir uns für ein anderes Szenario entscheiden."

Frage: "Wie glücklich bist du im Moment?"
Todt: "Mir geht es gut (lacht)! Nach dem Qualifying gestern war ich sehr happy, obwohl ich gewusst habe, dass es sehr schwierig werden würde, das Rennen auch zu gewinnen. Solange etwas vorwärts geht, fühle ich mich gut, und im Moment habe ich schon den Eindruck. Es ist ein gutes Team mit fantastischen Partnern. Alle sind motiviert. Mir war klar, dass diese unglaubliche Erfolgsstory irgendwann aufhören würde. Jetzt will ich sicherstellen, dass sie so früh wie möglich wieder beginnt."