Symonds erläutert Qualifying-Taktiken
Der Chefingenieur des Renault-Teams erklärt detailliert, wie sich die Teams den neu eingeführten Ausscheidungsmodus einteilen werden
(Motorsport-Total.com) - Am morgigen Samstag wird das Formel-1-Qualifying zum ersten Mal nach dem für die Saison 2006 neu beschlossenen Modus ausgetragen. Dieser ist wesentlich komplexer als das Einzelzeitfahren des vergangenen Jahres und hält einige Tücken bereit. Renault-Chefingenieur Pat Symonds erklärt daher das neue System ausführlich, um alle sich ergebenden Aspekte verständlich zu machen.

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Pat Symonds erwartet ein interessantes Qualifying und erklärt mögliche Taktiken
Zunächst einmal ist das Zeitfahren in drei Abschnitte aufgeteilt. Nach dem ersten Abschnitt mit einer Dauer von 15 Minuten scheiden die langsamsten sechs Fahrer aus, im zweiten Teil wiederholt sich dies. Die verbliebenen zehn Fahrer kämpfen dann in einem letzten Abschnitt über 20 Minuten, der Super-Pole, um die besten Startpositionen.#w1#
Verschiedene Taktiken in den ersten beiden Teilen
In den ersten beiden Teilen des Qualifyings "muss jedes Auto in jedem der Läufe mindestens eine fliegende Runde fahren, um am nächsten Lauf beziehungsweise der Super-Pole teilnehmen zu dürfen. Mehr Aufgaben gibt es da nicht", beginnt Symonds seine Ausführungen.
Allerdings hätten die Fahrer, die sich Chancen auf einen Platz in den Top-10 ausrechnen, zusätzlich einiges zu beachten: "Für diese wird es das Ziel sein, sich ihre Leistung so einzuteilen, dass sie durch die ersten beiden Läufe kommen, dabei aber nur die minimal mögliche Anzahl Runden absolvieren, um Kilometerleistung der Motoren zu sparen, und ohne einen Satz neuer Reifen zu verwenden", erläutert der 52-Jährige die Besonderheiten, die von den Top-Teams beachtet werden müssen.
Neue Reifen als Joker
"Langsamere Autos werden sich damit weniger beschäftigen, diese werden sich vielmehr darauf konzentrieren, ihre Position unter den hinteren zwölf Fahrern zu maximieren", meint Symonds. Jedes Auto werde aber auf jeden Fall mit wenig Benzin im Tank auf diese Runden gehen. "Das wird so sein, weil die Autos, die sich in den hinteren Zwölf platzieren, natürlich so nahe wie möglich an den elften Platz herankommen möchten. Dafür werden sie mit minimaler Spritmenge fahren, um sicherzustellen, dass ihre Boliden die maximale Leistung bringen können; und die Autos, die sich vorne platzieren möchten, werden dazu gezwungen, um ein Ausscheiden in den ersten Läufen zu vermeiden."
"Einen Satz neuer Reifen aufzuziehen, wird während dieser Sessions wie ein Joker sein", fährt der Brite fort. "Die vorderen Leute werden versuchen, dies zu vermeiden, um sich mindestens einen neuen Satz für die Super-Pole aufzusparen, und natürlich so viele wie möglich für das Rennen. Allerdings könnten sich die Fahrer aus dem hinteren Teil des Feldes vielleicht zwei oder drei Sekunden schnellere Rundenzeiten fahren, wenn sie einen neuen Satz Reifen aufziehen, und sich damit um viele Startpositionen verbessern", sieht Symonds eine schwierige Entscheidung bei der Einteilung der Reifen auf die Teams zukommen.
Immer bereit zum Konter
Auch einige weitere Probleme könnten dem Renault-Angestellten zufolge auftreten: "Wenn Autos vor dem Ende eines Laufs aus den Qualifizierten für den nächsten Lauf rutschen, werden sie natürlich versuchen, zurück auf die Strecke zu gehen, um eine weitere Rundenzeit fahren zu können. Schließlich kann kein Team planen, nicht von einem Konkurrenten verdrängt zu werden."
"In der Folge wird jedes Team seine Autos in ständiger Bereitschaft halten, um immer die Möglichkeit zu haben, rauszufahren und eine schnellere Zeit zu erzielen. Wenn ein Fahrer verdrängt wird, wird sein Erfolg darin, darauf reagieren zu können, nicht nur von der Qualität seiner Runde abhängen, sondern auch von der Fähigkeit des Teams, zu reagieren und sich an die veränderten Umstände anzupassen", sieht Symonds Teams und Fahrer gleichermaßen gefordert.
"Eine weitere Komplikation könnte sich ergeben, wenn man sich einen strategischen Vorteil davon verspricht, als Elfter mit frei wählbarer Spritmenge zu starten, als vom zehnten Platz mit der vorher bestimmten Spritmenge", sieht der Brite auch Raum für taktische Spielchen. "Das könnte zu interessanten Taktiken führen, wenn Teams nach exakten Vorhersagen arbeiten und sich ihre Leistung entsprechend einteilen, um nicht in die Super-Pole zu kommen!"
Spritmenge entscheidend in der Super-Pole
Im letzten Abschnitt des Qualifyings "müssen die Teams ihre Spritmenge vor dem Beginn der Session festlegen. Diese ist dann die gleiche, mit der man auch ins Rennen geht, auch wenn es nicht exakt identisch ist. Nach dem Beginn der Session kann man dann nicht mehr nachtanken", kommt Symonds zu den im Vergleich zu den Regeln für den letzten Teil der Qualifikation.
"Für jede Runde, die ein Pilot in 110 Prozent seiner am Ende schnellsten Zeit zurücklegt, bekommt der Pilot einen 'Sprit-Gutschein', eine vorher festgelegte Menge an Sprit pro Runde, die am Sonntag wieder in das Auto des Piloten gefüllt wird. Die Teams werden versuchen, ihre Motoren möglichst mager einzustellen, um weniger Sprit zu verbrauchen, als sie durch den Sprit-Gutschein zurückbekommen. Damit können sie die Spritmenge, mit der man dann ins Rennen geht, erhöhen, und die Länge des ersten Stints so ein bisschen vergrößern", erläutert der Brite die Zielsetzung der Teams.
Spannung nur in den letzten Minuten?

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Sehen wir zu Beginn der 'Super-Pole' nur ein langweiliges Herumrollen? Zoom
Um das zu erreichen, würden die Teams wohl zunächst 15 Minuten lang auf alten Reifen um den Kurs fahren, um ihre Autos in eine optimale Konfiguration für eine schnelle Runde - also mit nur noch möglichst wenig Sprit im Tank - zu bringen, wie Symonds vermutet. Dabei würden die Fahrer versuchen, so langsam wie möglich zu fahren, um so wenig Sprit wie möglich zu verbrauchen und den Motor zu schonen. Dabei müssen sie aber dennoch in 110 Prozent ihrer berechneten besten Rundenzeit bleiben, da die Runden nur dann für den 'Sprit-Gutschein' angerechnet werden. Daher schätzt Symonds, dass die Fahrer eine Rundenzeit von 107 Prozent der vorhergesagten Bestzeit anpeilen werden.
"Wenn dann die Spritmenge entsprechend verbraucht ist, kann man erwarten, dass die Fahrer zurück an die Box fahren, einen Satz neuer Reifen aufziehen und dann ihre schnelle Runde setzen, mit der sie sich dann ihren Startplatz sichern möchten", rechnet der Brite mit viel Action in den letzten Minuten des Qualifyings.
"Dabei werden sie wohl nicht in der Lage sein, diese Zeit danach noch zu verbessern, was drei Gründe hat: Zunächst, weil die Leistung der Reifen nach der ersten 'goldenen' Runde abfällt; zum Zweiten, weil ein zweiter Run einen weiteren wertvollen Satz neuer Reifen verbrauchen würde; und drittens, weil dies bedeuten würde, dass immer noch Sprit im Tank wäre, dass also der erste Versuch nicht mit optimaler Leistung absolviert werden konnte."
"Bei der Festlegung der Spritmenge für diesen letzten Qualifying-Abschnitt werden die Top-10-Teams daher immer einen Kompromiss zwischen der Startposition und der optimalen Länge des ersten Rennabschnitts finden müssen", umreißt Symonds die Problematik.
Anlehung an Taktik von 2004
Anhaltspunkte für die beste Länge eines Stints sieht der Renault-Cheftechniker dabei am ehesten im Jahr 2004, als das Qualifying ebenfalls mit der Rennspritmenge bestritten werden musste und noch Reifenwechsel während des Rennens erlaubt waren. Dies habe damals zu Strategien geführt, bei denen der erste Stint meist der kürzeste war und auf fast allen Kursen drei Boxenstopps eingelegt wurden.
"Anders als 2005 ist die ideale Länge eines Stints nicht mehr nur eine einfache Frage der Tankstrategie. Mit den Reifen mit kürzerer Lebensdauer ist die Abnutzung der Reifen nun stärker, die Leistung der Reifen lässt also immer mehr nach, wenn die Reifen älter werden. Das bedeutet, dass nach einer gewissen Anzahl Runden die Zeit, die man durch einen Boxenstopp zum Reifenwechsel verliert, weniger ist als die Zeit, die man verliert, wenn man auf alten Reifen weiter fährt", erklärt Symonds die Auswirkungen der wieder eingeführten Reifenwechseln während des Rennens. Damit sei die ideale Stintlänge also durch den optimalen Punkt des Reifenwechsels festgelegt, was abhängig von Mischung und Strecke variiert.
Innerhalb dieses Rahmens werden die Teams also ihre Spritmengen anpassen. Allerdings ist "die Position auf der Strecke nach wie vor das Ziel im Rennen, was die Teams dazu verleiten könnte, bei der Länge des ersten Stints einen Kompromiss einzugehen, um ihre Startposition zu verbessern", wie Symonds vermutet.

