• 11.07.2005 12:06

Todt: "Bewegen uns nicht in die richtige Richtung"

Im Interview nach Silverstone zeigte sich Ferrari-Boss Jean Todt schwer enttäuscht - WM-Titel will er dennoch weiterhin nicht abschreiben

(Motorsport-Total.com) - Ferrari durchlebt derzeit die wohl schwierigste Phase seit Beginn der einzigartigen Siegesserie im Jahr 2000. Das gestrige Rennen in Silverstone war wieder einmal bezeichnend: Michael Schumacher und Rubens Barrichello hatten keinerlei außergewöhnliche Probleme, mussten aber mit den Plätzen sechs und sieben Vorlieb nehmen - trotz unterschiedlicher Strategien am Ende nur um 1,2 Sekunden voneinander getrennt. Im Gespräch mit Journalisten analysierte Teamchef Jean Todt anschließend die nächste große Schlappe innerhalb von nur acht Tagen.

Titel-Bild zur News: Jean Todt

Jean Todt spürt, dass bei Ferrari im Moment nicht allzu viel weitergeht

Frage: "Jean, angeblich bietet ihr Jenson Button 30 Millionen Euro, damit er zu Ferrari kommt. Was ist da dran?"
Jean Todt: "Das ist reine Spekulation. Die Meldung hat null Prozent Wahrheitsgehalt. Man muss da zwischen zwei verschiedenen Dingen unterscheiden: Wenn man mich fragt, ob diese Spekulation stimmt, dann verneine ich. Wenn wir aber das vergessen, wenn ich gefragt werde, ob er ein guter Fahrer ist, dann sage ich: Natürlich ist er ein guter Fahrer, aber das ist genau dasselbe, was ich dem Journalisten gesagt habe, der dann diese Story daraus gemacht hat."#w1#

Für Todt gibt es in der Formel 1 "viele gute Fahrer"

"Wir haben viele gute Fahrer, aber man braucht die Gesamtkombination: das Auto, die Zuverlässigkeit, die Reifen, den Motor und den Fahrer. Nur wenn man das alles hat, ist man siegfähig. Man muss sich ja nur anschauen, was von einem Rennen zum nächsten, von einem Jahr zum nächsten passieren kann. Ich habe auch mal über einen Fahrer gesprochen, der dieses Jahr schon Zweiter geworden ist, nicht in einem Ferrari. Jetzt ist er nicht mal mehr in den Punkten, jetzt hat er quasi Sonnenbrand. Einen guten Fahrer kann man eigentlich nur gegen seinen Teamkollegen bewerten. Dann weiß man wirklich, wer der Bessere von beiden ist, aber sonst ist das nicht möglich."

Frage: "Wie ist das Gerücht um Jenson Button denn entstanden? Was glaubst du?"
Todt: "Wie heißt der Sport den wir betreiben?"

Frage: "Formel 1."
Todt: "Eben. Das ist doch schon die Antwort darauf."

Frage: "War eure Leistung heute ein Weckruf, eine Überraschung?"
Todt: "Eine unangenehme Überraschung, aber wir befinden uns in derselben Situation wie vor einer Woche. Da war es genauso, nicht schlechter. Wenn man die schnellste Rundenzeit im Rennen betrachtet, die Tendenz, am Freitag gut zu sein, dann aber am Samstag und Sonntag immer weiter zurückzufallen, dann kann man Parallelen erkennen."

Diese Woche plant Ferrari wieder einen großen Test

Frage: "Ihr werdet nach Silverstone wieder testen. Kann euch das nach vorne bringen?"
Todt: "Zunächst einmal müssen wir analysieren, denn ein Test nur des Testens wegen macht uns nicht schneller. Wir müssen herausfinden, warum wir am Freitag konkurrenzfähig sind, am Samstag aber an Performance einbüßen und am Sonntag dann definitiv viel Performance einbüßen. Das müssen wir verstehen. Das Problem zu identifizieren, ist einfach. Die Lösung ist hingegen sehr komplex, aber genau das müssen wir schaffen."

Frage: "Michael Schumacher sagt, dass ihr euch seit Nordamerika zurückentwickelt habt. Hat er damit Recht?"
Todt: "Das ist wahr. Seit ein paar Rennen bewegen wir uns rückwärts. Wenn man sich die Rundenzeiten im Rennen anschaut, dann haben wir schon oft die schnellste Rennrunde gedreht oder waren zumindest nahe dran. In Magny-Cours waren wir aber 1,3 Sekunden hinten, hier 1,2. Unsere Konkurrenten drehten die schnellste Runde in ihrer letzten Runde, wir aber wurden ab Runde 20 immer langsamer."

Frage: "Ist es möglich, das Blatt vor dem Grand Prix von Deutschland zu wenden?"
Todt: "Schwer zu sagen, weil ich nicht alle Parameter bei der Hand habe. Es ist sicher möglich, aber sehr, sehr schwierig."

"Im Moment bewegen wir uns nicht in die richtige Richtung"

Frage: "Hast du das Gefühl, dass ihr euch in die richtige Richtung bewegt?"
Todt: "Im Moment bewegen wir uns nicht in die richtige Richtung, nein."

Frage: "Wo liegt das Problem?"
Todt: "Vor allem fehlt es uns an Grip. Es spielt alles zusammen. Zu beurteilen, woher es ganz genau kommt, ist schwierig. Es sind nicht nur die Reifen, es ist aber auch nicht nur die Aerodynamik, denn mit einer schlechten Aerodynamik könnte man nicht so gute Zeiten fahren wie wir am Freitag. Wir fahren wie die anderen Teams, mit denselben Benzinmengen - und wir sind im Training auch genauso schnell. Trotzdem fallen wir dann zurück. Für die Gegenseite ist es einfacher, das zu analysieren, denn sie haben mehr Teams. Bei allem Respekt vor Jordan und Minardi: Es ist sehr schwierig, da sinnvolle Vergleiche anzustellen. Es liegt daher alleine an uns und Bridgestone, die Situation bestmöglich zu analysieren."

Frage: "Wollt ihr jetzt noch einmal alles daran setzen, diese Saison - vielleicht sogar mit einem B-Auto - zu retten, oder konzentriert ihr euch lieber schon auf 2006?"
Todt: "Wir werden für nächstes Jahr auf jeden Fall ein neues Auto bauen. Wegen des neuen Motors ist das ja notwendig. Alle Weiterentwicklungen kommen immer von einem speziellen Know-how. Ich habe immer betont, dass die Leute bei Ferrari dieselben sind wie früher, also kann dieses Know-how nicht verloren gegangen sein. Dennoch sind wir im Moment einfach nicht schnell genug."

Todt zwar enttäuscht, aber keineswegs resignativ

Frage: "In der Formel 1 gelingen meistens nur sehr kleine Fortschritte auf einen Schlag..."
Todt: "Im heutigen Rennen haben wir ganz klar gewaltig an Performance verloren, weil uns Grip gefehlt hat. Vor ein paar Rennen sind noch unsere Konkurrenten so eingebrochen, während wir im Rennen sehr konstant waren. Wenn wir also die richtige Mixtur finden und einen besseren Job machen, dann ist auch ein sehr großer Entwicklungsschritt möglich."

Frage: "Bridgestone hatte in Silverstone eine neue Reifengeneration dabei. Hat die funktioniert?"
Todt: "Das müssen wir erst analysieren, Bridgestone auch. Wenn man mich fragt, ob dadurch das erwünschte Resultat zustande gekommen ist, dann muss ich ganz klar verneinen, aber wie gesagt, erst einmal müssen wir die Gründe dafür untersuchen."

Frage: "Ist die Weltmeisterschaft nun schon verloren?"
Todt: "Es wird immer schwieriger, aber wenn wir für die kommenden Rennen ein gutes Paket hinbekommen, ist noch einiges möglich. Dafür müssen wir aber vor die Gegner kommen, was im Moment nicht möglich ist. Wenn uns das gelingt, dann ist aber noch viel drin. Verlieren wir jedoch bei jedem Rennen weitere Punkte, dann ist der WM-Titel irgendwann auch mathematisch unmöglich. Im Moment ist es aber noch nicht soweit."

"Das Image von Ferrari ist sehr stark"

Frage: "Die Weltmeisterschaft einmal beiseite: Wie wichtig ist es für das Image von Ferrari und für eure Motivation, dieses Jahr noch Rennen zu gewinnen?"
Todt: "Das Image von Ferrari ist sehr stark. Wir sind natürlich nicht happy mit der derzeitigen Situation, aber wir leben manchmal in einer unlogischen Welt. Da kann es sogar sein, dass unsere schwierige Saison unsere Erfolge der vergangenen Jahre im Nachhinein umso mehr aufwertet. Ich glaube nicht, dass ein halbes Jahr ausreicht, um unser Image zu zerstören, aber diese Einschätzung überlasse ich lieber den Journalisten. Kommerziell gesehen sind wir sehr stark aufgestellt. Wir sind mit Bestellungen für V8-Autos für die nächsten zwei Jahre ausgebucht, für V12-Autos auch ein Jahr. Der Firma geht es sehr gut. In der Formel 1 sind wir im Moment aber nicht gut genug."

Frage: "Ist diese Situation für dich als Sportsmann eine Herausforderung?"
Todt: "Sicher ist das eine neue Herausforderung, ja."

Frage: "Musst du hart daran arbeiten, das Team zu motivieren, damit sie nicht die Köpfe hängen lassen?"
Todt: "Sie sind alle sehr motiviert, weil sie nicht verlieren wollen. Das ist die beste Motivation: zu versuchen, darauf zu reagieren. Das ist schwierig, aber auf eine gewisse Art und Weise auch gar nicht ungesund, weil es zeigt, wie schwierig Erfolg zu erreichen ist. Dadurch wird das Verlangen danach, wieder erfolgreich zu werden, umso größer. Natürlich sind wir nicht glücklich, dass wir nicht gewinnen können, aber wir sind in derselben Situation wie einige andere Konkurrenten, die auch fünf oder sechs Jahre lang nichts gewonnen haben und trotzdem zurück an die Spitze gekommen sind. Darum finde ich es spannend, wieder um den Erfolg fighten zu müssen."

Todt hat keine Zweifel an Schumachers Motivation

Frage: "Ist Michael Schumacher auch noch so motiviert und heiß wie früher?"
Todt: "Er hasst es, zu verlieren, aber er ist sehr, sehr motiviert, ganz klar. Wir könnten auch sagen: Wir haben so viel gewonnen, also wen kratzt das? Aber das tun wir nicht."

Frage: "Gab es in den vergangenen paar Jahren ähnlich schwierige Situationen?"
Todt: "Sicher: 1994, 1995, 1996, 1997, 1998 und teilweise 1999. All das waren sogar noch schwierigere Jahre."

Frage: "Wie läuft es mit eurem V8-Programm?"
Todt: "Es läuft, aber es ist noch zu früh dafür, es als gut oder schlecht zu bezeichnen. Wir befinden uns gerade in einer Phase, den Motor kennen zu lernen und zu verstehen."

Frage: "Einige Teams werden ihren V8 möglicherweise schon diese Woche testen. Ferrari auch?"
Todt: "Wir haben auf dem Prüfstand schon mit Tests begonnen, aber noch nicht im Auto."

Frage: "Du giltst als Verbündeter von FIA-Präsident Max Mosley. Glaubst du, dass er diesen Herbst abgewählt wird?"
Todt: "Er war dieses Wochenende hier. Habt ihr nicht mit ihm gesprochen? Das sollte man ihn selbst fragen. Ich hoffe, dass er antreten wird. Er ist der beste Präsident, den man sich wünschen kann, daher hoffe ich, dass er im Amt bleibt."