• 20.02.2016 18:30

  • von Craig Scarborough (Haymarket)

Technische Analyse Ferrari SF16-H: Revolutionär konservativ

Der Dienstwagen Sebastian Vettels orientiert sich stark am Design der Konkurrenz, wartet aber mit massiven Änderungen bei der Bauweise des Antriebsstrangs auf

(Motorsport-Total.com) - Ferrari hatte einen nicht allzu großen Rückstand auf Mercedes aufzuholen, trotzdem überarbeitete die Scuderia ihr neues Auto, den SF16-H, in zahlreichen Punkten. Die Designer orientierten sich an Dingen, die andere Teams bereits vor einiger Zeit eingeführt hatten. Das Endergebnis ist ein Bolide, der sich in gewisser Hinsicht von seinem an Schwachstellen armem Vorgänger verabschiedet hat - und überdies enorme Fortschritte im Vergleich zur blamablen Saison 2014 offenbart.

Titel-Bild zur News: Ferrari SF16-H

Mit dem Ferrari SF16-H wollen die Roten zum Angriff aus Mercedes blasen Zoom

Für 2016 brauchte es nur noch einige kleine Anpassungen, die allen voran bei Nase, Aufhängung, Seitenkästen und dem Antriebsstrang vollzogen wurden. Ferrari hat den Luftstrom unter der Nase und den hinteren Teil des Chassis stark modifiziert, um in Sachen Aerodynamik Fortschritte zu verzeichnen. Die Änderungen am vorderen Teil des Autos waren abzusehen, während die Nase und die Aufhängung des neuen Modells eine Annäherung an den Rest des Formel-1-Feldes bedeuten.

Die Nase ist wesentlich kürzer und orientiert sich am Williams-Vorbild. Sie ist mit einem deutlich hervorstehenden Daumen an der Spitze ausgestattet. Er setzt sich unter der Nase fort und interagiert aerodynamisch mit der stark verwinkelten Aufhängung des Frontflügels - sie fungiert wie ein Luftleitblech. Auch wenn es nicht sofort ins Auge sticht: Dafür ist eine Änderung in der Position der Vorräder im Vergleich zum vorderen Ende des Chassis notwendig - um das Reglement zu beachten.

Kommt in Barcelona doch noch ein S-Schacht?

Das schreibt eine Maximallänge für die Nase vor, die sich am Abstand zwischen dem Anfang des Chassis und dem Frontflügel bemisst. Weiterer Vorteil: Der Crashtest in einfacher zu bestehen, obwohl er mit einer so kurzen Nase ohnehin nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Im seitlichen Profil ist die Nase sehr flach und wirkt im Vergleich zu den 2015 von der Konkurrenz genutzten Konstruktionen schmächtig. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Oberseite des Chassis an dem Punkt, an dem die Nase die Karosseriewanne trifft, eine große "Abdeckung" hat.

Nase des Ferrari SF16-H

Der Daumen an der Nase soll die Aerodynamik des Renners optimieren Zoom

Die Sache könnte ein Fake sein und durch einen S-Schacht-Ausgang ersetzt werden. Die Lösung würde dazu beitragen, den Luftstrom unter der Nase zu glätten, was im Winter das Hauptanliegen des Teams war. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, ist mit dem S-Schacht schon bei den Test zu rechnen. Der Wechsel von Zug- zur Druckstrebenaufhängung vorne verfolgt das gleiche Ziel. Neuerdings verläuft die Strebe von weit unten hinter dem Rad nach oben nahe des Monocoques. Grund dafür ist nicht, dass Ferrari oft nachgesagte Untersteuern in den Griff zu bekommen.

Vielmehr handelt es sich um eine aerodynamische Maßnahme. Aus Teamkreisen heißt es, auch das Gewicht und die Kinematik hätten die Entscheidung beeinflusst. Die Druckstrebenaufhängung bringt es auch mit sich, dass die Querlenker überarbeitet werden musste, wobei der untere weiter durch ein verbundenes Design auffällt, das Ferrari sich schon im vergangenen Jahr bei Mercedes abschaute. Unter der Vorderradaufhängung verbirgt sich möglicherweise eine Mogelpackung.

Frontpartie des Ferrari SF16-H

Die Frontpartie des Ferrari SF16-H ist im vergleich zur Konkurrenz sehr schmächtig Zoom

Die dort angebrachten Luftleitbleche sind wohl Altmetall und befanden sich schon Ende 2015 nicht mehr im Renneinsatz. Vielmehr griff Ferrari auf eine Lösung nach Mercedes-Vorbild zurück und nutzte ein Design mit vier Elementen sowie einem so genannten "Fledermausflügel". Jede Wette, dass es schon bei den Testfahrten wieder zu sehen sein wird. Auch der Frontflügel ist nicht neu und wird in Barcelona anders aussehen. Bei der Vorachse und den Bremsschächten handelt es sich wohl um die angeblasene Version, die 2015 meistens zum Einsatz kam.

Auto hat im Heckbereich abgespeckt

Die Radmuttern mit großem Durchmesser sind der Schlüssel, um durch einen in der Abdeckung versteckten Schacht Luft von dem offenen Ende einzuleiten. So entsteht eine Glättung des Luftstroms um die Vorräder herum. Auch um das Cockpit herum gibt es kleinere Veränderungen, zu denen verstärkte Seitenwände und nach hinten filmende FIA-Sicherheitskamera gehören. Der Überrollbügel ist komplett verändert und kommt ohne seine dreieckige Form aus. Er ist eher rund.

Heckpartie des Ferrari SF16-H

Ausbuchtungen für das Getriebe und den Motor: So sieht das neue Ferrari-Heck aus Zoom

Dahinter der von Ferrari bekannte Mittelflügel, allerdings mit einer akzentuierteren Linienführung. Das Rückgrat der Motorabdeckung ist eingeschnitten, um seine aerodynamische Wirkung auf die Hinterachse zu transportieren. Es sieht so aus, als seien die Seitenkästen eine Weiterentwicklung des kompakten Designs von 2015. Die Kühler sind fast horizontal verbaut und liegen unter der Karosserie. Vorflügel und Lüftungsgitter sollen sie effizienter machen. So bleiben die Seitenkästen niedrig und schnittig.

Vorne sind die Leitbleche um die Seitenkästen überarbeitet worden, wirken aber unfertig, da eines in der Nähe des Cockpits fehlt. Die flügelartigen Seitenspiegel sind altbekannt. Die hintere Karosserie ist schlanker. Ausbeulungen umgeben den Motor und das Getriebe. Die Ausgänge der Seitenkästen sind erweitert und umschließen die oberen Querlenker der Hinterachse. Das macht die Aufhängung stomlinienförmiger und hält den Rest des Seitenkastens extrem schlank.


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Geheimsache Antrieb: Ferrari veröffentlicht keine Bilder

Unter dem Getriebe wurde so viel Raum geschaffen - wahrscheinlich wegen des neu angeordneten ERS und des Turbos, die sich neuerdings im Getriebe befinden. Auch beim Auspuff wurde der Antriebsstrang verändert. Setzte Ferrari 2015 auf eine Wastegate-Lösung über dem Getriebe und ein Auspuffendrohr, das in den Hauptausgang mündete, haben die Regeln dem einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie fordern eine Trennung. Ferrari setzt auf zwei Rohre unter dem eigentlichen Endrohr. Der Wastegate-Auspuff ist neu positioniert, das alte Inlet der Kühlung auf der Motorabdeckung verschwunden.

Mittlere Partie des Ferrari SF16-H

Der Antriebsstrang wurde offenbar umgebaut, zeigen will Ferrari aber nichts Zoom

Gerüchten zufolge sind die MGU-H und die MGU-K von hinter dem Motor nach vorne gewandert. Der Ladeluftkühler im "V" der Zylinder soll ebenfalls überarbeitet worden sein, um Platz für die MGU-H und eine große Luftkammer zu schaffen. Darüber lässt sich derzeit aber nur spekulieren, weil Ferrari seit der Umstellung auf die neue Motorenformel vor drei Jahren keine Bilder seines Antriebsstranges veröffentlich hat. Eine merkwürdige Praxis für ein Team, dass sonst so stolz auf seine Triebwerke ist.

Der Heckflügel ist ebenfalls ein alter, die sich um den Auspuff windende Stützstrebe jedoch ist ungewöhnlich. Ihre untere Hälfte ist extrem dick, was auf Veränderungen in diesem Bereich deutet. Charakteristika bezüglich Unterboden und Diffusor fallen derzeit noch nicht auf, werden aber sicher noch überarbeitet, ehe der Saisonauftakt in Melbourne steigt.


Fotos: Ferrari zeigt den neuen SF16-H


So viele Veränderungen bei Antriebsstrang und Aerodynamik sind ein zweischneidiges Schwert. Das Design ist mittlerweile konventioneller und orientiert sich eher am Rest des Feldes. Die Ideen haben sich bewiesen, aber genauso sind die Einschnitte riskant. Leistung und Zuverlässigkeit stehen auf dem Spiel. Bekommt Ferrari die Technik in den Griff, könnte die Scuderia die Lücke zu Mercedes schließen, wenn es auch vielleicht nicht gelingen mag, die Champions vom Thron zu stoßen.