• 05.07.2007 13:32

So werden die Autos in Silverstone abgestimmt

Hintergrund: Obwohl der Volllastanteil wieder gesunken ist, bleibt Silverstone eine enorme Herausforderung für die Renningenieure

(Motorsport-Total.com) - Durch die Umstellung auf V8-Motoren im vergangenen Jahr und den ständig steigenden aerodynamischen Grip der Boliden haben sich die technischen Anforderungen der britischen Grand Prix-Strecke in Silverstone erheblich geändert. Kurven, vor denen die Piloten zuvor herunterschalten mussten, werden heute mit Vollgas oder leichtem Lupfen des Gaspedals gefahren. In der gesamten ersten Hälfte einer Runde - bis zur Vale-Kurve - bremsen die Fahrer so gut wie gar nicht.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

In Silverstone kann man schon mal abfliegen, wie Lewis Hamilton weiß...

Die Motoren laufen im Gegenzug länger unter Volllast: Der Anteil der Strecke, der mit voll geöffneten Drosselklappen gefahren wird, ist von 2005 auf 2006 um zwölf Prozent gestiegen. Da die Reifen der 2007er-Generation weniger Grip bieten als die Vorjahrespneus, sinkt dieser Wert wieder etwas ab, doch nach wie vor ist Silverstone ein Powerkurs, der jeder Baugruppe des Autos Höchstleistungen abfordert. Die Bandbreite verschiedener Kurventypen reicht von 260 km/h schnellen Mutkurven bis zu dem langsamen, gewundenen Streckenteil am Ende der Runde. Zudem müssen die Autos mit der unebenen Fahrbahn und dem wechselhaften, oft böigen Wind fertig werden. Kurz gesagt: Der Traditionskurs von Silverstone ist extrem anspruchsvoll - für Auto und Fahrer.#w1#

Aerodynamik:

In Silverstone arbeiten die Teams mit mittlerem bis hohem Abtrieb - ähnlich wie vor Wochenfrist in Magny-Cours. Die recht hohe Downforce wird für die schnellen Kurven im ersten Streckenteil benötigt. Die damit verbundenen kleinen Nachteile in Sachen Höchstgeschwindigkeit kann man in Kauf nehmen - wegen der relativ kurzen Geraden und Bremszonen besteht kaum ein Risiko, von einem schnelleren Gegner überholt zu werden. Da die Autos an keinem Punkt der Strecke wirklich hart heruntergebremst werden, verwenden die Teams hier mit die kleinsten Lufteinlässe zur Bremskühlung. Dies kommt wiederum der aerodynamischen Performance zugute.

Fahrverhalten:

Ein ruhiges Fahrverhalten ist auf dem unebenen Kurs von entscheidender Bedeutung, da jede Unruhe im Auto die aerodynamische Effizienz in den schnellen Kurven verschlechtert. Besonders in der buckligen Bremszone vor Kurve acht werden die Autos oft instabil. Zudem lassen die Piloten ihre Autos ausgangs der schnellen Kurven gerne bis auf die äußeren Kerbs driften, was die Strecke noch welliger erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit ist.

Aufhängung:

In Silverstone erhalten die Boliden eine so genannte nach vorne verlagerte Fahrwerksabstimmung. Was die Ingenieure damit meinen, ist, dass die Front deutlich steifer abgestimmt wird als das Heck. Die steifere Vorderachse erlaubt schnelles Umsetzen des Autos und direkte Richtungswechsel, sowohl in langsamen Ecken als auch in schnellen Kurven. Die weicher abgestimmte Hinterachse sorgt für guten Grip beim Beschleunigen - besonders ausgangs der Kurven neun, elf und 16 ist optimale Traktion gefragt.

Reifen:

Auf einer Strecke mit so vielen schnellen Kurven werden die Reifen immer hart rangenommen. Silverstone ist in dieser Hinsicht neben Spa-Francorchamps und Sepang der härteste Kurs der Saison. Bridgestone stellt den Teams aus der vierstufigen Reifenpalette daher die beiden härtesten Optionen des Jahres zur Verfügung: medium und hart.

Witterung:

Als ehemaliger Flugplatz ist das ebene Grand-Prix-Gelände von Silverstone naturgemäß stark dem Wind ausgesetzt - und der hat eine Reihe von Auswirkungen auf die Autos: Plötzliche Böen verändern die aerodynamische Balance des Autos und verursachen ein unvorhersehbares Handling, vor allem in den Highspeedkurven. Die Fahrer müssen ständig Windrichtung und -stärke beurteilen und ihre Linienwahl und Bremspunkte daran anpassen.

Motor:

Wegen der diesjährigen härteren Reifengeneration hat sich der Anteil an einer Runde, den die Fahrer voll auf dem Gas stehen, wieder verringert - von 71 Prozent in 2006 auf 68 Prozent 2007. Dennoch bleibt Silverstone einer der anspruchsvolleren Kurse für die Triebwerke, sowohl in puncto Spitzenleistung als auch Haltbarkeit. Damit die Piloten die schnellen Kurven gezielt mit Voll- oder Halbgas durchfahren können, müssen die V8-Motoren bei hohen Drehzahlen ein sensibles Ansprechverhalten zeigen und gut zu dosieren sein. Die Kühlung der Achtzylinder stellt kein Problem dar, wegen der häufigen Tests in Silverstone sind die Teams auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Strategie:

Der Benzinverbrauch liegt in Silverstone recht hoch - genau wie der Zeitverlust für eine schwere Spritladung. Damit bleibt relativ wenig Spielraum für abweichende Strategien. Sprit für zwei Runden mehr beispielsweise würde fast zwei Zehntelsekunden pro Runde kosten. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, dass die meisten Teams die 2007er-Standardlösung mit zwei Stopps wählen, von denen der erste noch vor Ablauf des ersten Renndrittels liegt. Der Grund für diese nach vorne verlagerte Strategie ist der Wunsch, die Piloten im Qualifying mit einem relativ leichten Auto in der Startaufstellung weiter nach vorn zu bringen. Da das Überholen auf dem Traditionskurs praktisch unmöglich ist, kommt dem Startplatz entscheidende Bedeutung zu.