• 27.09.2007 13:36

Theissen: "Wollen auch einmal siegfähig sein"

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen im ausführlichen Interview über die aktuelle Saison, die Ziele seines Teams, die Strecke in Fuji und vieles mehr

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Herr Theissen, die Spionageaffäre hat die Formel 1 lange beschäftigt und einen enormen Imageschaden verursacht. Kann man so etwas in Zukunft überhaupt verhindern?"
Mario Theissen: "Für die Formel 1 ist dies sicher eine Bewährungsprobe. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Formel 1 solche Turbulenzen überwinden kann. Wichtig ist, dass jetzt schnell wieder der Sport im Mittelpunkt steht. Wer ein Team wechselt, der hat etwas im Kopf. Sonst würde derjenige, Der ihn verpflichten will, ja einen Fehler machen. Die Spielregel ist einfach: Der ideale neue Mitarbeiter kommt mit einem Kopf voller Wissen, jedoch mit leeren Taschen."

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen erwartet vom BMW Sauber F1 Team 2008 eine weitere Steigerung

Frage: "Was bedeutet das konkret?"
Theissen: "Im Motorsport gilt die Devise: Man muss schneller entwickeln als die Konkurrenz. Und alles, was man auf dem Weg dorthin sieht oder zu sehen bekommt, muss man sofort in seine Gedanken einbeziehen. Somit ist alles, was man wirklich an der Rennstrecke sieht, frei verfügbar. Es ist im Motorsport insgesamt so, dass niemand geistiges Eigentum schützen lässt, also Patente anmeldet, weil das einfach viel zu lange dauert."#w1#

Glock kann Testfahrer bleiben, wenn er will

"Sollte er andere Möglichkeiten haben, müssten wir uns unterhalten." Mario Theissen

Frage: "Timo Glock steht vor dem Gewinn der GP2-Meisterschaft. Welche Rolle spielt er in Ihren Planungen?"
Theissen: "Wir bieten ihm an, auch im kommenden Jahr Testfahrer bei uns zu sein. Das Klima passt und wir schätzen seine Fähigkeiten hoch ein. Deshalb haben wir ihm auch dieses Angebot gemacht. Sollte er andere Möglichkeiten haben, müssten wir uns unterhalten. Das ist aber momentan nicht der Fall."

Frage: "Bis wann muss er sich entscheiden?"
Theissen: "Spätestens am Saisonende."

Frage: "Könnte man Glock nicht zur Belohnung beim Formel-1-Finale in São Paulo für Kubica oder Heidfeld fahren lassen?
Theissen: "Das ist nicht vorgesehen."

Frage: "Das BMW Sauber F1 Team ist die dritte Kraft in der Formel 1 hinter Ferrari und McLaren-Mercedes. Hatten Sie damit gerechnet?"
Theissen: "Wir hatten uns vorgenommen, die dritte Position in dieser Saison zu erreichen. Überrascht hat uns, wie leicht das von Beginn des Jahres an ging. Wir haben den dritten Rang praktisch in jedem Rennen unter Beweis gestellt. Das heißt aber auch, dass vor uns zwei Teams liegen, die besser sind. Und das ist ein großer Ansporn für die kommende Saison."

Frage: "Haben Sie nach einer sportlich so erfolgreichen Saison keine Angst davor, dass die Erwartungen 2008 zu hoch sind?"
Theissen: "Das kann durchaus passieren, vor allem aufgrund des Punktestandes. Es ist in dieser Saison so, dass die drei Topteams regelmäßig die Zähler einfahren. Dadurch bleibt nur sehr wenig übrig für alle anderen Rennställe. Das führt dazu, dass wir schon auf die 100-Punkte-Marke zusteuern, während die Teams hinter uns nur sehr wenig aufweisen. So etwas ist ja nicht der Normalfall, das kann im nächsten Jahr dann wieder ganz anders aussehen. Mit einer breiteren Verteilung der Punkte wird es dann deutlich schwerer, wieder über die 100 Punkte zu kommen."

Lücke nach vorne soll geschlossen werden

"Das Ziel für das nächste Jahr ist es, die Lücke nach vorne zu schließen." Mario Theissen

Frage: "Mit welchen Ansprüchen gehen Sie ins nächste Jahr?"
Theissen: "Das Ziel für das nächste Jahr ist es, die Lücke nach vorne zu schließen. Da sind zwei Teams, die noch schneller sind als wir. Unser Anspruch ist es, mit dem nächsten Auto in die Lage zu kommen, auch einmal siegfähig zu sein."

Frage: "Sie gehen mit dem eingespielten Fahrerduo Nick Heidfeld und Robert Kubica in die neue Saison. Wann ist diese Entscheidung gereift?"
Theissen: "Wir waren uns schon sehr früh in der Saison einig, was wir wollten. Dann haben wir unsere Wunschvorstellung umgesetzt. Wir haben Robert bereits nach dem schweren Unfall in Kanada gesagt, dass er auch 2008 bei uns im Auto sitzt. Und wir waren uns mit Nick auch so einig, dass wir die Vertragsformalitäten einfach so nebenher im Laufe der Saison erledigen konnten, ohne dass da die Befürchtung bestand, dass etwas schief gehen könnte."

Frage: "Wer wird Weltmeister: Neuling Lewis Hamilton oder Titelverteidiger Fernando Alonso?
Theissen: "Hamilton hat bislang eine tolle Saison abgeliefert, dass hat man so noch von keinem Neuling gesehen. Trotzdem sind aus meiner Sicht die Chancen ausgeglichen, und ein WM-Tipp wäre daher reine Spekulation. Ich glaube und ich hoffe auch, dass sich dies erst im letzten Rennen entscheidet."

Frage: "Die Erweiterung des Werks im schweizerischen Hinwil ist abgeschlossen, das Personal des Teams wurde von 275 auf 430 Mitarbeiter aufgestockt ..."
Theissen: "Wir werden den endgültigen Ausbau zum Jahresende erreichen. Wir beginnen in der zweiten Oktoberhälfte mit dem Einzug, so dass vor allem die Produktion des neuen Autos im Winter nicht gestört wird."

Theissen begrüßt geplante Nachtrennen

Sepang in der Nacht

In Zukunft sollen in der Formel 1 auch einige Nachtrennen gefahren werden Zoom

Frage: "2008 findet in Singapur das erste Nachtrennen der Formel 1 statt. Vor allem der Sicherheitsaspekt wurde sehr kontrovers diskutiert. Was ist Ihre Meinung dazu?"
Theissen: "Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, macht es gar keinen Sinn, sich über den Rest Gedanken zu machen. Und die Sicherheit der Funktionsfähigkeit der Beleuchtungsanlage muss einfach größer sein als bei einem Fußballspiel, weil fahrsicherheitskritische Situationen sofort auftreten würden, wenn die Beleuchtung ausfällt."

"Ich glaube aber, dass es keine Raketentechnik ist, so ein ausfallsicheres Beleuchtungssystem hinzustellen. Und wenn das gelingt, ist ein Nachtrennen aus meiner Sicht sehr attraktiv. Man braucht sich nur die spezielle Atmosphäre eines Fußballspiels unter Flutlicht anzuschauen. Das kann ich mir auch bei einem Autorennen sehr schön vorstellen. Unter Flutlicht tritt einfach die Umgebung in den Hintergrund und das eigentliche Geschehen rückt ins Zentrum."

Frage: "Wie sieht der Formel-1-Kalender der Zukunft aus?"
Theissen: "Die Formel 1 braucht immer einen europäischen Kern mit den Traditionsrennstrecken. Das ist aus meiner Sicht auch nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Aber man muss auch sehen: Wo liegen die Chancen für die Formel 1? Und die liegen in den neuen Märkten. Natürlich vorrangig in Asien, in den sich sehr schnell entwickelnden Ländern.

Frage: "Sie meinen vor allem China..."
Theissen: "Wenn man sich vorstellt, dass dort allein etwa 1,4 Milliarden Menschen leben, die durch die Formel 1 erst in jüngster Zeit erstmals mit Motorsport in Berührung gekommen sind, dann kann man sich vorstellen, welches Potenzial da schlummert. Nicht nur an Zuschauern, sondern auch an Business und Sponsoren. Dort Rennen zu fahren, ist nicht nur richtig, sondern es sichert den Stellenwert der Formel 1 für die Zukunft ab."

20 Rennen wären wünschenswert

"Das ist eine hohe Zahl, die das Team entsprechend belastet. Aber wir könnten damit leben." Mario Theissen

Frage: "Im nächsten Jahr finden 18 Rennen statt, Formel-1-Boss Bernie Ecclestone schweben 20 Grands Prix vor. Was halten Sie von diesem Vorhaben?"
Theissen: "Das ist eine hohe Zahl, die das Team entsprechend belastet. Aber wir könnten damit leben. Wir betreiben einen großen Aufwand, um Formel-1-Rennen zu fahren. Wenn wir zwei Rennen mehr fahren, heißt das für uns auch: Der Aufwand wird besser umgesetzt und effizienter genutzt. Die eigentliche Show wird verbessert, und das ist gut. Man muss sich dann nur überlegen, wie das Programm zu bewältigen ist und der komplette Reisekalender logistisch sinnvoll aufgestellt wird. Und man muss sich fragen, wie die Testfahrten eingeschränkt werden."

Frage: "Sind Sie mit dem Produkt Formel 1 zufrieden?"
Theissen: "Es gibt auf jeden Fall Verbesserungspotenzial. Das ist erkannt und daran wird auch gearbeitet. Das ist zum Beispiel das Thema Überholmöglichkeiten. Es gibt eine so genannte Overtaking-Working-Group im Automobilweltverband FIA mit den technischen Leitern der Teams. Dort wird gerade ein Aerodynamikreglement entwickelt, das das Überholen deutlich erleichtern soll."

Frage: "Wie soll das funktionieren?"
Theissen: "Das Grundprinzip ist, dass die gestörte Luft hinter einem Formel-1-Auto nicht die Aerodynamik des Folgefahrzeugs so sehr beeinträchtigt, dass es nicht mehr dicht auffahren kann. Und darum geht es: Diese gestörte Luft zu reduzieren, damit der Hintermann auch in Kurven dicht auffahren kann, ohne Abtrieb zu verlieren und dadurch nahe genug dran ist, um auf den Geraden zu überholen."

Rückendeckung für Schumacher

"Er hat gezeigt, dass er sehr souverän an der Spitze fahren kann." Mario Theissen

Frage: "Würden Sie Ralf Schumacher vermissen, falls er keinen Vertrag mehr für die Formel 1 erhält?"
Theissen: "Ich würde das bedauern, vor allem, wenn es aufgrund der Umstände in dieser Saison so wäre. Ralf ist ja bei uns gefahren und hat bei uns sechs Rennen gewonnen. Er hat gezeigt, dass er sehr souverän an der Spitze fahren kann. Wann immer ein Fahrer aufhört, wünscht man ihm natürlich, dass er mit Erfolgen aufhört und nicht nach so einer schwierigen Saison wie das jetzt der Fall ist. Ich hoffe aber, dass Ralf noch eine Zukunft in der Formel 1 hat."

Frage: "Sprechen wir über Fuji. Die Strecke verfügt über die längste Gerade der Formel 1, 1,5 Kilometer fast. Was bedeutet das für die Abstimmung?"
Theissen: "Die Herausforderung besteht darin, dass diese Strecke zwei Gesichter hat - die Kombination aus einer sehr langen Geraden, auf der es um Höchstgeschwindigkeit und möglichst wenig Luftwiderstand geht, und einem weiteren Verlauf mit zum Teil unorthodoxen Kurven, wo sicherlich Abtrieb gefragt sein wird."

"Hinzu kommt die Tatsache, dass wir die Strecke nicht kennen. Wir haben hier also nur ein Basissetup im Paket, das wir uns aus der eigenen Simulation erarbeitet haben. Wir haben die Geometrie der Strecke und haben daraus per Simulation ein Basissetup ermittelt. Das betrifft sowohl die Aerodynamik als auch die Getriebeübersetzungen. Aber wir haben hier auch ein paar Fragezeichen, mit denen man normalerweise nicht anreist. Ich bin sicher, dass wir am Freitag wesentlich mehr Autos auf der Strecke sehen werden als das üblicherweise der Fall ist - um genau dieses Paket, mit dem man von zu Hause gekommen ist, zu verifizieren."

Frage: "Wie muss man sich diese Verifikation vorstellen? Macht das der Fahrer mit dem Ingenieur? Wie wichtig ist zum Beispiel die Kommunikation an diesem Freitag?"
Theissen: "Das Hauptthema ist die Datenanalyse. Wir erfassen die Daten und die Ingenieure sehen sofort, ob zum Beispiel die Getriebeübersetzung nicht passt oder ob wir vom Abtrieb her zu hoch oder zu niedrig sind, ob wir das Auto höher setzen müssen, Federsteifigkeit und solche Dinge. Das sieht man überwiegend aus den Daten. Der Fahrer muss seinen subjektiven Kommentar dazu abgeben, denn am Ende ist er nur schnell, wenn er sich im Auto wohl und sicher fühlt. Das kommt praktisch dazu. Auf diese Weise arbeitet man sich durch die drei Freien Trainings."

Reifen müssen optimal ausgeschöpft werden

Bridgestone-Reifen mit Graining

Die Reifen bleiben auch ohne Reifenkrieg weiterhin ein wichtiger Faktor Zoom

Frage: "Der Schlüssel sind die Reifen, da hat es bei McLaren-Mercedes und Ferrari in den vergangenen Rennen Schwankungen gegeben. Warum sind Sie diesbezüglich konstant? Ist das der Schritt, der Ihnen noch fehlt?"
Theissen: "Es hat schon auch bei uns Unterschiede gegeben. Wir sind nicht ganz konstant, die Reifen wirken sich aus - aber eben bei weitem nicht mehr so stark wie im letzten Jahr, als wir völlig verschiedene Reifen hatten. Es geht jetzt mehr darum, die Möglichkeiten des Reifens perfekt zu nutzen. Ich glaube, das ist unseren Ingenieuren in diesem Jahr ganz gut gelungen. Wir hatten weit weniger Schwierigkeiten als manche anderen Teams, was auch zum Teil erklärt, warum wir gleich vom ersten Rennen an die dritte Position unter den Teams innehatten."

Frage: "Wo schätzen Sie das BMW Sauber F1 Team von den Strecken her ein, eher bei Ferrari oder eher bei McLaren-Mercedes? Welche Strecken kommen Ihnen eher entgegen?"
Theissen: "Das Problem ist: Ich sehe da nicht mal eine Gesetzmäßigkeit drin, denn Spa und Monza sind beides schnelle Strecken, aber da waren die Kräfte unterschiedlich verteilt. Die Regel, die sehe ich noch nicht - und ich sehe auch nicht, ob wir jetzt näher bei dem einen oder dem anderen sind. Der Zeitabstand ist das einzige, was mich interessiert, und den müssen wir bis zum nächsten Jahr wegfeilen."

Frage: "Wo glauben Sie, dass hier die Vorteile im WM-Kampf liegen werden, oder hat man da noch zu wenige Informationen? Wenn der Asphalt neu ist, könnte möglicherweise Ferrari vorne liegen. Stimmt diese Milchmädchenrechnung?"
Theissen: "Ich weiß es nicht. Fragen Sie bitte Ferrari. Mich interessiert das gar nicht. Ich schaue, was unser Team hier macht. Die anderen sehen wir auf dem Zeitenmonitor. Nur das ist für uns relevant."