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  • 16.10.2001 11:07

  • von Fabian Hust

Stimmen im PS-Gebrüll - Traumjob Formel-1-Kommentator?

Ist Formel-1-Kommentator ein Traumjob? F1Total.com schaute hinter die Kulissen und sprach mit einem Kommentator

(Motorsport-Total.com) - Man sieht sie selten und doch sind sie allgegenwärtig: die Formel-1-Kommentatoren. Wie sieht der Alltag eines Kommentators im "Milliardenzirkus Formel 1" aus? Kann man wirklich von einem Traumjob sprechen? F1Total.com-Chefredakteur Fabian Hust blickt hinter die Kulissen und sprach dazu mit Premiere-World-Moderator Jacques Schulz

Titel-Bild zur News: Jacques Schulz

Jacques Schulz kommentiert seit 1996 bei Premiere World alle Formel-1-Rennen

Als ich mich einmal vom Formel-1-Rennen in Ungarn auf den Weg nach Hause machte, saß ich mit zwei in Deutschland bekannten Formel-1-Kommentatoren im gleichen Flugzeug. In meiner Reihe checkte Premiere-World-Kommentator Jacques Schulz ein, daneben Kai Ebel. Der RTL-Kommentator flog im Gegensatz zu uns in der 1. Klasse - ein Sinnbild für den Kampf "Free-TV gegen Pay-TV". Während sich RTL über Einschaltquoten jenseits der 10-Milionen-Grenze freuen darf, hat Premiere World geschätzte 2,4 Millionen Abonnenten, gesicherte Zahlen erhält man nicht.

Formel-1-Kommentator statt Busfahrer
Dabei bietet der Pay-TV-Sender die Übertragung aller Trainings an und das selbst bei Überseerennen gestochen scharf und werbefrei. Für Jacques Schulz ist Premiere World wie ein eigenes Kind. "Ich habe das Produkt mit erfunden und entwickelt", so der 34-Jährige. Als kleiner Junge wollte er Busfahrer werden, jetzt reist der Heidelberger seit dem Sendestart im August 1996 in Hockenheim mit dem Formel-1-Tross um die Welt.

"Fünf Überseerennen, 12 Europarennen, sieben Tests und Präsentationen - das sind mehrere 100.000 Flugmeilen", zählt Schulz zusammen. "Wenn man die Stunden zusammenrechnet, bin ich mehrere Tage in der Luft." Für viele Mitarbeiter in der Formel 1 ist besonders diese Reiserei anstrengend. "Vor allem dann, wenn die WM-Entscheidung schon vier Rennen vor Schluss fällt ist das Reisen mühselig", gibt Schulz zu. "Dann ist es schwierig, mit dem gleichen Elan an die Sache ranzugehen. Ich reise aber grundsätzlich gerne. Man fliegt lieber am Anfang nach Australien als am Ende nach Japan."

Kein Tag Urlaub
"Nicht einen einzigen Tag" hat Schulz während der Saison Urlaub, da stellt sich die Frage erst gar nicht, ob er sich als Formel-1-Fanatiker bezeichnet. Für ein paar freie Tage vor und nach einem Rennen reicht es jedenfalls nicht: "Ich schaue aber, dass ich meine Reisen so plane, dass ich 10 Prozent sehe", verrät Schulz, dass er nur einen Teil der Touristenattraktionen der einzelnen Städte sieht.

Und wie wirkt sich deine Arbeit auf den Privatmann Jacques Schulz aus? "Relativ wenig, da ich weder verheiratet bin noch Kinder habe. Aus diesem Grund bin ich relativ flexibel." Als ehemaliger Radiomoderator scheint es offensichtlich, wie er sich am besten von dem Stress erholt, wenn er denn einmal eine ruhige Minute zu Hause hat: "Ich liege grundsätzlich auf dem Sofa, tue nichts und höre Musik."

Für einen Formel-1-Fan ist es natürlich etwas Besonderes, mit einem Formel-1-Beteiligten sprechen zu können, für Schulz gehört das zum angenehmen Alltag: "Über die Jahre baut man schon so etwas wie ein Vertrauensverhältnis zueinander auf, aber Ausnahmen bestätigen natürlich auch die Regel." Das Gefühl, dass seine Gesprächspartner nur mit ihm reden, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, hat er nicht.

Die Fans wissen viel zu wenig
Ein weiterer Vorteil der Arbeit ist die Nähe zum Geschehen, da erfährt man manchmal Dinge, die besser nicht an die Öffentlichkeit kommen: "Das kommt relativ häufig vor, aber Ehre und Gentlemenagreement stehen hier über der Informationspflicht. Wenn alle so viel wüssten wie die Journalisten, dann würden viele die Formel 1 anders sehen. Die so genannten Fans am Fernsehschirm wissen meinem Erachten nach viel zu wenig, um sich ein komplettes Bild machen zu können. Ich lese so viel Blödsinn, das ist unfassbar."

Jacques Schulz hat seinen "Traumjob" gefunden. Was rätst du Leuten, die in deine Fußstapfen treten möchten? "Sie sollten eine sehr gute Allgemeinbildung besitzen. Interessen und Hobby müssen möglichst zum Beruf werden, man muss sich von Früh auf mit Autos auseinandersetzen, alles über die Jahre hinweg verfolgt haben und den nötigen Ehrgeiz besitzen, zielstrebig in diese Richtung steuern. Man braucht Abitur, ein Kommunikations- und Journalistikstudium, viele Jahre Berufserfahrung und hat im Idealfall Radioerfahrung. Und ich halte es für zwingend, eine Sprachausbildung zu haben."

Verzicht auf Medienveranstaltungen
Viel Neid rufen die Veranstaltungen von großen Firmen hervor, die die Journalisten gerne mit potenten Rennwagen auf Rennstrecken loslassen. Ist das für dich willkommener Luxus? "Nein, in der Regel nicht, weil ich, wenn ich frei habe, auch frei haben möchte." Selbst Rennen gefahren ist Jacques Schulz noch nie und den Wunsch verspürt er auch nicht.

Wie müssen sich die Zuschauer deinen Arbeitsplatz vorstellen? "Mein Arbeitsplatz ist zu vergleichen mit der klassischen Kommentatorenkabine, nur besitze ich nicht nur einen Monitor und einen Datenschirm, sondern 20 TV-Schirme, die untereinander noch einmal umschaltbar sind. So muss ich mit meinen zwei Augen eine Unzahl von Bildern und auch Daten erkennen, verarbeiten und kommentieren. Die wichtigsten Schirme sind so groß wie ein Computerschirm, die anderen sind ungefähr 15x15 cm groß. Diese Profimonitore sind gestochen scharf; man sieht mehr als auf den großen Monitoren."

Der siebte Fernsehsinn
Da kann man verstehen, dass sich die Kommentatoren von Zeit zu Zeit einmal vertun, wenn sie in diesem Wust von Informationen noch den Überblick behalten müssen. "Ohne mich jetzt selbst loben zu wollen, würde ich es als sehr schwierig bezeichnen, den Überblick zu behalten. Aber auch hier gilt, vergleichbar mit der ersten Fahrstunde im Auto, als man dachte, 'drei Pedale, ein Lenkrad, zwei Augen und dann auch noch nach hinten schauen, das ist unmöglich!', gibt einem auch hier die Routine und die Übung eine gewisse Sicherheit."

Die Qualitäten eines Moderators kommen gerade bei dieser anspruchsvollen Aufgabe zu Tage: "Man muss so etwas wie einen siebten Fernsehsinn besitzen, um zu erahnen, was passieren könnte, um dann die Augen auf dem richtigen Signal zu haben. Oft hilft einem die Vielfalt der Daten - ich habe viel mehr Daten, als der Zuschauer zu Hause in seinem Infokanal sieht. Es sind sechs verschiedene zusätzlich Kanäle, über die ich nicht mehr sagen möchte."

Lieber Polarisieren als Everybody's Darling sein
Machst du dir eigentlich Gedanken, wie du bei den Zuschauern ankommst? "Nein, ich versuche aber, immer mein Bestes zu geben, bin mir jedoch bewusst, dass ich es nicht jedem Recht machen kann. Lieber polarisiere ich, als 'Everybody's Darling' zu sein." Wie wichtig ist das reine Informieren und das Unterhalten des Publikums? "Ich würde so weit gehen und sagen, dass Informationen und Unterhaltung gleich wichtig sind."

Wer in der Öffentlichkeit präsent ist, der erhält natürlich Rückmeldungen vom Publikum, so auch Jacques Schulz, die Stimme von Premiere World: "Ich würde behaupten, meine Feedbackreaktion ist mit am größten im Hause Kirch, was sich in der Menge an Autogrammkartenwünschen, den eMails und der Fanpost äußert. Alles dabei, vom Supertechniker, der meine Analyse der Rillen in Runde 17 kritisiert, bis hin zum klassischen Liebesbrief", schmunzelt der 1-Meter-85-Mann.

Murray verdient seinen Status zu Recht
Murray Walker, Kai Ebel und Heinz Prüller sind andere bekannte Stimmen der Formel 1, doch warum sind sie zu dem geworden, was sie heute sind? "Weil sie ihren Job zunächst einmal über viele Jahre gemacht haben und so einen gewissen Gewohnheits- und Häufigkeitsfaktor erreichen und das, was sie machen, sehr gut machen. Insbesondere Murray Walker, der in England diesen Status völlig zu Recht verdient."

Schulz selbst hat nicht den Anspruch, den Bekanntheitsgrad eines Murray Walkers zu bekommen, viel lieber möchte er sein Produkt etablieren. Aber natürlich lugt man immer ein wenig auf die Konkurrenz: "Informationsmäßig immer, besonders was Heinz Prüller angeht, Stilmäßig? Nein, da muss man nach fast hundert Rennen seinen eigenen Stil gefunden haben."

Herausforderung Todesfall
Abschauen von den Kollegen kann man sowieso nicht, wenn es darum geht, heikle Momente zu kommentieren, wie zum Saisonauftakt in Australien, als nach einem Auffahrunfall von Jacques Villeneuve auf Ralf Schumacher ein Streckenposten ums Leben kam: "Melbourne war der personifizierte Horror eines jeden TV-Kommentators, den möglichen Tod eines Fahrers und Streckenpostens zu realisieren und in Worte zu fassen. Das Problem ist, dass man in solchen Situationen nicht wie auf dem Computer auf die 'delete-Taste' drücken kann. Was raus ist, ist raus."

In solchen Momenten ist man näher an der Formel 1 dran, als einem lieb sein kann: "Ich gebe zu, dass ich gedacht habe, Villeneuve ist tot, weil mir sofort sein Vater 1982 in Zolder ins Gedächtnis kam", erinnert sich Schulz. "Als Villeneuve dann ausstieg, dachten wir, dass alles gut gegangen wäre. Bei Luciano Burti in Belgien hatte ich kein Problem, weil Marc Surer neben mir als Rennfahrer sofort angenommen hat, dass er lebt. Dadurch, dass wir den Tod des Streckenpostens nicht mitbekommen haben, sondern froh waren, dass alle Fahrer ausgestiegen sind, dachten wir, dass alles gut gegangen ist."

Marc Surer als rechte Hand
In solchen Momenten ist der ehemalige Schweizer Formel-1-Fahrer Marc Surer an seiner Seite als Co-Kommentator ein ganz wichtiger Mann: "Er ist immer dazu in der Lage, die Sicht eines Fahrers in einen Kommentar einzubringen, das würde dem besten Kommentator nicht gelingen. Ich könnte nicht so kommentieren, wie ich es tue, wenn Surer nicht da wäre und Surer wäre nicht der brillante Experte, wenn ich nicht neben ihm säße. Eine gute Frage ist für eine gute Analyse sehr wichtig, umgekehrt muss ein Moderator auch den emotionalen Part ergänzen können."

Während Surer als Schweizer einen ruhigeren Ton anstimmt, sorgt Schulz mit seiner Stimmlage dafür, dass die Zuschauer seine Emotionen spüren, was ihm gerade in schwierigen Momenten sehr wichtig ist: "Ein Kommentator muss in solchen Situationen Emotionen zeigen. Ein Kommentator, der hier sachlich bleibt, erfüllt seine Informationspflicht, was sicherlich nicht falsch ist. Aber insbesondere im Rennsport, in dem es um die Gefahr, die Faszination und die Geschwindigkeiten geht, haben Emotionen oberste Priorität. Wir machen hier kein Dressurreiten."

Ein Grand-Prix-"Wochenende" mit Jacques Schulz

Montag:
Ich werte Zeitschriften, Publikationen und Agentur-Meldungen aus. Es werden alle Pressesprecher angerufen, teilweise auch Fahrer und Teammitglieder, um den neusten Stand zu recherchieren. Oft gibt es kurze Shakedowns, auch hier wird in der Regel noch einmal mit den Teams telefoniert. Nach rund acht Arbeitsstunden ist der Tag beendet.

Dienstag:
Vom Medienzentrum der Kirch-Gruppe erhalten wir eine Infomappe, eine Zusammenstellung der wichtigsten Informationen und Statistiken für die Moderatoren. Ich bereite mich vor, in dem ich alle Informationen sichte. Nach rund acht Arbeitsstunden gehe ich nach Hause.

Mittwoch:
Anreise per Flugzeug und Mietwagen. Oft werden auch noch Interviews und Gespräche auf den Flughäfen geführt und manchmal hat man das Glück, neben einem Fahrer zu sitzen. Am Mittwochabend findet eine erste Besprechung für den Donnerstag statt. Nach 12 anstrengenden Stunden ist es Zeit für das Hotel.

Donnerstag:
Vor-Ort-Recherche im Fahrerlager. Es folgt die Pressekonferenz um 15 Uhr. Gegen 17 Uhr gibt es ein "Debriefing", alle Funktionsträger tauschen untereinander Informationen aus. Diese Sitzung geht in den Vorschauteil für Freitag über, in der über die Sendungsgestaltung des 1. und 2. Freien Trainings debattiert wird. Der endgültige Sendeablauf wird in ein Excelsystem eingegeben. Es folgt eine abschließende Schlussrecherche, die meistens zwischen 18 und 19 Uhr ist. Anschließend fahre ich nach 12 Arbeitsstunden in das Hotel zurück.

Freitag:
Um 8 Uhr fahre ich vom Hotel in Richtung Rennstrecke los. Nach der ersten Sendung von 11 Uhr bis 12 Uhr folgt eine kurze Pause, in der ich zu Mittag esse. Nach der zweiten Sendung von 13 Uhr bis 14 Uhr findet eine Nachbesprechung statt. Dann geht es in die 15-Uhr-Pressekonferenz. Anschließend werden O-Töne eingeholt und die Pressemitteilungen der Teams durchgearbeitet. Um 18 Uhr folgt das Meeting, in dem alle Informationen ausgetauscht werden. Anschließend geht es in die Sendungssitzung für den Samstag. Irgendwann spät abends fahren wir in das Hotel zurück.

Samstag:
Da das Freie Training am Samstag schon sehr früh ist, ist bereits um 6 Uhr Abfahrt vom Hotel und einer Minibesprechung meistens bei einer Tasse Kaffee vor dem 3. und 4. Freien Training. Mit dem Qualifying folgt die erste spannende Entscheidung des Wochenendes, meistens ist der Adrenalinpegel nach dieser Stunde Moderation recht hoch. Am Samstagnachmittag ist dann wieder eine Recherche im Fahrerlager angesagt. Dann geht es in eine Abschlussbesprechung von 17:30 Uhr bis 18 Uhr. Von 18 Uhr bis 19 Uhr folgt die Besprechung für den Haupttag.

Sonntag:
Arbeitsbeginn am Sonntag ist 6:30 Uhr. Es gibt eine kleine Tasse Kaffee und ein kurzes Briefing. Nach dem Warm Up übertragen wir den Porsche Super Cup und danach findet die Besprechung zum Rennen statt. Des Weiteren werden die Aufzeichnungen erstellt, die bei der Hauptübertragung abgespielt werden. Vor Sendebeginn um 12:30 Uhr wird eine einstündige Besprechung abgehalten. Man geht noch einmal kurz ins Fahrerlager. Ab 12 Uhr halten sich dann alle für die Sendung bereit. Die erste Stunde ist fast komplett Vorlauf, die ich eigentlich nur auf Standby begleite, falls ein Signal ausfällt. Meine Kommentarzeit beginnt um 13:30 Uhr in der halben Stunde vor dem Rennen, dann zwei Stunden Rennen bis 16 Uhr inklusive Pressekonferenz. Anschließend beginnt der einstündige Nachlauf, der in der Regel bis 17 Uhr geht. Um 17:30 Uhr ist dann ein Debriefing über die Sendung, in der man bespricht, was war schlecht, was war gut. Um 18 Uhr geht es auf das einzige Bier des Wochenendes ins Fahrerlager. Von 19 Uhr bis 20 Uhr geht es ins Hotel und ab 20 Uhr ist der Sonntag beendet.

Montag:
Am Morgen oder am Mittag fliegen wir nach Hause. Am Nachmittag bereite ich das Rennen für die DSF-Zusammenfassung (Deutsches Sportfernsehen) auf. Ich lese dazu viele Tageszeitungen auf Deutsch, Englisch, Italienisch und auch im Internet.

Dienstag:
Morgens bin ich im Schnitt, um die Sendung für Dienstagabend redaktionell zu betreuen. Zwischen 18 und 20 Uhr vertone ich den Bericht noch einmal nach. Wenn die Sendung um 20:15 Uhr läuft, dann bin ich meistens noch bis 21 Uhr im Büro und dann ist am Dienstagabend mein Grand-Prix-Wochenende beendet.