• 07.09.2008 20:57

  • von Dieter Rencken

Theissen: "Das sagt etwas über Rennintelligenz aus"

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen analysiert den strategischen Geniestreich von Nick Heidfeld, dessen Zukunft im Team und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Mit dem späten Wechsel von Trockenreifen auf Intermediates schaffte Nick Heidfeld heute im Regenchaos von Spa-Francorchamps noch den Sprung auf das Podium, was für seine Zukunft im BMW Sauber F1 Team nicht das Schlechteste sein dürfte. Robert Kubica beendete den Grand Prix auf Platz sechs und sammelte immerhin WM-Punkte. BMW Motorsport Direktor Mario Theissen analysierte den kuriosen Nachmittag gemeinsam mit den Medienvertretern.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen kann mit Nick Heidfeld diesmal sehr zufrieden sein

Frage: "Herr Theissen, war das das verrückteste Ende eines Formel-1-Rennens, das sie je erlebt haben?"
Mario Theissen: "Fuji letztes Jahr war auch nicht schlecht, aber das ist wohl so, ja. Vor allen Dingen war es so komprimiert in den letzten zwei Runden, wie ich es bisher noch nie erlebt habe."#w1#

Geniestreich geht auf Heidfelds Kappe

Frage: "Was ging Ihnen durch den Kopf, als Nick gesagt hat, er möchte auf Regenreifen wechseln?"
Theissen: "Das war eine grenzwertige Entscheidung, die hauptsächlich von Nick selbst ausging. Man braucht zwei dazu. Entscheidend ist natürlich der Fahrer, der erlebt, was da abgeht. Der muss sagen, dass er lieber mit Regenreifen fahren möchte. Dann aber auch der Renningenieur, der zustimmen und die Einschätzung auch teilen muss. Ich habe gedacht, die Rechnung geht nicht auf, denn wenn einer zwei Runden vor Schluss reinfährt und die Reifen wechselt, verliert er zunächst mal 25 Sekunden - und 25 Sekunden in zwei Runden aufzuholen, das ist ein solcher Haufen Holz, das geht normalerweise nicht. Es war dann aber wirklich so, dass er sie in der letzten halben Runde reihenweise gepackt hat."

Frage: "War das die Wiedergutmachung für alles mögliche Pech, auch am Anfang des Rennens?"
Theissen: "Ja. Es war eine Entschädigung für den ganzen Rennverlauf. Am Start haben beide Fahrer vier, fünf Positionen verloren. Nick wurde sogar in eine Kollision verwickelt und hatte Glück, dass er überhaupt weiterfahren konnte. Damit waren nach der ersten Kurve beide Autos außerhalb der Punkte. Da war das Rennen eigentlich gelaufen."


Fotos: BMW Sauber F1 Team, Großer Preis von Belgien, Sonntag


"Im weiteren Verlauf war die Pace okay - nicht wirklich gut, aber okay. Wir hatten bei allen Boxenstopps das Pech, jeweils hinter einem anderen Auto rauszukommen, das uns dann sein Tempo vorgegeben hat. Beim zweiten Stopp von Robert ging der Tankschlauch nicht gleich drauf, was ihn zwei Positionen kostete. So gesehen war der Strategiestreich zum Schluss die Entschädigung für das, was vorher passiert ist."

Frage: "War das für Nick die Wende?"
Theissen: "Schauen wir mal in Monza. Es war auf jeden Fall ein starkes Wochenende, sowohl im Qualifying wie auch im Rennen - vielleicht sein stärkstes Wochenende des Jahres. Und es sagt etwas über seine Rennintelligenz aus, eine Situation wie diese innerhalb weniger Sekunden richtig einschätzen zu können. Die anderen Fahrer, die auf Intermediates gewechselt sind, kamen alle eine Runde später rein als Nick - und für die ging die Rechnung nicht auf. Alonso wäre zum Beispiel besser draußen geblieben."

Frage: "Hat er damit seine Position gefestigt oder ist es dafür schon zu spät?"
Theissen: "Geschadet hat das sicher nicht."

Risiko zum richtigen Zeitpunkt

Frage: "Angenommen, Nicks Entscheidung heute wäre in die Hose gegangen, wäre das dann für Nick ein Problem gewesen, was seine Zukunft angeht?"
Theissen: "Nein, sicher nicht. So eine Entscheidung ist immer ein großes Risiko. Die Chance, dass es gut geht, ist geringer als die Chance, dass es schief geht, also macht man so etwas ohnehin nur, wenn man höchstens ein oder zwei Punkte zu verlieren hat und nicht wenn man vorne fährt, wie wir gesehen haben. Von daher wäre der Schaden gering gewesen."

Nick Heidfeld

Nick Heidfeld glitt über das Wasser, als wäre der Asphalt staubtrocken... Zoom

Frage: "Nick ist ein unglaublich netter Kerl, der sich momentan wahnsinnig bemüht, der alles gibt. Wie schwer fällt Ihnen die Entscheidung, ihn zu behalten oder nicht?"
Theissen: "Die Entscheidung ist natürlich nicht einfach. Wir dürfen nicht nur die letzten Monate sehen, sondern wir müssen auch sehen, was er an diesem Wochenende geleistet hat. Wir haben bewusst unsere Entscheidung vertagt, um dann wirklich eine fundierte Entscheidung treffen zu können."

Frage: "Ist er momentan auf dem Weg, das Cockpit zu behalten?"
Theissen: "Das Wochenende war nicht schlecht."

Frage: "Was war Roberts Problem? Hat die Balance nicht gestimmt?"
Theissen: "Ich habe mit ihm noch nicht gesprochen, aber wenn ich mir die Rundenzeiten anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass er auch im Rennen nicht auf dem gewohnten Niveau unterwegs war. Also war er mit dem Auto nicht ganz zufrieden."

Frage: "Warum haben Sie bei Robert nicht auch die Reifen gewechselt?"
Theissen: "Weil es Spitz oder Knopf war! Nick ist erst zwei, drei Kurven vor Schluss an Robert vorbeigekommen. Das hätte genauso gut umgekehrt sein können. Wir wollten nicht beide Eier in einen Korb legen."

Frage: "Sind Sie überrascht von der Vorstellung von Toro Rosso?"
Theissen: "Ja. Ich habe ihnen auch schon gratuliert."

Frage: "Ist die Charakteristik des Autos für Monza besser als für hier? Nick ist ja bei den Tests Bestzeit gefahren..."
Theissen: "Das kann ich nicht einschätzen. Hier war ich im Qualifying zufrieden - nach dem schwachen Freitag war das okay, jedenfalls bei Nick. Beim Test in Monza hat er positive Rückmeldungen gegeben, also schauen wir mal."