• 10.07.2007 19:18

  • von Britta Weddige

Stracke an der Strecke: Bitte recht freundlich!

Eigenwillige Verkehrsführungen, stilechte Pubs und allgegenwärtige Freundlichkeit: der Rückblick auf das Grand-Prix-Wochenende in Silverstone

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com', bitte nicht wundern, auch dieses Mal müsste es eigentlich richtig "Weddige an der Strecke" heißen, aber das klingt nicht so rund. Wie schon in Magny Cours vertrat ich Inga Stracke beim Rennen in Silverstone. Und anders als es bei Magny Cours der Fall war (mit dem ich mich nie so richtig anfreunden konnte), habe ich es richtig gern getan, denn ich mag den Britischen Grand Prix.

Titel-Bild zur News: Straßenschild Silverstone

Motorsport-Historie: In Silverstone sogar als Straßennamen verewigt

Gelandet bin ich am Mittwochabend und ich hatte Glück, dass mein Flug zum Londoner Flughafen Stansted ging. Landung, Passkontrolle, Gepäckausgabe - alles funktionierte reibungslos, während an den anderen Flughäfen wegen der Terrorwarnungen Chaos herrschte. In Heathrow wurde ein herrenloser Koffer gefunden, weshalb das gesamte Terminal evakuiert werden musste und reihenweise Flüge ausfielen, in Luton standen Kollegen zweieinhalb Stunden lang an der Passkontrolle.#w1#

Von Stansted ging es via Cambridge und Northampton nach Silverstone. Die A14 ist eine vierspurig ausgebaute Schnellstraße, aber Sie glauben gar nicht, vor was da alles gewarnt wird. Alle paar Meilen steht ein Warnschild: Vorsicht vor wendenden Traktoren, vor kreuzenden Radfahrern, vor Pferden...Und nicht zu vergessen: Alle zwei Meilen ein Kreisverkehr, willkommen in England!

Das große Rätsel Verkehrsführung

Was sich mir wohl auch nie so ganz erschließen wird, ist das Verkehrsleitsystem zur Rennstrecke. Nun wohnte ich Gott sei Dank direkt in Silverstone und musste nur die direkte Zufahrtsstraße zum Haupteingang bewältigen. Es gab Kollegen, die für etwa 25 Kilometer rund zweieinhalb Stunden benötigten. Ich zermartere mir immer noch den Kopf darüber, warum am Samstagmorgen ein langer Stau von Richtung Süden von Oxford her kommend war und von Norden, von Northampton her, alles frei war.

Hamilton Campingplatz

Hamiltonmania herrschte in Silverstone natürlich auch auf dem Campingplatz Zoom

Am Sonntagmorgen war es interessanterweise genau umgekehrt - meine einzige logische Erklärung wäre, dass die Leute, die im Süden wohnen, alle am Samstag angereist sind und die, die aus dem Norden kamen, erst am Sonntag, aber das wäre ja dann auch komisch. Wie gesagt, ich habe das System bisher nicht durchblickt. Hier sind wohl einige Probleme der Veranstalter hausgemacht, es muss dringend etwas getan werden - schließlich ist der Verkehr einer der Punkte, der als Argument dafür genommen wird, warum der Vertrag mit Silverstone nicht verlängert werden soll.

Und das wäre schade! Denn ich gebe zu: Ich bin bekennender Silverstone-Fan! Die Atmosphäre an der Rennstrecke ist etwas weltweit Einmaliges, man spürt wirklich, dass hier das Motorsportherz Großbritanniens schlägt. Schon morgens sitzen die Fans auf den Tribünen, vorher holen sie sich an einem der unzähligen Stände noch ein Frühstück oder trinken einen Kaffee im "Bridge Café" neben der Start/Ziel-Geraden oder stöbern in einem der unzähligen Shops, in denen man alles rund um den Motorsport kaufen kann.

Nicht ein unfreundliches Gesicht

Und die Freundlichkeit der Leute! Via Lautsprecher wird man freundlich darauf hingewiesen, Tickets doch bitte nur an offiziellen Ständen zu kaufen, da doch Schwarzhändler mit gefälschten Karten unterwegs seien und denen dürfe man nicht trauen. Am Eingang stehen nette junge Mädchen, die mit strahlendem Lächeln ihren begeisterten Gesang vortragen: "Offizielle Programmhefte! Nur zehn Pfund das Stück!" Auch im Pressezentrum (wo die DSL-Leitung komplett kostenlos war, ebenfalls etwas Einmaliges!), in Pubs, am Flughafen, egal wo - ich habe nicht einen Menschen getroffen, der auch nur in irgendeiner Art und Weise unfreundlich gewesen wäre, ganz im Gegenteil.

Fans Silverstone

Zitronengelb ist in diesem Jahr in - als Schuh und als Frisur Zoom

Bekennender Silverstone-Fan bin ich auch deshalb, weil ich England einfach mag - auch wenn das Wetter meistens ja nicht so toll ist. Ja, natürlich hatten wir auch in diesem Jahr wieder teilweise echt scheußlichen Regen und der Parkplatz hat sich in eine Schlammwiese verwandelt - aber mit dem richtigen Schuhwerk kein Problem. Was auf der Insel derzeit anscheinend total hip ist - ich habe viele Leute damit gesehen - sind knallbunte Plastik-Cloqs. Die sind zwar nicht mehr bunt, sondern einheitlich schlammbraun, wenn man damit einen Tag lang an der Rennstrecke herumläuft, aber dafür kann man sie abends einfach abwaschen und schon sind sie wieder pink, türkis, zitronengelb...

Dörfer "wie aus dem Märchen"

Haus in Silverstone

"Wie aus dem Märchen" - ein typisches Haus in Silverstone Zoom

Ich liebe die englischen Dörfer, wie Silverstone eines ist. BMW Sauber F1 Testpilot Sebastian Vettel hat das schön formuliert: "Die englischen Ortschaften oder Dörfer sehen immer ein bisschen aus wie im Märchen. Aber mir gefällt das, ich sehe die ganzen Backsteinhäuser und so weiter gern. Man kommt sich ein bisschen vor wie im Märchen." Dem kann ich mich ohne jeden Widerspruch anschließen. Und so machte ich am Freitagabend meinen inzwischen schon traditionellen Spaziergang: Vom Bed&Breakfast vorbei an kuscheligen Häuschen gemütlich hinunterschlendern zum Pub "The White Horse" in Silverstone Village. Dabei bekommt man übrigens einen Eindruck davon, wie bedeutend der Motorsport in Silverstone ist. Wo sonst gibt es schließlich Straßennamen wie "Graham Hill", "Brabham Close" und "Stewart Drive" (abgesehen von der Michael-Schumacher-Straße in Kerpen)?

Während im anderen örtlichen Pub "The Royal Oak" eher Ballermann-Party mit Riesenfestzelt angesagt ist, geht es im "White Horse" auf eine gemütlichere Art hoch her. Das alte Lokal liegt direkt am Dorfplatz neben Kirche, Dorfladen und Poststelle. Am Grand Prix Wochenende ist der kleine Platz mit Scharen von Fans belagert, die immer mal wieder begeistert nach oben auf die Außenmauer unter dem Giebel schauen, wo Teile eines original Jordan hängen - Unterboden und Seitenkästen, gefahren versteht sich! Die meisten Gäste campen in der Nähe und haben das Pub zu ihrem Treffpunkt auserkoren.

Schlangestehen als Lebensgefühl

Im Garten haben die Besitzer alljährlich eine Grillstation aufgebaut, dort gibt es Burger, Curry, Steaks und vieles mehr, das Pint holt man sich drin an der Bar. Natürlich dauert es locker eine halbe Stunde, bis man endlich dran ist, schließlich wollen hunderte durstige Kehlen gestillt werden und die drei Mädels am Zapfhahn sind regelmäßig am Rotieren - aber es macht einem nichts aus! Schließlich ist man ja in England und da gehört das Schlangestehen zum Lebensgefühl. Und ich muss sagen: Das steckt an. Überall anders wäre ich wahrscheinlich spätestens nach zehn Minuten ungeduldig geworden und hätte versucht, mich nach vorn zu drängen, aber hier habe ich seelenruhig und geduldig gewartet und hatte einfach mein stilles Vergnügen dabei, die anderen zu beobachten und zu bewundern, die ebenfalls mit stoischer Ruhe auf die Frage warteten: "Hallo, was darf es sein?"

Lewis Hamilton Fans

Lewis Hamilton ist natürlich immer dabei - zur Not auch nur als Pappkamerad Zoom

Das klingt jetzt ziemlich beschaulich, ganz so ist es aber nicht im "White Horse" - denn natürlich sind die hunderten von Fans, die sich dort versammeln und dicht gedrängt zusammen stehen, alle stockbetrunken. Aber dabei sind sie nicht aggressiv, sondern einfach gut drauf. Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht: Als Frau allein rein in die Horde bier- und Lewis-Hamilton-seliger männlicher Briten. Ich bin mir sicher, dass man mich in vielen anderen Ländern mal eben als Freiwild auserkoren hätte, aber hier? Nichts dergleichen! Sie haben mich in Ruhe gelassen, wenn überhaupt, dann nur nett angesprochen und haben sich entschuldigt, wenn man ihnen höflich gesagt hat, dass man sein Bier eigentlich lieber in Ruhe trinken will. Und das Faszinierende ist die Körperbeherrschung: Selbst mit extremster Schlagseite und völlig verdrehten Augen gelang es allen, mir beim Torkeln noch auszuweichen und mich nicht anzurempeln.

Wer ein stilechtes Pub ohne Betrunkene bevorzugt, der ist im "Green Man", etwa vier Kilometer außerhalb von Silverstone in Brackley Hatch richtig. Dort ging es am Samstagabend zum Abendessen hin. Der "Green Man" ist ein Pub wie aus dem Bilderbuch, das Haus ist mehrere hundert Jahre alt, innen gibt es viel dunkles Holz, mehrere Kamine, alte Bilder und natürlich die unverzichtbaren Blümchengardinen. Das Essen ist gut und günstig, ein Rumpsteak für umgerechnet zwölf Euro, und der Service ist - wie sollte es anders sein- natürlich auch supernett und aufmerksam. Und anders als in den überrannten Pubs in Silverstone selbst bekommt man dort auch einen Sitzplatz.

Die Queen? Nein, nur die Beckhams

Am Sonntag herrschte dann wieder Promi-Alarm im Fahrerlager: Natürlich war in Silverstone wieder alles vertreten, was in der britischen Motorsportgeschichte Rang und Namen hat, von John Surtees und Jackie Stewart über Nigel Mansell bis hin zu Johnny Herbert und Damon Hill. Doch auch der Showbiz kommt ganz gern, Duran-Duran-Sänger Simon Le Bon zum Beispiel, den ich schon zum wiederholten Mal dort gesehen habe, oder Sangeskollege Brian McFadden und Schauspieler Patrick Dempsey. Am Sonntagvormittag herrschte dann plötzlich Ausnahmezustand im Fahrerlager. Vor dem Bus von Bernie Ecclestone bildete sich eine riesige und undurchdringbare Traube von Fernsehteams und Fotografen. Diese Masse setzte sich dann in Bewegung und schob sich - alles, was im Weg stand niederwalzend - langsam in Richtung Honda-Garage. Ui, dachte ich, das muss jemand ganz wichtiges sein - Prinz Charles und Camilla oder gar die Queen höchstpersönlich?

Victoria und David Beckham

Superstars? Victoria und David Beckham sorgten jedenfalls für großes Aufsehen Zoom

Denkste: Es waren nur die Beckhams, David und Victoria. Sie wurden hofiert und umfeiert wie die größten Superstars des Planeten, die Fernsehreporter harrten Ewigkeiten aus, in der Hoffnung, wenigstens ein Wort der beiden in ihre Mikrofone zu bekommen. Also ganz ehrlich, ich fand den Auflauf schon etwas unverhältnismäßig, okay, die Beckhams sind die Beckhams, aber ich stimme doch lieber der Aussage eines irischen Freunds von mir zu: "Was soll das Theater? Das sind doch nur eine gescheiterte Popsängerin und ein Ex-Fußballstar." Wir haben uns dann einen Spaß daraus gemacht, die TV-Bilder des Promi-Pärchens auf der Startaufstellung mit neuen, eigenen Worten zu unterlegen. David: "Warum haben die uns hier auf den Parkplatz gebracht? Das Tennismatch fängt doch gleich an!" Victoria: "Mir egal, viel wichtiger ist, dass ich nachher noch einen Friseurtermin habe."

Gefeiert wurde bis zum Abend

Während die Beckhams zurückkehrten zu Champagner und Häppchen, fieberten auf den Tribünen so viele Fans wie schon seit Jahren nicht mehr einem möglichen Hamilton-Sieg entgegen. Über 200.000 Besucher wurden am Wochenende gezählt, die meisten natürlich voll im Hamiltonfieber. Dass es nicht geklappt hat mit dem Sieg ihres Shootingstars hat ihnen übrigens nicht die Laune verdorben. Gefeiert wurde an der Rennstrecke trotzdem bis zum Abend - egal ob beim großen Live-Konzert auf der Bühne oder an einem der unzähligen Stände, und alle freuten sich darüber, ein tolles Wochenende gehabt zu haben. Ich auch! Deshalb: Silverstone 2008, ich bin dabei!

Jetzt geht es in der Formel 1 aber erst einmal weiter mit unserem Heimrennen - dem Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring. Deutschland ist übrigens nach England das Land mit den meisten Formel-1-Teams und -Fahrern: BMW und Mercedes sind hier zu Hause, Toyota baut das komplette Auto bei Köln und vier Deutsche sind aktuell Grand-Prix-Piloten. Sie alle freuen sich schon. Wie sagte Nick Heidfeld: "Ich habe schon gehört, dass die Zuschauer noch zahlreicher erscheinen werden, weil wir nur noch ein Rennen in Deutschland haben. Dann wird die Atmosphäre noch geiler!" Genau, und am Nürburgring ist dann wieder wie gewohnt Inga Stracke vor Ort.

Ihre

Britta Weddige