Stewart: Pionier in Sachen Sicherheit

Jackie Stewart ist dreifacher Weltmeister, aber als seinen schönsten Erfolg bezeichnet er immer noch den gewonnenen Kampf um mehr Sicherheit

(Motorsport-Total.com) - Jackie Stewart hat in seiner Karriere als Rennfahrer alles erreicht, was man erreichen kann: drei WM-Titel (1969, 1971 und 1973), 27 Grand-Prix-Siege - und er hat überlebt, was in den 1960er- und 1970er-Jahren noch keineswegs selbstverständlich war. Und so bezeichnet er immer noch den gewonnenen Kampf um mehr Sicherheit in der Formel 1 als seinen schönsten Erfolg.

Titel-Bild zur News: Jackie Stewart

Jackie Stewart war der erste Fahrer, der ernsthaft über Sicherheit nachgedacht hat

Als Stewart 1965 auf BRM in die Königsklasse des Motorsports kam, war der Tod noch ständiger Begleiter. Pro Jahr ließen mindestens zwei bis drei Kollegen ihr Leben, so dass man sich quasi ausrechnen konnte, wann es einen selbst erwischen würde. Grand-Prix-Piloten waren damals noch keine millionenschweren Medienstars, sondern leidenschaftliche Racer, sozusagen Astronauten mit Rennautos statt Raketen.#w1#

Der Tod war ständiger Begleiter

"Wenn du damals Rennfahrer warst", erinnert sich der heute 68-Jährige an seine Anfänge zurück, "hast du nicht die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit akzeptieren müssen, dass du sterben wirst. Ein Fahrer, der sich entschieden hat, noch einmal fünf Jahre anzuhängen, wusste, dass damit das Risiko, dass er sterben kann, ansteigt." Die nackten Zahlen sind erschütternd: In nur elf Jahren hat Stewart 57 Freunde und Bekannte im Motorsport verloren.

Besonders nahe gegangen ist ihm der Tod seines Teamkollegen und Freundes François Cevert in Watkins Glen 1973. Der Franzose verunglückte im Qualifying und starb noch an der Unfallstelle. Ken Tyrrell zog seine Autos daraufhin vom Grand Prix der USA zurück - und Stewart setzte sich in seinem Hotelzimmer neben seiner Frau Helen auf das Bett, brach in Tränen aus und sagte: "Das war's, ab heute bin ich kein Rennfahrer mehr." Watkins Glen wäre sein 100. Grand Prix gewesen.

Die Erinnerungen an Ceverts Tod sind noch lebendig: "Ich sah einen Streckenposten, der wie verrückt zwei gelbe Flaggen schwenkte. Ich fuhr langsamer und sah auf einmal die ganzen Wrackteile auf der Strecke. Es sah aus wie nach einem Flugzeugabsturz, aber ein paar Teile waren noch etwas größer, so dass ich erkannte, dass sie blau waren. Mir blieb das Herz stehen und ich hielt sofort an, stieg aus dem Auto und rannte zur Unfallstelle."

Ceverts Tod hautnah miterlebt

"Ich kam dort an und erstarrte sofort in Unglauben und Horror", schüttelt der Schotte heute, fast 35 Jahre später, immer noch traurig und sichtlich bewegt den Kopf. "Ich realisierte sofort, dass ihm niemand mehr helfen konnte. Da war überall Rauch und Dampf, der Gestank von Öl - und angegurtet an den Sitz lag mein Teamkollege, mein Protegé, mein Freund, mein jüngerer Bruder regungslos da. Er war tot."

Stewart macht sich Vorwürfe, weil er nicht bei Cevert geblieben, sondern wieder eingestiegen und selbst zurück an die Box gefahren ist: "Ich kann mich ganz ehrlich nicht mehr daran erinnern, wie lange ich dort gestanden bin, aber ich drehte mich irgendwann weg und stieg wieder in mein Auto. Hätte ich bei François bleiben sollen? Das ist eine Frage, die ich mir in den vergangenen 35 Jahren immer und immer wieder gestellt habe..."

François Cevert und Jackie Stewart

Mehr als Teamkollegen: François Cevert und Jackie Stewart in Zandvoort 1970 Zoom

Sohn Paul war der Auslöser

Bei Stewart hatte aber schon lange davor ein Umdenken eingesetzt, was das Thema Sicherheit in der Formel 1 angeht. Dafür ausschlaggebend war sein Sohn Paul, mit dem er später gemeinsam ein Grand-Prix-Team leiten sollte - damals noch ein kleiner Junge: "Paul hat Helen gefragt: 'Mum, wann stirbt Daddy eigentlich?' Und ich sah den nervösen Tick, den er entwickelte, weil er nie wusste, ob ich wieder nach Hause komme."

Ans Aufhören dachte er zwar trotz der Sorgen seiner Familie nie ("Das hört sich ganz schön selbstsüchtig an, nicht wahr?"), aber Stewart machte sich erstmals Gedanken, wie er seinen Sport sicherer machen könnte. Dies brachte ihm anfangs jede Menge Häme ein, denn unter den damaligen Race-Cowboys galt er plötzlich als Feigling, aber zumindest für seine Routine im Umgang mit dem Tod waren ihm die meisten Kollegen dankbar.

"Ich war derjenige, der alle Prozeduren kannte, wenn es darum ging, eine Leiche aus einem fremden Land nach Hause zu bringen", sagt er ohne Emotionen. "Sie haben immer gesagt: 'Oh, geh zu Jackie!' Ich wusste, dass die meisten Passagierflieger keine Särge transportieren, also musste man sie als Fracht schicken - und es mussten entweder Blei- oder Zinksärge sein. Ich schaute mir immer das Wrack an, identifizierte die Leiche, rief die Eltern an und fuhr dann am nächsten Tag wieder Rennen."

Ein Gynäkologe als Formel-1-Arzt

Irgendwann hatte Stewart von dieser Ironie des Schicksals genug, so dass er sich entschloss, das Thema Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen. Als ersten Schritt trieb er einen Arzt auf (noch nicht Sid Watkins, der die Formel 1 ab 1978 revolutionieren sollte), von dem er später zugab, dass es ein Gynäkologe war, und in weiterer Folge stellte er in jedem Land eine Liste mit Namen von medizinischen Spezialisten auf, die man im Falle von schweren Verletzungen kontaktieren könnte.

1968 - also noch vor dem Gewinn seines ersten WM-Titels - übernahm Stewart die Präsidentschaft der Fahrergewerkschaft GPDA (Grand Prix Drivers' Association), die erst sieben Jahre zuvor gegründet worden war: "Wir fragten Dinge wie: 'Muss der Telegrafenmasten unbedingt in der Kurve neben der Strecke stehen?' Oder: 'Könnte man diese Bäume nicht fällen?' Aber immer wurden wir nicht angehört", seufzt er.

Jackie Stewart

Als Sex noch sicher war und die Formel 1 gefährlich: Jackie Stewart in Jarama 1970 Zoom

Pionierarbeit in Sachen Sicherheit

"Wir fingen damit an, jeden Streckenbetreiber aufzufordern, möglicherweise lebensrettende Leitplanken aufzustellen. Außerdem führten wir die feuerfesten Rennoveralls, feuerfeste Unterwäsche, Helme mit offiziellem Zertifikat, Sechspunktgurte und hochqualitative Thermosocken und Handschuhe ein", zählt der 99-fache Grand-Prix-Teilnehmer einige Maßnahmen auf, die seinerzeit von ihm und seinen Mitstreitern in die Wege geleitet wurden.

Stewarts Bemühungen wirkten sich zwar nicht sofort, sondern zum Teil erst viele Jahre nach seinem Rücktritt aus, aber sein Beitrag zu den heutigen Sicherheitsstandards gilt als unbestritten. Genau darauf ist er am meisten stolz: "Das Verbessern der Sicherheit ist der größte Erfolg meiner Karriere. Ich habe Titel gewonnen und ich hatte eine wundervolle Karriere, aber worauf bin ich am meisten stolz? Darauf, dass ich dafür gekämpft habe, die Zahl der unnötigen Toten zu reduzieren."

Mit ein bisschen Wehmut in der Stimme fügt er abschließend an: "Selbst heute vergeht kaum einmal ein Tag, an dem ich nicht an die Menschen zurückdenke, die in der damaligen Zeit gestorben sind, speziell meine engsten Freunde Jimmy Clark, Jochen Rindt und François Cevert. Das Gefühl des Verlusts ist immer präsent, es schlummert nur unter der Oberfläche. Aber auch 40 Jahre später sind einige der Todesfälle für mich immer noch schwer zu akzeptieren."