• 21.03.2016 08:59

  • von Dieter Rencken & Roman Wittemeier

Taktikanalyse: Warum der Abbruch wenig Einfluss hatte

Das Formel-1-Duell zwischen Mercedes und Ferrari unter der Lupe: Hat der zwischenzeitliche Abbruch den Roten tatsächlich den Melbourne-Sieg gekostet?

(Motorsport-Total.com) - Mercedes hat beim Formel-1-Auftakt 2016 in Melbourne einen Doppelerfolg verbucht. Der Sieg von Nico Rosberg vor seinem Teamkollegen Lewis Hamilton war nicht allein dem Tempo des neuen Silberpfeils zu verdanken, sondern auch der perfekten Taktik. Mercedes nutzte die Medium-Mischung von Pirelli optimal aus, um nach dem Abbruch wegen des Alonso-Unfalls ohne weiteren Boxenstopp bis ins Ziel zu kommen.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Nico Rosberg hatte phasenweise in der zweiten Rennhälfte sehr viel Vorsprung Zoom

"Da haben wir die perfekte Wahl getroffen, denn es hat Ferrari auf den Supersofts unter Druck gesetzt. Sie mussten halt dann einmal mehr stoppen", bilanziert Rosberg nach dem Rennsieg in Australien. Bis zur Unterbrechung wegen des Crashs in Runde 17 hatte Sebastian Vettel (Ferrari) das Tempo der Silberpfeile mitgehen können. In Führung liegend war der Heppenheimer sogar in einigen Runden schneller als die Silberpfeile. Der Grund: Vettel konnte seine Supersofts mehr strapazieren, weil man einen kürzeren Stint geplant hatte.

"Wir haben versucht, ein wenig mehr auf eine Sprinttaktik zu setzen", erklärt der Deutsche. Und dieser Marschroute blieb man beim Restart nach dem Abbruch treu. Rosberg und Hamilton wurden auf Medium auf die 39 Runden lange Reise in Richtung Zieldurchfahrt geschickt, Vettel setzte noch einmal auf Supersoft. "Als ich das gesehen habe, da habe ich mich gefreut", schmunzelt Rosberg. Ab diesem Moment war klar: Ferrari kann nur dosiert Tempo auf weichen Reifen machen, Mercedes kann sich Cruising auf Medium leisten.

"Zu diesem Zeitpunkt mussten wir etwas aggressiver sein. Das kann richtig oder falsch sein", erklärt Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene. Bei den Roten wird allgemein vermutet, dass die roten Flaggen eine mögliche Siegtaktik durchkreuzten. "Das war im Nachhinein sicher kein Vorteil für uns, aber so ist es eben", meint Vettel. Nach Ansicht von Arrivabene habe man bis zum Abbruch immerhin "ziemlich komfortabel in Führung gelegen".

Temperaturen sinken: Nachteil für Ferrari

Zum Zeitpunkt der Unterbrechung hatte Vettel allerdings nur 3,8 Sekunden Vorsprung auf Rosberg. Dieser Wert zeigt an, dass Ferrari auf Supersofts ein ähnliches Tempo wie Mercedes fahren kann. Aber: Mercedes verliert beim Wechsel auf härtere Mischungen längst nicht so viel an Performance wie die Roten. Das hatte sich auch bereits bei den Testfahrten in Barcelona angedeutet. Auf dieser Grundlage suchten die Italiener ihr Heil im Tempo und nicht in Konstanz in langen Stints.

"Ferrari hat sich selbst ins Knie geschossen, ich habe nicht verstanden, was sie da machen", schüttelt der erfahrene Williams-Technikchef Pat Symonds mit dem Kopf. "Ferrari musste allerdings etwas anderes machen. Sie hätten Mercedes nicht schlagen können, hätten sie einfach dasselbe gemacht. Vielleicht haben sie genau so gedacht und deshalb das Gegenteil von Mercedes gemacht", erklärt der Brite. Allerdings schützt eine gegenläufige Taktik nicht vor dem Einsatz von Soft- oder Mediumreifen.

Bei den Testfahrten im Winter hat Mercedes an jedem Tag auf Distanz gesetzt, während Ferrari auch mal mit den Ultrasoft-Reifen auf ultimatives Tempo ging. Genau diese beiden unterschiedlichen Ansätze spiegelten sich schließlich im Rennen in Melbourne wider. Silber geht auf Mittelstrecke, Rot auf kurzen Sprint. Der Grund: Ferrari braucht das weiche Gummi, um das Potenzial des Autos ausschöpfen zu können - vor allem bei nicht allzu hohen Temperaturen. Und die spielten Vettel zusätzlich nicht in die Karten. Im Rennverlauf sank die Streckentemperatur sehr zügig von 36 Grad Celsius auf nur noch 28 Grad ab.


Fotostrecke: GP Australien, Highlights 2016

"Wenn man das Glas nicht halbleer sehen möchte, dann waren wir in Schlagdistanz. Man kann nicht glücklich sein danach, aber so ist Rennsport", meint Arrivabene und macht sich Hoffnungen für den zweiten Grand Prix des Jahres in Bahrain. Beim Rennen in Manama sind konstant höhere Temperaturen zu erwarten. Eine Tatsache, die Ferrari in die Karten spielen dürfte. "Die werden kommen", mahnt Toto Wolff. Pat Symonds hingegen sagt: "Mercedes hat bestimmt noch etwas in der Hinterhand."