• 24.08.2014 19:38

  • von Roman Wittemeier & Dominik Sharaf

Strahlemann Ricciardo: Und plötzlich Titelkandidat

Nach seinem dritten Saisonsieg wittert Daniel Ricciardo eine Chance auf den WM-Titel: "Kämpfe bis zum Schluss" - Christian Horner: "Er ist super entspannt"

(Motorsport-Total.com) - Mercedes hat die erste Hälfte der Formel-1-Saison 2014 bestimmt. Man feierte Siege in den ersten sechs Rennen des Jahres, machte nach einer kurzen Unterbrechung (Montreal) munter an der Spitze weiter. Seit dem Grand Prix von Ungarn ist allerdings Sand im Mercedes-Getriebe. Daniel Ricciardo holte sich in Budapest den Rennsieg, ließ einen weiteren Erfolg in Spa-Francorchamps folgen. Der Red-Bull-Neuzugang hat seit Anfang Juli 73 Punkte geholt - so viele wie kein anderer Fahrer.

Nach dem dritten Saisonsieg auf der Highspeed-Strecke in Belgien wird Ricciardo als ernsthafter Titelkandidat gehandelt. Der Rückstand auf Lewis Hamilton beträgt nur noch 35 Zähler, auf den führenden Nico Rosberg fehlen derzeit 64 Punkte - ein großer Abstand, der sich aber angesichts eines Saisonfinales in Abu Dhabi mit doppelter Punktvergabe schnell relativieren kann. "Wenn ich den Rückstand bis Abu Dhabi auf unter 50 Punkte drücken kann, dann bin ich im WM-Kampf - klar", so der Australier.

"Es sind bis dorthin noch einige Rennen. Solange es rechnerisch möglich ist, werde ich natürlich kämpfen. Heute war solch ein entsprechender Tag", freut sich Ricciardo über weitere 25 Zähler auf seinem Konto. "Wenn man Punkte gutmachen kann auf einer Strecke, auf der man aus unserer Sicht nicht gerade damit rechnen durfte, dann ist das extrem gut. Jetzt müssen wir dort gut punkten, wo wir stark sein sollten - also auf maximale Punkte abzielen. Wenn das einige Male gelingt, dann ist noch gar nichts verloren."

Wenn es sogar in Spa-Francorchamps klappt...

"Wir haben hier auf einer Strecke gewonnen, die uns so gar nicht liegt. Es war nun schon unser dritter Sieg - in Montreal und Spa waren wir vorne. Das sind zwei Strecken, wo ich Siege vor der Saison für am unwahrscheinlichsten gehalten hätte", wundert sich auch Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "Ich habe vorher mal auf die Wettquoten geschaut. Für einen Sieg von Sebastian gab es 20 für 1, für einen Erfolg von Daniel 30 zu 1. Nicht einmal ich war so mutig, ausgerechnet bei diesem Grand Prix auf uns zu setzen."

"Dass Daniel jetzt nur noch einen Sieg weniger hat als Nico, ist doch wirklich bemerkenswert", sagt der britische Teamchef. Ausgerechnet Spa - diesen Erfolg empfindet man im Lager von Red Bull als besonders süß, auch wenn man zweifellos vom misslungenen Mercedes-Duell profitierte. "Wenn wir sogar hier siegen können, dann gibt es das umso mehr Hoffnungen für die Rennen, wo wir ohnehin stärker sein sollten: Singapur oder Suzuka - um mal zwei zu nennen", meint der Vettel-Teamkollege. "Wir sind hoch motiviert. Dieser Sieg wird mich ein paar Tage länger strahlen lassen."

Daniel Ricciardo

Der Australier hat in der laufenden Saison seine ersten drei Grand-Prix-Siege geholt Zoom

Der ohnehin immer fröhlich dreinblickende Ricciardo bringt dem Team beste Laune. In einem Jahr, in dem man unter dem schwachen und unzuverlässigen Renault-Antrieb leidet, zeigt sich ein junges Eigengewächs als Volltreffer. Nun soll der Webber-Nachfolger aufs Ganze gehen, der Titel soll her. "Ob er dem Druck standhalten wird, kann man erst sagen, wenn er in der entsprechenden Situation ist. Heute ist er ein tolles Rennen in Spa gefahren. Eigentlich ist er super entspannt, hat alles immer unter Kontrolle. Er kristallisiert sich mehr und mehr als Titelanwärter heraus", meint Horner.

Ricciardo: Lächeln im Gesicht, Coolness im Kopf

Diese Coolness zeigte sich in der letzten Phase des Rennens in den Ardennen. Rosberg hatte sich noch einmal frische Options geholt, blies zur großen Jagd auf den führenden Red Bull. Ricciardo blieb gelassen. "Wir haben das schnell kalkuliert und Daniel Vorgaben bezüglich der Rundenzeiten gegeben. Er hat das perfekt umgesetzt", so der Red-Bull-Teamchef. Ricciardo sollte konstante Zeiten im Bereich von 1:53.4 Minuten fahren. Dann, so die Berechnungen, wäre er im Ziel eine Sekunde vorn gewesen. Am Ende waren es drei Sekunden auf der Uhr.

"Wir wussten, dass er talentiert und ein toller Rennfahrer ist. Wie gut er sich machen würde, das hätte nicht einmal Daniel selbst so erwartet. Sein Selbstvertrauen ist immens, er hat keinen Druck und fährt einfach super - er agiert sehr effizient", lobt Horner seinen neuen Schützling. Vor dem Red-Bull-Piloten und seiner Mannschaft steht nun eine große Hürde: Monza. Dort steht die Motorleistung noch mehr im Vordergrund als in Spa-Francorchamps.


Fotos: Daniel Ricciardo, Großer Preis von Belgien


"Mal sehen, ob wir den Flügel für Monza noch kleiner machen können. Wenn nicht, dann fahren wir eben die ganze Zeit mit aktiviertem DRS", scherzt Ricciardo mit Blick auf den Grand Prix von Italien. "Wir nehmen den Heckflügel ganz ab", lacht Horner. Der Brite weiter: "Jetzt mal ernsthaft: Weniger Abtrieb geht wirklich kaum noch bei uns. Wir sind froh, wenn wir dort auch nur halb so konkurrenzfähig sind wie in Spa."