Chaotisches Finale: Hamilton gewinnt vor Massa!

Regen sorgte in Spa-Francorchamps für eine der turbulentesten Schlussphasen aller Zeiten - Hamilton siegte vor Massa - Räikkönen in der Mauer

(Motorsport-Total.com) - "Ein bisschen langweilig" und "zum Einschlafen" - so hatte Lewis Hamilton kürzlich die Formel-1-Rennen beschrieben. Heute hat der McLaren-Mercedes-Pilot möglicherweise seine Meinung geändert, denn der Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps wird als eines der kuriosesten Autorennen aller Zeiten in die Geschichte eingehen.

Titel-Bild zur News: Podium in Belgien 2008

Das Podium in Spa-Francorchamps: Massa, Sieger Hamilton und Heidfeld

Gut eine Stunde lang musste man sich tatsächlich anstrengen, um vor lauter Langeweile nicht einzuschlafen, doch das Finish entschädigte für alles: Fünf Runden vor Schluss begann es in einigen Kurven leicht zu tröpfeln, drei Runden vor Schluss wurde daraus richtiger Regen. Und dann folgte ein sensationeller Zweikampf zwischen Hamilton und Kimi Räikkönen (Ferrari), der für Hamilton auf dem Siegertreppchen und für Räikkönen in der Mauer endete.#w1#

Räikkönens stärkste Fahrt seit langem

Dabei hatte der in letzter Zeit oftmals kritisierte Weltmeister bis dahin eine fehlerlose Performance abgeliefert und über weite Strecken des Rennens sicher geführt. Erst nach dem letzten Boxenstopp konnte Hamilton noch einmal Druck machen, aber ohne einsetzenden Regen wäre es wohl bei der alten Reihung geblieben - und hätte Nick Heidfeld (BMW Sauber F1 Team) nie mit einer äußerst cleveren Entscheidung auf das Podium fahren können!

Lewis Hamilton

Lewis Hamilton gewann den Start, drehte sich aber eine Runde später in La Source Zoom

Doch der Reihe nach: Gestartet wurde auf leicht feuchter Strecke, allerdings nahm das gesamte Feld die Distanz von 44 Runden mit Trockenreifen in Angriff. Hamilton kam gut von der Linie weg und behauptete seine Pole-Position, dahinter ging jedoch Räikkönen mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von Eau Rouge an seinem Teamkollegen Felipe Massa vorbei. Auch etwas weiter hinten krachte es, was Heidfeld von P5 aus den Top 10 hinauswarf.

In der Anfangsphase gab es zahlreiche Überholmanöver, Ausrutscher und Positionsverschiebungen, unter anderem einen gefährlichen Dreher von Jarno Trulli am Ende der ersten Runde. Schon zuvor hatte der Italiener einen Raketenstart erwischt und sich auf Rang drei nach vorne geschoben, doch durch einen Schubs von Sébastien Bourdais (Toro-Rosso-Ferrari) wurde Trullis Toyota leicht beschädigt. Dennoch mischten die beiden Streithähne anfangs ganz vorne mit.

Starke Performance von Alonso

Noch davor reihte sich von Anfang an Fernando Alonso (Renault) ein. Und so waren die Verhältnisse recht früh geklärt: Vorne setzten sich die Top 3 ab, dahinter fuhr Alonso ein einsames Rennen, gefolgt von Bourdais, Nelson Piquet (Renault), Mark Webber (Red-Bull-Renault) und Robert Kubica (BMW Sauber F1 Team). Hinter diesem Paket folgten die restlichen Deutschen, noch weiter hinten Adrian Sutil (Force-India-Ferrari).

Lewis Hamilton

Das erste Mal durch Eau Rouge: Lewis Hamilton bereits mit Vorsprung Zoom

Eine vermeintlich rennentscheidende Szene ereignete sich gleich in der zweiten Runde, als sich Hamilton bei La Source drehte. Der Leader hatte zu jenem Zeitpunkt zwar schon einige Sekunden Vorsprung, aber durch Eau Rouge fehlte es ihm klarerweise an Schwung, sodass ihn Räikkönen bei Kemmel problemlos überholen konnte. Der "Iceman" und Hamilton lagen dann über weite Strecken des Rennens relativ eng beisammen.

In den ersten beiden Stints - auf den weichen Bridgestones - machte Räikkönen den etwas stärkeren Eindruck, doch nach dem letzten Boxenstopp konnte Hamilton mit der harten Gummimischung den Abstand binnen weniger Runden von sechs auf unter zwei Sekunden verkürzen. Von da an schien Spa-Francorchamps-Seriensieger Räikkönen wieder alles unter Kontrolle zu haben, aber drei Runden vor Schluss bahnte sich das unglaublich dramatische Finish an.

Räikkönen vs. Massa endet kurios

Hamilton wurde im Rückspiegel des Ferrari immer größer, attackierte außen in Bus-Stop, musste aber zurückstecken und die Schikane abschneiden. Ein paar Meter später, vor La Source, presste er sich dann doch innen vorbei in Führung - Millimeterarbeit! Räikkönen versuchte durch Eau Rouge zu kontern, doch Hamilton schnitt ihm bei Kemmel den Weg ab. Das alles passierte in der vorletzten Runde...

Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton

Rad an Rad in der vorletzten Runde: Lewis Hamilton attackiert Kimi Räikkönen Zoom

Doch damit war die Sache noch lange nicht gegessen, denn bei Blanchimont kam Räikkönen an zweiter Stelle liegend von der Strecke ab. Hamilton selbst ereilte ein paar Meter weiter vorne das gleiche Schicksal - und auf einmal führte wieder Räikkönen! Der warf jedoch die Nerven (und vielleicht den WM-Titel) weg und landete noch vor Beginn der letzten Runde in der Mauer. Somit hatte Hamilton nur noch Massa als Gegner.

Bei zunehmend stärker werdendem Regen schlich das Führungsduo mit Rundenzeiten von 2:36.1 (Hamilton) beziehungsweise 2:45.2 Minuten (Massa) ins Ziel, was bedeutete, dass Hamilton unterm Strich 14,4 Sekunden Vorsprung hatte. Doch im Getümmel an der Spitze wäre beinahe untergegangen, dass es auch dahinter noch einmal richtig spannend wurde, denn sieben Fahrer wechselten noch auf Intermediates, während andere auf Trockenpneus blieben.

Unfassbares Finish von "Quick Nick"

Am meisten profitierte davon "Schlitzohr" Heidfeld, der für sein Pech in der ersten Kurve entschädigt wurde und auf den letzten zehn Kilometern vier Gegner wie Statisten stehen ließ. Das wurde mit dem dritten Platz belohnt. Dahinter folgten innerhalb von wenigen Zehntelsekunden Alonso, Sebastian Vettel (Toro-Rosso-Ferrari), Kubica und Bourdais, wobei Bourdais die letzte Runde noch sensationell als Dritter begonnen hatte - auf Trockenreifen. Timo Glock (Toyota) erbte den letzten Zähler.

Nick Heidfeld

Nick Heidfeld wurde für seine starke Leistung mit Platz drei belohnt Zoom

Ebenfalls einer der Gewinner der Schlussphase war Regenspezialist Sutil, aber für den Deutschen war nicht mehr drin als der 13. Rang hinter Eintankstopper Nico Rosberg (Williams-Toyota). Rosbergs Highlight war wohl, als sich Hamilton und Räikkönen fast gleichzeitig in seinem Rückspiegel drehten. Damit sahen alle fünf Deutschen die Zielflagge; insgesamt wurden - Räikkönen eingerechnet - 18 von 20 gestarteten Autos gewertet.

Der einzige Topfahrer, der heute von Anfang an keine echte Rolle spielte, war Heikki Kovalainen (McLaren-Mercedes), denn der Finne erwischte einen miserablen Start, zeigte dann einige waghalsige Überholmanöver und trieb es etwas zu weit, als er Webber beim Anbremsen der Bus-Stop-Schikane reinfuhr. Die Rennleitung sah den Zwischenfall und belegte ihn mit einer Durchfahrstrafe. Am Ende wurde Kovalainen mit einer Runde Rückstand Zehnter.

Nachspiel am Grünen Tisch

Endgültig entschieden ist der unglaubliche Belgien-Grand-Prix 2008 freilich nach absolvierter Renndistanz noch nicht, denn der Spurwechsel von Hamilton bei Kemmel, als er Räikkönen im Heck hatte, wird derzeit untersucht. Die beiden mussten sich gleich nach der Siegerehrung zur Rennleitung bewegen. Das Reglement spricht eigentlich eine klare Sprache: Ein Spurwechsel ist erlaubt, ein zweiter nicht mehr...

Kimi Räikkönen

"Iceman" Kimi Räikkönen warf bei schwierigen Bedingungen die Nerven weg Zoom

Sollte es beim Hamilton-Sieg bleiben, dann würde der Vizeweltmeister im Titelkampf mit 80 Punkten auf dem Konto zum Ferrari-Heimspiel in Monza in sieben Tagen fliegen. Massa liegt mit 72 Zählern noch in Schlagdistanz, für Kubica (58) und Räikkönen (57) wird es hingegen schön langsam schwierig. Bei den Konstrukteuren ist der Vorsprung von Ferrari auf McLaren-Mercedes (129:123) ebenfalls weiter geschmolzen.

Bevor der Formel-1-Zirkus nun nach Monza weiterreist, wollen wir aber noch einen Blick auf die Topspeedmessung bei Eau Rouge werfen, denn die brachte einige überraschende Resultate: Kovalainen war durch die atemberaubende Senke wie schon an den Trainingstagen mit 315 km/h am schnellsten und krönte sich damit zum mutigsten Mann der belgischen Ardennen, während Sutil mit 312 km/h sensationell Zweitschnellster war - eine Talentprobe!


Fotos: Großer Preis von Belgien, Sonntag