• 17.09.2007 09:45

  • von Fabian Hust

Stuck: "Das kann sich keiner mehr leisten"

Der Ex-Formel-1-Pilot analysiert im großen Interview die Strafe in der "Spionage-Affäre" und ihre Folgen auf den Sport

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Es ist die härteste Strafe in der Geschichte des Sports, nicht nur in der Geschichte des Motorsports - 100 Millionen Dollar. Zudem hat man McLaren-Mercedes die in diesem Jahr geholten Punkte aberkannt. Was hältst du von diesem Urteil?"
Hans-Joachim Stuck: "Ich war im Rahmen einer Veranstaltung von BMW auf der IAA und habe dort von der Strafe gehört. Der Abzug der Punkte ist meiner Meinung nach korrekt, die 100-Millionen-Dollar-Strafe halte ich für überzogen."

Titel-Bild zur News: Hans-Joachim Stuck

Hans-Joachim Stuck befürchtet, dass die Strafe Folgen haben wird

"Man darf nicht vergessen, wo die Formel 1 herkommt. Die FIA hat Jahrzehnte lang versucht, Hersteller rein zu ziehen. Das ist für alle ein ganz deutliches Zeichen, wo die Reise hingehen kann - das kann sich ja keiner mehr leisten."#w1#

"Wir reden auf der anderen Seite von Arbeitslosen, die wir in Deutschland haben, Gewerkschaften handeln Verträge aus, in denen es um Cent-Beträge geht. Wie kann dann ein Hersteller 100 Millionen Dollar Strafe zahlen - wie kann das funktionieren? Das passt nicht zusammen."

Frage: "Können sie die Strafe überhaupt stemmen? Ruiniert dies das Team?"
Stuck: "Es ruiniert das Team nicht, aber es ist natürlich ein sehr großer Einschnitt. Ich finde die Strafe einfach nicht zeitgemäß. Mich würde vor allem die Begründung interessieren, wie sie auf 100 Millionen Dollar gekommen sind, wie diese Strafe berechnet werden kann. Kann man sich zum Beispiel die Größe des Vorteils errechnen, die durch die Kenntnis der Tankgröße des Gegners herrührt? Und welchen Wert hat dieser Vorteil?"

"Es würde mich interessieren, worauf die Strafe basiert oder ob sie vielleicht nur sagen 'Heute ist Freitag, heute verhängen wir die Strafe, heute ist Mittwoch, heute nehmen wir eine andere Strafe'. Das würde mich hauptsächlich interessieren."

Frage: "Wie viel sind 100 Millionen Dollar vom Jahresbudget eines Teams wie McLaren-Mercedes?"
Stuck: "Ich würde sagen ein Viertel des Netto-Budgets - geschätzt. Das tut schon weh."

Frage: "Wie leistet ein Team eine solche Strafe, es hat ja sicherlich nicht 100 Millionen Dollar auf dem Konto liegen und man hat bereits Planungen für das kommende Jahr? Sie haben vielleicht sogar Sponsoren, die nun sagen, dass sie so nicht in der Formel 1 bleiben möchten."
Stuck: "Das ist ein anderes Thema. Die 100 Millionen Dollar müssen natürlich nicht morgen auf dem Konto der FIA sein. Ich kann mir schon vorstellen, dass es Ratenzahlungen geben wird."

"Das könnte auf das kommende Jahr schon verschiedene Auswirkungen haben, zum Beispiel auf die Sponsoren, die vielleicht nicht mehr bereit sind, dabei zu sein."

"Und es muss sich sicherlich auch ein Premium-Hersteller überlegen, ob er mit diesem Thema leben kann. Das wird Dr. Zetsche zusammen mit seinem Vorstands-Komitee zu entscheiden haben, wie es diesbezüglich weitergeht. Das wird sicherlich eine interessante Entscheidung."

Frage: "Hätte es nicht einfach ausgereicht, ihnen die Punkte abzuziehen - dies entspricht ja bereits einer Strafe von 40 bis 60 Millionen Dollar?"
Stuck: "Richtig. Sie hätten sie ja auch für drei oder vier Rennen sperren können. Dies wäre auch noch vertretbar gewesen. Ich finde einfach, dass die Summe von 100 Millionen Dollar einfach nicht passt. Das kann einfach nicht sein, dafür gibt es tausend Begründungen. Umgekehrt interessiert mich wie gesagt, wie diese Summe begründet wird."

Frage: "Ein anderer Teil der Strafe besteht daraus, dass kein Mitglied des Teams auf das Podium darf, wenn sie ein Rennen gewinnen..."
Stuck: "Mit gefangen, mit gehangen... Das ist nun einmal so. Es betrifft ja auch die Teammitglieder im Hinblick auf das Preisgeld, das ihnen ebenfalls verloren geht. Wenn man in einem Team ist, dann muss man mit in die Höhe, aber auch mit in die Tiefe gehen."

Frage: "Was passiert mit den Pokalen?"
Stuck: "Das ist eine gute Frage. Ron Dennis (Teamchef; Anm. d. Red.) bekommt sie jedenfalls nicht, der diese ja sehr gern sammelt und sie auch seinen Fahrern nicht gibt. Vielleicht stehen sie in Paris am Place de la Concorde und werden dort als ewige nicht vergebene Trophäen hinter Glas gestellt. Keine Ahnung."

Frage: "Die FIA versucht nicht nur, Hersteller in die Formel 1 zu holen, sondern auch Sponsoren. Wie schädlich ist das Urteil in diesem Zusammenhang?"
Stuck: "Den größten Schaden haben eigentlich zwei: der Sport selbst und der Fan dort draußen. Der Fan kapiert die Nummer nicht, er möchte eigentlich nur Sport sehen."

"Wir hören von Spionage, wir hören von Strafen, die exorbitant hoch sind - das passt alles nicht zusammen. Dies schadet der Formel 1 ganz gewaltig. Was die Hersteller angeht, es ist für einen Premium-Hersteller, die Gäste und genauso für die Sponsoren wichtig, dass der Sport sauber ist."

"Ich kann nur aus meiner Erfahrung aus dem BMW Paddock sagen, dass dies von den Sponsoren sehr argwöhnisch beobachtet wird."

Frage: "Wenn man auf den Radsport blickt, können Negativ-Schlagzeilen großen Schaden anrichten..."
Stuck: "Ja, natürlich. Wobei der Radsport natürlich nicht mit dem Motorsport zu vergleichen ist, das ist eine einzelne Sportart, an der nicht so viel dran hängt wie am Motorsport."

"Es ist eigentlich schade, dass wir heute in einer solchen Gesellschaft leben und arbeiten müssen. Gerade die Formel 1 bietet viel Spaß, wir haben alle Freude daran. Dass jetzt ein solcher Schatten darauf fällt, ist einfach nur schade."

Frage: "Positiv ist, dass die Fahrerweltmeisterschaft unangetastet bleibt..."
Stuck: "Gott sei Dank, die Fahrer haben schlussendlich damit auch nichts zu tun. Sie sind im Auto ja - positiv gesehen - nur Marionetten, die weisungsgemäß arbeiten. Kein Fahrer kann irgendwelche Dinge am Auto selbst verändern oder einbauen. Deswegen finde ich das in Ordnung. Sie haben ja auch kooperiert und es wurde ihnen Straffreiheit zugesagt. Das geht voll in Ordnung."

Frage: "Schreckt dieses Urteil die anderen ab, werden wir im Fall Renault eine weitere Strafe sehen?"
Stuck: "Wie die ganze Geschichte anfing, dies ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Man sieht dies ja an der Renault-Geschichte. Wer weiß, was noch alles rauskommt. Es ist gut, dass die Fahrerweltmeisterschaft bisher noch nichts abbekommen hat, sodass wir noch einen guten Sport bieten können. Das ist wichtig."