• 10.06.2005 01:22

  • von Inga Stracke

Schumacher: "Sind nicht hoffnungslos verloren"

Michael Schumacher vor dem Kanada-Grand-Prix im ausführlichen Interview über Perspektiven, Chancen, Balbir Singh und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, wie hast du deinen Nordamerikaurlaub vor diesem Rennen verbracht?"
Michael Schumacher: "Wir waren ganz normal in einer schönen Westernstadt und haben mit den Kindern da eine schöne Zeit gehabt. Wir waren letztes Jahr schon dort. Dieses Jahr hatten wir das Glück, dass wir die Kinder mitnehmen konnten. Unsere Lehrer waren sehr nett, dass sie das zugelassen haben."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher am Donnerstag im Fahrerlager des 'Circuit Gilles Villeneuve'

Frage: "Kommst du nach den letzten Rückschlägen mit einem positiven Gefühl zu diesem Rennen, das du zuletzt dreimal hintereinander gewonnen hast?"
Schumacher: "Also ich muss ganz ehrlich gestehen, ich komme eigentlich zu fast jedem Rennen mit einem positiven Gefühl. Das wird zwar ab und an getrübt, aber okay. Wir werden es trotzdem wieder versuchen. Es gibt nicht unbedingt einen großen Grund, viel euphorischer zu sein als in den vergangenen Rennen, weil soviel hat sich bei uns auch nicht getan. Wir haben zwar hart gearbeitet und Verbesserungen erzielt, aber wie gut und groß die sind, das muss sich hier erst zeigen."#w1#

"Schumi" sieht kaum Parallelen zwischen Montréal und Imola

Frage: "Dein bisher bestes Saisonrennen war Imola. Die Strecke dort ist der hier in Montréal sehr ähnlich..."
Schumacher: "Dass das in der Hinsicht vergleichbar ist, würde ich bezweifeln, weil Imola zwar Schikanen hat - hier gibt es auch Schikanen -, aber vom Charakter her sind die beiden Strecken grundverschieden. Hier wird viel weniger Downforce gefahren. Ich würde das jetzt nicht unbedingt vergleichen. Wenn man sich an die Vergangenheit erinnert und Vergleiche anzustellen versucht, dann werden die nicht ganz so zutreffend sein, aber die Hoffung stirbt zuletzt und insofern hoffe ich natürlich."

Frage: "Balbir Singh, dein Physiobetreuer, wird nach dem Grand Prix in Istanbul die Formel 1 verlassen, hört man. Stimmt das?"
Schumacher: "Ja, das ist richtig. Ich meine, ich muss das akzeptieren. Er hat Familie, er hat zwei süsse Kinder - da möchte er sich drum kümmern. Mal gucken. Es ist schade, dass ein Kumpel wie Balbir in Zukunft nicht mehr dabei ist, aber auf der anderen Seite wird er mich sicherlich zwischendurch besuchen kommen, und die Atmosphäre von der anderen Seite, der Besucherseite, genießen können, wenn er Lust und Zeit dazu hat. Ist ein bisschen schade, aber wir sind jetzt seit 1996 - im Prinzip sogar seit Ende 1995 - zusammen. Das sind zehn Jahre, zehn lange Jahre. Da kann man schon verstehen, dass er sich jetzt mal eine neue Aufgabe aussuchen möchte."

Für Singh stehen schon zwei Nachfolger parat

Frage: "Wird er eine Lücke hinterlassen?"
Schumacher: "Vielleicht von der menschlichen Seite. Auf der anderen Seite bin ich zum Glück mit zwei super Leuten zusammen, die mich seit zwei bis drei Jahren betreuen - während der Tests und auch privat. Die werden den Balbir ersetzen, speziell der Michael. Wir sind auch auf einer Wellenlänge und kommen super zurecht, insofern wird sich von der Qualität und von der menschlichen Seite her nicht wirklich etwas ändern, denke ich. Aber es ist natürlich schon ein neues Kapitel, das man schreibt, weil Balbir war schon eine Persönlichkeit."

Frage: "Montreal ist ein gutes Pflaster für dich. Du hast hier schon siebenmal gewonnen..."
Schumacher: "Ja, auf jeden Fall. Ich bin zwar nicht derjenige, der nach den Statistiken schaut, weil die meisten davon nicht wirklich eine Aussagekraft haben, aber in der Situation, in der wir uns befinden, versucht man jeden Grashalm zu nehmen, um die Hoffnung nicht schwinden zu lassen."

Frage: "Ist die Atmosphäre hier am Sankt-Lorenz-Strom schöner als an anderen Rennplätzen?"
Schumacher: "Jein, um ehrlich zu sein. Hier im hinteren Teil ist es zwar heute etwas angenehmer, aber dann sitzen wir im Container und morgen im Auto - und dann ist es Business as usual für uns. Was nicht Business as usual ist, ist die Atmosphäre in der Stadt: Wie die Leute auf den Grand Prix eingehen, das ist schon etwas Besonderes."

"Die gesunde Mischung macht das Ganze interessant"

Frage: "Montréal ist auch ein Stadtkurs. Findest du, dass man mehr davon in den Kalender aufnehmen sollte?"
Schumacher: "Sie haben schon ihren Charakter, gar keine Frage, aber ich finde, die gesunde Mischung macht das Ganze interessant. Wir haben ausgebaute Strecken, wir haben improvisierte Strecken, insofern ist das eine gesunde Mischung, die wir hier haben, glaube ich."

Frage: "Hättest du an Kimi Räikkönens Stelle am Nürburgring den Reifen wechseln lassen?"
Schumacher: "Also es wäre ziemlich klar gewesen, wenn ich meinen Reifen hätte wechseln und trotzdem den Sieg hätte einfahren können. Dann hätte ich ihn gewechselt, keine Frage. Auf der anderen Seite ist das eine Ermessenssache, wo jeder für sich selbst entscheiden muss. Irgendein Reglement und einen anderen Grund dafür herzunehmen, ist ziemlich unsinnig, weil wenn jemand einen Fehler macht - und das muss man glaube ich schon so sagen, wenn jemand das Rad zu lange blockieren lässt -, dann ist das ist ein Fehler, und das kann auch bei einem kurzen Stint mit Boxenstopps, wie wir sie letztes Jahr hatten, passieren. Insofern ist das eine Ermessenssache und nicht wirklich eine Reglementssache."

"Es wäre ziemlich dumm, in der letzten Runde reinzufahren"

Frage: "Entscheidet in einer solchen Situation das Team oder der Fahrer?"
Schumacher: "Das kann ich nicht beurteilen, wie das bei anderen ist, aber letzten Endes hat man als Fahrer immer die Möglichkeit reinzufahren. Da kann einen keiner dran hindern. Ich meine, es wäre ziemlich dumm, in der letzten Runde reinzufahren, wenn man den Gegner zwei Sekunden hinter sich hat. Das ist eine überspitze Version des Zuschauens, aber er hatte sicher voher die Möglichkeit, vielleicht noch den Sieg inne zu haben. Es wäre eng geworden. Ich weiß es nicht, ich habe jetzt das Rennen nicht so genau gelesen, wie die Abstände zu den gewissen Boxenstoppzeitpunkten waren. Sie haben eine Entscheidung getroffen, die hat nicht funtioniert. Hätte es funtioniert, wären sie alle glücklich gewesen."

Frage: "Es könnte an diesem Wochenende regnen. Führt ihr bei Ferrari schon einen Regentanz auf?"
Schumacher: "Wir tanzen ganz heftig! Vielleicht können wir es noch schaffen. Fakt ist, dass uns Regen gut entgegenkommen würde."

Frage: "Glaubst du eigentlich noch daran, den Rückstand, den ihr momentan vom Speed her habt, noch aufholen zu können?"
Schumacher: "Ja, ganz klar. Also da bin ich mir sicher. Ich weiß zwar nicht, wie lange das dauern wird, aber dass wir das schaffen, da bin ich mir sicher."

Schumacher schiebt die Schuld nicht auf Bridgestone

Frage: "Glaubst du, dass die Tatsache, dass Michelin sieben Teams unter Vertrag hat und somit mehr testen kann als Bridgestone mit drei Teams, dieses Jahr gegen euch spricht?"
Schumacher: "Nein, das muss nicht unbedingt sein. Wenn wir Verbesserungen haben, ist die Reifensituation nebensächlich. Man kann ja auch sagen, dass wir im letzten Jahr mit diesem Problem auch gewonnen haben. Es liegt an uns, ein besseres Auto zu bauen. Ich glaube nicht, dass man nur auf ein Problem hinschauen soll, denn die Formel 1 wird nicht durch eine spezifische Situation gewonnen oder verloren. Das hat es noch nie gegeben, seitdem ich da bin. Es sind immer Detailarbeiten, es müssen Dinge ineinander greifen. Ich glaube, dass wir in unserem Bereich Möglichkeiten haben und das auch umsetzen werden, um uns zu steigern - und zwar nicht nur im Reifensektor."

Frage: "Nick Heidfeld ist momentan der bestklassierte Formel-1-Deutsche, du aber nach wie vor der beliebteste..."
Schumacher: "Es ist immer schön, beliebt zu sein, keine Frage, aber Fakt ist, dass die sportliche Seite sicherlich wesentlicher ist, und da versuchen wir anzugreifen. Ob das jetzt ein Deutscher ist oder nicht, kümmert mich dabei nicht. Ich bin zu international und sehe auch das Geschäft international, um mich da jetzt auf irgendeine Nationalität zu beschränken."

Schumacher freut sich über Erfolge von "Quick Nick"

Frage: "Freust du dich über die Leistungen von Nick Heidfeld?"
Schumacher: "Ja, super! Das ist ganz klasse. Wir kennen uns gut, verstehen uns gut. Ich finde das klasse, was er da abliefert."

Frage: "In der Schweiz gibt es Überlegungen, die Steuervorteile für Prominente wie dich zu streichen..."
Schumacher: "Keine Ahnung. Ich habe nichts Neues darüber gehört. Es gibt immer wieder Situationen, wo man die Sachen verändern möchte. Bei uns möchte man die Steuern runterbingen, in anderen Ländern rauf. Schauen wir mal."

Frage: "Ist die Stimmung bei euch im Team nach wie vor gut?"
Schumacher: "Ja, das ist definitiv so. Auch wenn Rubens einen kleinen Durchänger hatte vor kurzem, ist die Stimmung gut. Bei uns sind alle immer noch sehr motiviert, weil jeder an sich glaubt. Wir sind ja nicht hoffnungslos verloren. Wir haben ja Potenzial, wo wir schnell genug sind, wir sind nur in der falschen Ausgangssituation, um es umzusetzen. Insofern ist jeder im Glauben und im Wissen, dass wir es schaffen werden - und das lässt auch jeden motiviert weiterarbeiten."

Frage: "Was sagst du zu Danica Patrick, der neuen Heldin der amerikanischen Rennszene?"
Schumacher: "Wir würden es lieben, sie bei uns zu haben! Es hat schon mehrere Männer gegeben, die den Sprung nach Europa geschafft haben. Einen Versuch wäre es wert. Der einzige Rat, den ich ihr geben kann: Fahre schnell, baue keine Unfälle!"