Saisonanalyse Teil 29: BAR-Honda

Lesen Sie im 29. Teil unserer täglichen Saisonanalyse-Serie den Rückblick auf das Jahr des BAR-Honda-Teams

(Motorsport-Total.com) - Neben Ferrari war in der zurückliegenden Saison BAR-Honda die größte Enttäuschung. Nach Platz zwei in der Konstrukteurs-WM 2004 fiel die britisch-japanische Truppe mit Sitz im englischen Brackley innerhalb von zwölf Monaten auf Position sechs zurück - mit einem Absturz von 119 auf 38 Punkte, was einem Verlust von umgerechnet 68 Prozent entspricht.

Titel-Bild zur News: Jenson Button vor Takuma Sato

Button fuhr in der zweiten Saisonhälfte konstant wie ein Uhrwerk in die Punkte

Doch während Ex-Formel-1-Pilot Eddie Irvine prompt den Verdacht äußerte, dass das Team 2004 einen einmaligen Glückstreffer gelandet haben könnte, etablierte sich BAR-Honda zumindest vom operativen Auftreten her als ernstzunehmende Kraft im Grand-Prix-Sport. Bestätigt wurde dieser Eindruck durch das intensivierte Engagement von Honda, welches nicht nur zu einem der besten Motoren im Feld führte, sondern auch zur Totalübernahme des Teams.#w1#

Ex-Indy-500-Sieger Gil de Ferran heuerte als Sportdirektor an

Im Winter 2004/05 zog sich David Richards auf ausdrücklichen Wunsch von Honda hin aus dem Management von BAR-Honda zurück, doch der Brite ließ immerhin seinen Vertrauten Nick Fry zurück, der zum Teamchef befördert wurde. Fry und das Technikerteam um Ex-Williams-Designer Geoff Willis übernahmen ein finanziell und sportlich intaktes Unternehmen, ergänzten das Toppersonal lediglich mit US-Rennlegende Gil de Ferran als Sportdirektor.

Im Gegensatz zum Modell 006 der Erfolgssaison 2004 war der 007 schon bei den Wintertests viel zu langsam. Die BAR-Honda-Ingenieure legten sich nach den aerodynamischen Regeländerungen die Latte zu wenig hoch, waren beim ersten Rennen in Melbourne noch nicht auf demselben Abtriebsniveau wie die Konkurrenz - und wer heutzutage in der Formel 1 zu Beginn erheblich im Rückstand ist, kann ein solches Manko nur noch schwer aufholen.

Jenson Button und Takuma Sato landeten im verregneten Qualifying in Melbourne auf den Startplätzen acht und 20, spielten aber am Sonntag keine entscheidende Rolle und wurden so vom Team bereits vor dem Überqueren der Ziellinie an die Box geholt, um als ausgefallen zu gelten - ein Trick, der es dem Team erlaubte, beim nächsten Grand Prix in Malaysia in beide Fahrzeuge neue V10-Motoren einbauen zu dürfen.

Totalblamage trotz neu eingebauter Motoren in Malaysia

"Ich bin nach wie vor extrem optimistisch, dass wir unser Ziel, 2005 ein Rennen zu gewinnen, erreichen werden." Nick Fry

Dieser Schuss ging freilich kräftig in den Ofen, denn der Ersatzmann für den kranken Sato, Testfahrer Anthony Davidson, musste sein Auto auf dem 'Sepang International Circuit' schon nach zwei Runden mit einem qualmenden Triebwerk abstellen. Praktisch zeitgleich ereilte Button dasselbe Schicksal - und die Totalblamage für die Truppe war perfekt. In Bahrain - wieder mit Sato am Steuer des zweiten BAR-Honda - stoppten dann Kupplungs- beziehungsweise Bremsdefekte die weiß-roten Boliden.

Nach dem traumatischen Überseetrip sah man beim Europaauftakt in Imola dank eines im Eiltempo verbesserten Gesamtpakets erstmals Licht am Ende des Tunnels: Button qualifizierte sich für den dritten Platz und kam auf diesem auch ins Ziel, während Sato mit Rang sechs auf dem Grid sein Potenzial unter Beweis stellen konnte. Aufgrund des Tankskandals folgte jedoch nachträglich eine Disqualifikation - und BAR-Honda blieb auch nach vier Rennen ohne einen einzigen Punkt.

5,4 Kilogramm weniger bringen etwa 0,15 Sekunden pro Runde

Der Hintergrund der Affäre von Imola: Beim Wiegen nach der Zieldurchfahrt wurde ein Mechaniker des Teams gebeten, alle Flüssigkeiten aus dem Auto abzupumpen. Anschließend hätten die beiden 007-Boliden mit Fahrer noch mindestens 600 Kilogramm wiegen müssen. Dies war jedoch nur mit einem vollen Auffangtank - quasi einem versteckten Tank im Tank - der Fall, nach dessen Entleerung plötzlich 5,4 Kilogramm fehlten.

Honda-Motor

In der BAR-Honda-Garage ging in Imola nicht alles mit rechten Dingen zu... Zoom

Obwohl viele Insider noch heute der Meinung sind, dass BAR-Honda nicht als einziges Team mit diesem Trick gearbeitet hat, war die Mannschaft aus Brackley die einzige, die erwischt wurde - und so war die FIA-Sperre für die beiden Grands Prix von Spanien und Monaco ein gerechtes Urteil. Ob der Tankbetrug nun absichtlich passiert ist oder nicht, sei dahingestellt; Fakt ist aber, dass Button und Sato in Imola einen Vorsprung von etwa zehn Sekunden gerechnet auf die Renndistanz hatten.

Die Zwangspause nutzte die Truppe, um den maroden 007 weiterzuentwickeln und den Anschluss zu den Topteams zu finden, doch bei den ersten beiden Rennen nach dem Comeback gab es wieder keine Zähler. Nach dem Michelin-Skandal von Indianapolis folgte der absolute Tiefpunkt der Saison, denn durch die geschenkten Punkte für Jordan-Toyota und Minardi-Cosworth bekam BAR-Honda vorübergehend die rote Laterne in der Konstrukteurs-WM verpasst.

Pole Position in Montréal als erstes Anzeichen für eine Wende

Dass zu jenem Zeitpunkt die Pace aber schon wieder in Ordnung war, bestätigte Button mit seiner - wenn auch etwas untergewichtigen - Pole Position in Montréal, und als Vierter in Magny-Cours verbuchte er endlich auch die ersten fünf Zähler auf sein Konto. Dies war der Auftakt einer beeindruckenden Serie, denn der 25-Jährige schaffte es in der Folge, bei allen verbleibenden Grands Prix in die Punkteränge zu fahren.

Button qualifizierte sich 2005 insgesamt neunmal für die ersten beiden Startreihen, schaffte in Hockenheim und Spa-Francorchamps als Dritter den Sprung auf das Podium. In der WM-Endabrechnung bedeutete dies für ihn den neunten Gesamtrang, lediglich acht Punkte hinter dem Sechstplatzierten. An seiner Seite sah Sato mit einem einzigen Zähler natürlich armselig aus, was der Kamikaze-Japaner mit dem Rauswurf nach Saisonende quittiert bekam.

"Buttongate" hielt die Medien auch 2005 wieder in Atem

"Ich finde diese Wechselaffäre lächerlich. Button muss endlich erwachsen werden!" Marc Surer

Auf Fahrerseite bleibt BAR-Honda in erster Linie die Neuauflage der Wechselaffäre "Buttongate" - Button stand für 2006 bei Frank Williams unter Vertrag, wollte aber unbedingt bei Honda bleiben und musste sich daher aus seinem Deal auskaufen - in Erinnerung, aber auch die zum Teil überflüssigen Aktionen von Sato. Letzterer handelte sich in Spa-Francorchamps den Ärger von Michael Schumacher ein und schoss vor lauter Ehrgeiz bei seinem Heim-Grand-Prix in Japan Jarno Trulli ab.

Als die schlauen Köpfe des Teams in Brackley nach dem Finale in Shanghai die Saison 2005 auswerteten, kam man dem fundamentalen Problem des 007 endlich auf die Schliche: Durch die fehlerhafte Aerodynamik wurden die Reifen zwar auf eine schnelle Runde im Qualifying rasch auf Temperatur gebracht, doch für die komplette Renndistanz brachte dies Schwierigkeiten hinsichtlich der Konstanz mit sich - angesichts des veränderten Reifenreglements Gift für das schwarze Gold.

Anfang 2006 wird der neue 1:1-Windkanal in Betrieb genommen

Nächstes Jahr dürfte sich diese Thematik aufgrund der Rückkehr zu Reifenwechseln von selbst erledigen, zumal obendrein auch der neue Windkanal in Betrieb genommen werden kann. Honda - nach der Übernahme wird man sich vom Namenszusatz "BAR" wohl trennen - setzt damit erstmals auf drei Windkanäle im Parallelbetrieb und dürfte so diversen aerodynamischen Schwierigkeiten schneller auf die Schliche kommen als bisher.

Dabei gibt es auch die eine oder andere Veränderung in Brackley: Mehr japanische Honda-Ingenieure als bisher werden auch für das Chassis abgestellt, die Designabteilung muss den Abgang von Jörg Zander zu Williams verkraften - und mit Rubens Barrichello kommt von Ferrari anstelle von Sato ein absoluter Starpilot an Bord, von dessen Erfahrung man sich wertvolle Erkenntnisse verspricht. Außerdem darf das Team 2006 an den Freitagen wieder ein drittes Auto einsetzen.

Analyse der 'F1Total.com'-Experten:

Marc Surer: "Was Imola angeht: Vielleicht haben andere auch geschummelt, aber sie hat es erwischt. Sie haben versucht, das Reglement voll auszuschöpfen. Unter der Sache haben sie auch moralisch gelitten. Der Motor war zu Saisonbeginn wohl nicht optimal - und wenn man dann mal im Hintertreffen ist, ist es wahnsinnig schwierig, alles wieder aufzuholen. So gesehen ist es ja noch glimpflich ausgegangen."

Hans-Joachim Stuck: "Wer sich beim Bescheißen erwischen lässt, ist doof! Die Tanknummer von Imola wird zwar stark verdrängt, bleibt für mich aber als großer schwarzer Fleck über dieser Saison hängen. Ich hoffe, dass so etwas nie wieder vorkommt."

Statistiken zur Saison des BAR-Honda-Teams:

Teamwertung: 6. mit 38 WM-Punkten (Gesamtübersicht)
Anzahl der gefahrenen Rennen: 16 (Gesamtübersicht)
Anzahl der Siege: 0 (Gesamtübersicht)
Anzahl der Pole Positions: 1 (Gesamtübersicht)
Durchschnittlicher Startplatz: 7,8 (Gesamtübersicht)
Anzahl der schnellsten Rennrunden: 0 (Gesamtübersicht)
Bestes Ergebnis Qualifying: 1.
Bestes Ergebnis Rennen: 3.
Gefahrene Führungsrunden: 11 (Gesamtübersicht)
Ausfallrate: 21,6 Prozent (Gesamtübersicht)
Testtage: 55 (Gesamtübersicht)
Testkilometer: 52.515 (Gesamtübersicht)
Test-Tagesbestzeiten: 14 (Gesamtübersicht)