So würde ein Ingenieur die Formel 1 reformieren

Dieter Gass, Chefingenieur bei Toyota, erklärt den 'F1Total.com'-Lesern seine Ansichten über das Formel-1-Reglement

(Motorsport-Total.com) - Bis Oktober hat die Formel 1 gebraucht, um ein Reglement für die nächste Saison hervorzubringen, und selbst darüber gibt es immer noch Diskussionen. Praktisch das ganze Jahr über herrschte hinter den Kulissen ein Tauziehen um die technische Ausrichtung der Königsklasse, in dem sich letztendlich der Automobilweltverband FIA unter Präsident Max Mosley durchgesetzt hat.

Titel-Bild zur News: Dieter Gass

Toyota-Chefingenieur Dieter Gass plädiert eindeutig für weniger Grip

Während BMW, Honda und Mercedes jene drei Hersteller sind, die am lautesten gegen die beschlossenen Reformen protestieren, gehört Toyota zu den kooperativeren Teams in der Königsklasse des Motorsports. Die Japaner, die eigentlich mit einem V12-Motor in die Formel 1 einsteigen wollten, dann aber klein beigeben mussten, als ihnen dies untersagt wurde, haben immer wieder betont, dass sie grundsätzlich jedes sinnvolle Reglement unterstützen.#w1#

Toyota bei Regeländerungen kooperativer als etwa Ferrari

Schürft man ein wenig unter der Oberfläche, so verwundert dies auch nicht weiter, schließlich hat Toyota keinen technischen Vorsprung zu verlieren. Der seit drei Jahren in der Formel 1 aktive Rennstall mit Sitz im Kölner Stadtteil Marsdorf hinkt der Konkurrenz nach wie vor hinterher und hätte daher kein Problem damit, wenn alle mit einem weißen Blatt Papier neu beginnen müssten. Die Ausgangslage von Ferrari ist verglichen damit natürlich eine ganz andere.

'F1Total.com' hat sich kürzlich die Zeit genommen, im Rahmen von Testfahrten mit Toyotas Chefingenieur Dieter Gass das Reglement zu besprechen. Der 41-Jährige, der erst 2001 von der Sportwagenszene in die Formel 1 gewechselt ist, legte dabei offen seine Gedanken zu den aktuellen Autos dar und brachte Vorschläge ein, wie man die Königsklasse für die Zuschauer interessanter gestalten könnte.

Seiner Meinung nach gibt es diesbezüglich ein Zauberwort: Grip. Gass findet, dass die FIA hierfür einen guten Kompromiss eingegangen ist, indem der aerodynamische Abtrieb um rund 25 Prozent reduziert und die Laufleistung eines Reifensatzes auf die Gesamtdistanz von Qualifying und Rennen ausgedehnt wurde. Vom 2,4-Liter-V8-Motor, der 2006 kommen soll und gegen den sich einige Hersteller wehren, hält aber auch er nicht viel.

Gass: "Aufpassen, dass die Formel 1 die Formel 1 bleibt"

"Man muss fürchterlich aufpassen, dass die Formel 1 die Formel 1 bleibt", ist laut dem Giessener oberstes Gebot bei allen Eingriffen ins Reglement. "Es muss der Anspruch erhoben werden, dass High-Tech dazugehört. Meiner Meinung nach muss man außerdem darauf hinarbeiten, die Show für den Zuschauer zu verbessern. Das würde man erreichen, wenn man den Grip reduziert. Das Problem ist aber, wenn man aerodynamisch den Grip reduziert, dass die Geschwindigkeiten auf den Geraden zu hoch werden."

Reifen und Aerodynamik seien grundsätzlich "ein guter Ansatzpunkt", aber "die Motorleistung sollte nicht zu stark beschränkt werden, finde ich." Ganz von ungefähr kommt dieses Argument nicht, schließlich sind es auch technische Meilensteine wie das Durchbrechen der 900-PS-Marke oder der 19.000-Touren-Grenze, die bei den Fans für Gesprächsstoff sorgen. Ganz abgesehen davon sollte die Formel 1 für die Ingenieure die höchste Herausforderung bleiben.

In den 70ern und 80ern drifteten die Autos mehr als heute

"Wenn man sich ein Rennen aus den 70ern oder auch 80ern anschaut, dann ist das Spektakel dadurch gegeben gewesen, dass die Autos sehr stark gerutscht sind. Sie waren leichter zu kontrollieren, wenn das Limit einmal überschritten worden ist, und dadurch hat es viele Überholmanöver gegeben, teilweise auch in den Kurven. Ich denke, das ist der Weg, den man beschreiten müsste, um die Show zu verbessern", ergänzte Gass.

Wichtig ist für viele Zuschauer auch die Optik der Fahrzeuge, die sich im Laufe der Jahre doch sehr stark verändert hat. Gab es noch in den 60er- und 70er-Jahren aus Sicherheitssicht selbstmörderische Rahmenkonstruktionen, so kamen später die Flügelautos und in den 80er-Jahren die Vorgänger der heutigen Monocoques aus Kohlefaser. Die letzte gravierende Änderung in optischer Hinsicht erfolgte vor der Saison 1998, als die Spurbreite der Fahrzeuge von 200 auf 180 Zentimeter reduziert wurde, um die Kurvengeschwindigkeiten zu verringern. Gleichzeitig wurden auch die Rillenreifen eingeführt, zunächst jedoch nur mit drei anstatt der heutigen vier Längsrillen vorne.

Obwohl man sich inzwischen längst an das grazile Erscheinungsbild der Boliden gewöhnt hat, trauern viele Puristen den PS-Ungetümen der 80er-Jahre mit ihren superbreiten Gummiwalzen nach. In Formel-1-Kreisen ist dies trotz aller Reformdiskussionen aber kein wirkliches Thema, räumte Gass ein: "Die Optik der Fahrzeuge wird relativ wenig diskutiert." Zumindest die Fahrer wünschen sich aber großteils wenigstens eine Rückkehr zu den profillosen Slicks.

Geringe optische Unterschiede zwischen Superauto und Totalflop

Apropos Optik: Würde jemand auf die Idee kommen, alle aktuellen Formel-1-Autos schwarz zu lackieren und nebeneinander aufzustellen, dann würden wohl nur die wenigsten Fans den fast unschlagbaren Ferrari, der dieses Jahr 15 von 18 Rennen gewonnen hat, vom erfolglosen Minardi-Chassis unterscheiden können. Der Schritt zwischen dem aerodynamischen Wunderauto und dem totalen Flop ist heutzutage sehr gering.

"Man sieht die Unterschiede, aber man muss schon sehr genau hingucken", nickte Gass zustimmend. "Wenn man in Prozentzahlen spricht, sind die Unterschiede ja gar nicht so groß, aber im Rennen werden sie durch die Distanz einfach entsprechend dokumentiert. Umgerechnet auf eine Runde liegt der Zeitunterschied in einem sehr kleinen Bereich. Ich habe das lange nicht mehr gemacht, aber das liegt wahrscheinlich im Bereich von zweieinhalb bis drei Prozent. Das ist ja nicht viel. Von jemandem, der kein Experte ist, zu erwarten, die Autos optisch unterscheiden zu können, ist klarerweise viel verlangt."

Spionieren ist nicht alles, aber man tut es trotzdem...

"Die Unterschiede liegen im Detail. Der Unterboden ist zum Beispiel ein wichtiges Element, das man nicht sieht, auch wenn keine Abdeckungen mehr erlaubt sind. Angenommen, Ferrari hat ein Luftleitblech, das bei denen super funktioniert, so heißt das noch lange nicht, dass dieses Luftleitblech auch auf unserem Auto funktionieren muss. Man wird aber inspiriert, das ist klar. Man guckt sich auch sehr genau an, was die anderen Teams machen", erklärte er abschließend.

Seinen Aufgabenbereich bei Toyota umschrieb er übrigens folgendermaßen: "Ich bin verantwortlich für alle technischen Aspekte der Autos an den Rennwochenenden. Die größte Herausforderung ist, immer das Maximum aus den Autos herauszuholen. Außerdem muss ich sicherstellen, dass die Erkenntnisse vom Testen umgesetzt werden. Und dann ist da noch die Rennstrategie, denn die Benzinmenge im zweiten Qualifying ist entscheidend für den Zeitpunkt der Tankstopps im Rennen."

Gass stieß 2001 als Testingenieur zum Formel-1-Team von Toyota, hatte zu dem Zeitpunkt aber schon einen Namen als Top-Mann in der Sportwagenszene - unter anderem bei Bugatti und Audi. 2002 arbeitete er als Renningenieur mit Allan McNish zusammen, ehe er 2003 erstmals die Gesamtverantwortung für das Rennteam übernahm. In dieser Funktion ist er direkt Mike Gascoyne unterstellt, dem Technischen Direktor.

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