Surer neuem Qualifying gegenüber skeptisch

Ein Ausscheidungsfahren soll 2006 über die Startpositionen entscheiden - 'F1Total.com'-Experte Marc Surer bringt Kritikpunkte vor

(Motorsport-Total.com) - Das Bestimmen eines neuen Qualifikationsformats für die kommende Formel-1-Saison entwickelt sich immer mehr zur Farce. Zwar ist der Lächerlichkeitsgrad des Skandalrennens von Indianapolis noch nicht ganz erreicht, doch dass Bernie Ecclestone die geplante Online-Umfrage auf seiner Internetseite wieder abgeblasen hat, weil er Angst hatte, dass sich sein Vorschlag nicht durchsetzen würde, lässt an der Mär der vom Fan bestimmten Mehrheitsdemokratie im Motorsport berechtigte Zweifel aufkommen.

Titel-Bild zur News: Marc Surer

Marc Surer warnt vor den Nebenwirkungen des geplanten Ausscheidungsfahrens

Die schlauen Masterminds der Formel 1 zerbrechen sich seit Monaten den Kopf, wie die Startpositionen 2006 vergeben werden sollen. Mit dem derzeitigen Einzelzeitfahren ist niemand wirklich happy, weil es nicht Fisch und nicht Fleisch ist, doch auch eine Rückkehr zur bewährten 60-Minuten-Session mit maximal zwölf Runden pro Fahrer und Showdown in der Schlussphase will kaum jemand, weil dann die ersten 20 Minuten alle selig an der Box zuwarten würden wie früher.#w1#

Teams sind sich bezüglich des Qualifyings nicht einig

Also muss ein Kompromiss her - doch weil die derzeitige Regelung mit der Rennbenzinmenge im Qualifying durchaus Auswirkungen auf das Design der Autos und vor allem auf die Tankkapazität hat,
können sich die Teams nicht einigen. Inzwischen spielt dies freilich ohnehin kaum noch eine Rolle, weil die Grundkonzepte für nächstes Jahr längst festgelegt sind. Einige Teams haben jedoch noch Spielraum und möchten das neue Reglement natürlich möglichst optimal umsetzen.

Unabhängig davon gilt im Moment die Einführung eines Ausscheidungsfahrens als wahrscheinlichste Variante. Dabei sollen zunächst 15 Minuten lang alle 20 Fahrer auf die Strecke gehen und eine Zeit vorlegen dürfen. Die langsamsten Piloten scheiden aus und beziehen die Startpositionen 16 bis 20, während die restlichen 15 Teilnehmer aufsteigen und in den nächsten 15 Minuten die Plätze elf bis 15 ausfechten - und so weiter. Zum Schluss würde nur noch ein Quintett um die Pole Position fighten.

So spektakulär dieser Vorschlag auf den ersten Blick klingen mag, so gibt es doch auch einige berechtigte Einwände. Für 'F1Total.com'-Experte Marc Surer tun sich bei einer ersten Analyse des geplanten Formats jedenfalls noch einige Fragezeichen auf - zum Beispiel: "Man kann nicht 15 Minuten 20 Autos auf die Strecke schicken, die alle eine Zeit fahren müssen, denn dann fahren sie sich gegenseitig über die Räder, weil so viel los ist", bemängelt er.

Surer schlägt vor: Erst 30, dann jeweils 15 Minuten

Prinzipiell findet der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer das Ausscheidungsfahren "gut", zumal er für das vorprogrammierte Verkehrsproblem in den ersten 15 Minuten eine Lösung parat hat: "Man müsste den ersten 20 Autos eine halbe Stunde geben und dann vielleicht gleich zehn Fahrer wegfallen lassen", schlägt Surer vor. Dies würde auch das Problem der TV-Präsenz für die kleinen Teams lösen, denn während die Toprennställe erst am Ende der 30 Minuten auf die Strecke fahren würden, könnten die Nachzügler gleich zu Beginn ein wenig Aufmerksamkeit - und auch den Asphalt - abstauben.

Ganz grundsätzlich steht für den 'F1Total.com'-Experten aber eines fest: "Die Formel 1 braucht eine Handicapregelung", fordert er. "Man muss ein System machen, wie es schon einmal angedacht war, was dann aber völlig falsch gelaufen ist, nämlich dass der Sieger des vorherigen Rennens in der nächsten Qualifikation einen Nachteil hat. Die Ausgefallenen sollen nicht noch einmal bestraft werden, sondern es sollte eher umgekehrt sein."

"Aufgepasst: Es wird keine Überholmanöver geben!"

"Beim Ausscheidungsmechanismus gehe ich davon aus, dass wieder die Besten vorne stehen werden", fährt Surer fort. "Die können im ersten Durchgang locker fahren, denn die langsamsten Fünf können die Spitzenfahrer sowieso schlagen. Ein Topteam muss nur eine Sicherheitsrunde fahren. Sie werden die besten Zeiten also erst im letzten Durchgang fahren, tanken vor dem Rennen voll, halten dann alle auf - und es wird keine Überholmanöver mehr geben! Aufgepasst!"

"Wir gehen da zurück in die Steinzeit, und von daher finde ich das falsch", bringt der heutige TV-Kommentator einen weiteren Einwand gegen das Ausscheidungsfahren ein. "Man darf nicht immer alles wegwerfen, was man in letzter Zeit hatte, denn viele spannende Rennen waren eine Folge des aktuellen Formats. Wenn jemand mal ein Einzelzeitfahren verpatzt hat, musste er von hinten das Feld aufrollen, was oft spannend anzusehen war."

Dass sich das Ausscheidungsfahren widersprüchlich zum neuen Reifen- und Motorenreglement verhalten würde, weil die Topfahrer dann ja mehr Runden absolvieren müssten als die Letzten, sieht Surer hingegen nicht als Problem, sondern eher als hilfreich an: "Wenn jemand noch eine Qualifikation fahren will, hat er halt drei Runden mehr drauf. Was soll's? Das ist ein gutes Handicap", bringt er seine Idee von einer Handicapregelung neuerlich ins Spiel.

Stoddart: "Durchaus möglich, dass es dazu kommen wird"

All seinen Bedenken zum Trotz wird das Ausscheidungsfahren aber höchstwahrscheinlich schon 2006 kommen, wenngleich noch nicht genau feststeht in welcher Form. Minardi-Teamchef Paul Stoddart bestätigte dies unlängst in einem Interview mit 'Autosport-Atlas': "Das Format ist noch nicht durch die Abstimmung, aber es ist durchaus möglich, dass es dazu kommen wird", so der Australier, der in derartigen Fragen als guter Informant gilt.

Dass Underdogs wie sein Team weniger TV-Präsenz als bisher abbekämen, würde er in Kauf nehmen: "Manchmal muss man eben etwas tun, was für den Sport richtig ist. In der Formel 1 ist alles ein Kompromiss", erklärte der 50-Jährige. Ganz dezidiert pocht er allerdings darauf, den Modus nach der nächsten Änderung nicht noch einmal umzustellen. Seiner Meinung nach hat sich die Königsklasse mit überhasteten Entscheidungen schon zu oft selbst geschadet.