• 18.03.2005 15:14

Sam Michael: "Dürfen nicht gleich abheben"

Das große PK-Interview mit dem Technischen Direktor von WilliamsF1 über die neuen Regeln, Probleme mit dem Windkanal und mehr

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Sam, was habt ihr hier und in Australien bisher über die neuen Regeln herausgefunden?"
Sam Michael: "Es gibt schon Unterschiede, aber die sind nicht so schwer zu handeln wie ursprünglich angenommen. Aerodynamisch haben wir viel Abtrieb verloren, aber alle arbeiten daran, ihn wieder zu finden, weshalb wir gerade bei den ersten drei oder vier Rennen ein paar Entwicklungsschritte bei allen Teams sehen werden. Von den Reifen her waren die beiden Hersteller in Melbourne eher konservativ, weil man sich im Vorfeld nicht sicher sein konnte, aber auch da werden sich die Verschleißraten einpendeln. Und was den Motor angeht, haben wir beim BMW WilliamsF1 Team geteilte Strategien, denn bei Nick haben wir bekanntlich nach Melbourne einen neuen Motor eingebaut. Also müssen wir zumindest dieses Rennen noch abwarten."#w1#

Titel-Bild zur News: Sam Michael

Michael von WilliamsF1 ist gegen den Einsatz dritter Autos im Freitagstraining

Frage: "Was unternehmt ihr bezüglich der extremen Bedingungen hier und ist Malaysia schon der ultimative Härtetest für das Material?"
Michael: "Was den Motor angeht, springt man von einem Extrem ins nächste, denn in Melbourne waren die Temperaturen sehr niedrig, aber hier sind sie sehr gering. Temperaturen von 36 bis 39 Grad erreichen wir nur hier oder manchmal in Ungarn, vielleicht dieses Jahr auch in der Türkei. Das wissen wir noch nicht. Daher verwenden wir Kühler und Kühllufteinlässe, die auf anderen Strecken nicht zum Einsatz kommen. Auch von den Reifen her ist diese Strecke wegen den schnellen Kurven und der Beschaffenheit des Asphalts ganz anders als Melbourne."

Frage: "Euer Abschneiden in Melbourne war besser als von vielen erwartet. Hat dich das überrascht?"
Michael: "Naja, Platz fünf und ein Ausfall sind vom Resultat her nicht das, was wir uns erhofft hatten, aber es stimmt, dass wir zwischen Februar und Melbourne einen großen Schritt mit dem Williams BMW FW27 gemacht haben. Wenn man uns vor dem Grand Prix vier Punkte angeboten hätte, hätten wir sie wahrscheinlich genommen. Nach dem Rennen waren wir aber ein bisschen enttäuscht. Man muss aber vorsichtig sein, was Melbourne angeht, denn durch das Qualifying waren einige der Top-Autos nicht in den Top 15. Wenn sie weiter vorne gestanden wären, hätten wir sie wohl kaum überholen können. Es ist daher schön, ein paar Punkte in der Tasche zu haben, aber wir dürfen deswegen nicht gleich abheben."

90 Prozent weniger Downforce laut Michael "zu viel"

Frage: "Der Präsident der FIA hat eine Beschneidung des Abtriebs um 90 Prozent und eine Rückkehr zu größeren Hinterreifen vorgeschlagen. Was hältst du davon?"
Michael: "Es ist gut, dass man sich Gedanken macht, wie man die Zukunft der Formel 1 gestalten kann, vor allem in Bezug auf die Sicherheit, aber man muss sich jeden Schritt genau überlegen. Als ich zum ersten Mal von den 90 Prozent gehört habe, war ich überrascht, denn das stellt uns auf eine Stufe mit Tourenwagen. Ich bin da vielleicht ein wenig eingefleischt, denn ich sehe die Herausforderung der Formel 1 in der Aerodynamik. Seit ich in die Formel 1 gekommen bin, ist sie ein großer Teil davon, und die Bedeutung wächst und wächst immer weiter. Die drei wichtigsten Variablen sind die Reifen, der Motor und die Aerodynamik. Jetzt ist die Frage, ob man solch einen schwerwiegenden Einschnitt tatsächlich auf einmal durchziehen soll. Mein erster Eindruck ist jedenfalls, dass 90 Prozent zu viel sind."

"Sind prinzipiell gegen dritte Autos am Freitag"

Frage: "Ihr dürft am Freitag kein drittes Auto einsetzen. Wie stehst du zu dieser Regel?"
Michael: "Es ist nur logisch, dass jene Teams, die kein drittes Auto einsetzen dürfen, gegen diese Regel sind, die anderen aber dafür. Gerade dieses Jahr ist ein drittes Auto wegen der neuen Regeln ein großer Vorteil. Aber warum ist diese Regel überhaupt eingeführt worden? Die zwei kleinen Teams, Jordan und Minardi, wollten damals Bezahlfahrer einsetzen und ihnen an den Freitagen ein Auto geben. Das ist natürlich längst Schnee von gestern, aber wenn die Regel hilft, um das Feld ein wenig zu nivellieren, dann kann man darüber reden. Prinzipiell sind wir aber gegen die dritten Autos am Freitag."

Michael kann Ferraris Teststrategie zumindest verstehen

Frage: "Ihr gehört zu den neun Teams, die sich an die freiwillige Testbeschränkung halten. Wie groß ist der Vorteil, den Ferrari daraus schöpft, dass sie diese Bestimmungen missachten?"
Michael: "Im Moment machen ungefähr 50 Prozent unserer Tests Reifentests aus. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich an Ferraris Stelle vielleicht auch in dieselbe Kerbe schlagen würde. Durch die freiwillige Beschränkung haben wir uns aber genauer mit der Effizienz der Tests beschäftigt, was Renault 2003 schon gemacht hat, als sie sich für das 'Private Testing' am Freitagmorgen entschieden haben. Vergleichen mit letztem Jahr verlieren wir an reinen Daten gar nicht allzu viel. Natürlich ist es diesbezüglich hilfreich, dass sieben Teams bei Michelin sind, denn dadurch hat Michelin einen großen Pool an Daten."

Frage: "Patrick Head hat vor einigen Wochen davon gesprochen, dass es Probleme mit der Kalibrierung des neuen Windkanals gegeben hat. Sind diese nun bereinigt?"
Michael: "Das Problem, dass sich Windkanal und Rennstrecke nicht immer decken, ist nun einmal immer in einer gewissen Form vorhanden. Die Welt ist nicht perfekt. Wir arbeiten derzeit mit zwei Windkanälen. Das Problem, das Patrick angesprochen hat, ist, dass die Daten der beiden Kanäle nicht identisch waren. Das kann aber immer wieder so sein. Auf der Strecke haben wir dann wieder andere Daten bekommen. Man muss alle Kalibrierungsfaktoren und alle Zahlen genau in Betracht ziehen und einfließen lassen, um korrekte Werte zu bekommen. Schon seit ich in der Formel 1 bin, besteht dieses Problem, dass die Werte von Strecke und Windkanal nicht identisch sind."

Probleme mit dem Windkanal hat WilliamsF1 im Griff

Frage: "Habt ihr die Sache jetzt im Griff?"
Michael: "Ja."

Frage: "Mit Red Bull Racing gibt es ein neues Team in der Formel 1. Wie siehst du sie?"
Michael: "In Melbourne haben sie gezeigt, dass sie im Winter mit dem Auto einen ziemlich guten Job gemacht haben. Sie haben sich relativ zu anderen Teams verbessert und folglich die Regeln recht gut in den Griff bekommen. Man muss sich auch anschauen, was sie jetzt investieren. Sie schalten in Zeitungen Anzeigen, weil sie zehn Aerodynamiker suchen. Sie wissen ganz genau, wie sie ihr Geld ausgeben müssen, und das ist ein großer Unterschied zu früher. Man muss aber ihre Entwicklungsrate während der Saison abwarten."

Frage: "Inwiefern hat sich eure Arbeit am Sonntag durch das zusätzliche Qualifying verändert?"
Michael: "Es ist kein großes Problem. Der einzige Unterschied ist, dass man jetzt am Samstagabend länger beisammen sitzt, um die Strategie festzulegen, während die Strategie bisher immer schon nach dem ersten Qualifying festgelegt worden ist."