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Rennvorschau Abu Dhabi: Welche Fallen auf Hamilton lauern

Lewis Hamilton reicht bei "Abu Double" ein zweiter Platz hinter Nico Rosberg zum Titel, doch genau das könnte für den WM-Leader zur Herkulesaufgabe werden

(Motorsport-Total.com) - So laut waren die Unkenrufe vor der aktuellen Saison: Die Formel 1 werde 2014 wegen der dominanten Mercedes-Boliden eine langweilige Angelegenheit werden. Die doppelten Punkte beim letzten Saisonrennen seien nicht nur unfair, sondern würden auch nichts zur Spannung beitragen. Nun hat die Königsklasse des Motorsports aber doch ihr Traumfinale um den Titel zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Und die doppelten Punkte sorgen für Brisanz: Gewinnt Rosberg wie in Sao Paulo, dann muss Hamilton unbedingt Zweiter werden. Bei normaler Punktevergabe hätte ihm schon ein sechster Rang gereicht (alle Szenarien in der Übersicht).

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Nico Rosberg braucht Schützenhilfe: Wer kann in das Mercedes-Duell eingreifen? Zoom

Obwohl die Regelung den Fans möglicherweise ein Herzschlagfinale beschert, sind diese übrigens weiterhin nicht davon begeistert: In der 'Motorsport-Total.com'-Umfrage haben sich 93,20 Prozent dagegen ausgesprochen, weil ein einzelnes Rennen ihrer Meinung nach nicht mehr wert sein sollte als die anderen. Die verbleibenden 6,8 Prozent sind damit einverstanden, weil es für alle gleich sei.

Auch die Piloten stehen "Abu Double" reserviert gegenüber. Rosberg meinte zwar: "Ich liebe diese Regel." Das liege aber ausschließlich daran, dass er davon im Duell gegen seinen Stallrivalen profitiert. Fakt ist jedenfalls: Wenn Rosberg das Plansoll erfüllt und auf dem Yas Marina Circuit gewinnt, dann darf sich Hamilton keinen Schnitzer erlauben.

Hamiltons Nagelprobe

Der Brite hat zwar durch sein Punktepolster die bessere Ausgangssituation, doch die Vergangenheit zeigt: Oft ist es schwieriger, wenn man mindestens eine gewisse Platzierung erreichen muss, als wenn man mit freiem Kopf Vollgas geben kann, schließlich ist der Geist eines Rennfahrers darauf gepolt, stets das Maximum aus dem Auto herauszuholen.

Das weiß keiner besser als Hamilton selbst, der 2007 den Titel im letzten Saisonrennen an Kimi Räikkönen verlor und 2008 erst wenige Meter vor dem Ziel durch ein Überholmanöver an Timo Glock den für den WM-Triumph nötigen fünften Platz sicherstellte. Damals zeigte Hamilton Nerven. Das Finale in Abu Dhabi wird zeigen, ob der inzwischen 29-Jährige, der in den vergangenen Jahren viele Hochs und Tiefs durchmachte, seit damals gereift ist.

Lewis Hamilton, Sebastian Vettel

Zittertitel: 2008 spielten die Nerven Lewis Hamilton beinahe einen Streich Zoom

Für die meisten Experten ist klar: Wenn Rosberg wirklich Champion wird, dann, weil Hamilton sich die Butter vom Brot nehmen hat lassen. Oder weil unglückliche Umstände oder gar ein technischer Defekt für den Mercedes-Superstar zum Spielverderber wurden. Genau davor hat man bei Mercedes besonders große Angst, denn der diesjährige Bolide hat sich bislang keineswegs als kugelsicher erwiesen.

Die Angst vor dem Mercedes-Defekt

"Wir schonen schon seit Wochen das Material, fahren natürlich in den Freien Trainings nicht das volle Programm und sind sehr konzentriert beim Austausch von Kleinteilen", erklärt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff gegenüber der österreichischen 'SportWoche', wie man ein mögliches Drama verhindern will. Das sei man auch den Fans schuldig. Bei beiden Mercedes-Boliden steht nun der vierte Grand Prix für die jeweils fünfte Antriebseinheit der Saison auf dem Programm. Die Triebwerke sind also keineswegs taufrisch.

Einer, der von technischen Dramen beim Titel-Showdown ein Lied singen kann, ist Legende Nigel Mansell. Beim Williams des Briten explodierte 1986 ein Hinterreifen, weshalb ihm die WM durch die Finger glitt und er zum tragischen Helden wurde. "Ich würde es bei beiden hassen, wenn sie durch ein technisches Problem die Weltmeisterschaft verlieren", wünscht sich der "Löwe" gegenüber der 'BBC', dass Hamilton und Rosberg ein ähnliches Schicksal erspart bleibt. Und gibt Tipps: "Man muss sich aus allem heraushalten, auch beim Überrunden. Es geht so schnell, und man hat einen Reifenschaden. Beide werden voll darauf konzentriert sein, das Auto förmlich um den Kurs zu tragen."

Lewis Hamilton

Das Horrorszenario: Hamilton hatte diese Saison schon viele technische Defekte Zoom

Eine Rolle wird auch spielen, wer besser mit dem 5,554 Kilometer langen Kurs auf der künstlich aufgeschütteten Yas-Insel zurechtkommt. Auf den ersten Blick spricht die Statistik für Hamilton, denn der WM-Leader hat dort 2011 triumphiert, zudem schied er 2009 bei der Premiere in Führung liegend mit einem technischen Defekt aus. Rosberg hat währenddessen einen dritten Platz als Highlight zu Buche stehen. Dieses Ergebnis fuhr der Wiesbadener im Vorjahr ein, als er seinen Teamkollegen allerdings sowohl im Qualifying als auch im Rennen im Griff hatte: Hamilton steckte lange im Verkehr und kam über Platz sieben nicht hinaus.

Kein Überhol-Kurs: Startposition und Rennglück wichtig

"Abu Dhabi liegt mir", stellt Rosberg klar. "In diesem Jahr ist es aber egal, auf welcher Strecke ich fahre. Mit diesem Auto fühle ich mich auf jeder Strecke wohl. Ich habe das Gefühl, dass ich auf jeder Rennstrecke gewinnen kann", strahlt der Herausforderer große Zuversicht aus. Und genau darum wird es vor allem in Abu Dhabi gehen, denn das 55 Runden dauernde Rennen, das bei Tageslicht gestartet wird und bei Nacht endet, kann sich zu einer zermürbenden Geduldsprobe entwickeln.

Das liegt auch am Streckenlayout: Die 21 Kurven umfassende Piste aus der Feder von Hermann Tilke gilt als nicht gerade überholfreundlich, auch wenn dies durch die zwei DRS-Zonen seit 2011 einfacher geworden ist. Dementsprechend wichtig werden Qualifying und Start sein, was Rosberg in die Hände spielen könnte. Wenn man diesbezüglich versagt, könnte man sich wie Fernando Alonso im Jahr 2010 fühlen. Der Ferrari-Star steckte wegen einer ungünstigen Strategie beinahe das gesamte Rennen hinter dem damaligen Renault-Piloten Witali Petrow fest und musste zusehen, wie ihm Sebastian Vettel den Titel wegschnappte.

Witali Petrow, Fernando Alonso

Frag nach bei Alonso: Der Yas Marina Circuit lädt nicht gerade zum Überholen ein Zoom

"Entscheidend ist jetzt, wer von den WM-Favoriten mental ausgeglichener bleibt und die potenziellen Schwächen des Gegners nutzen kann", glaubt Mika Häkkinen, der sich selbst in nervenaufreibenden Titelkrimis als druckresistent erwiesen hat, in seinem Hermes-Blog. Die Tendenz der zweiten Saisonhälfte: Ab dem Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps, als es zur vieldiskutierten Stallkollision kam, hatte Hamilton die Oberhand. Zuletzt in Brasilien schlug Rosberg mit seinem ersten Sieg seit dem Sommer zurück.

Rosberg hofft auf Williams-Hilfe

Für welchen der beiden Titelkandidaten spricht also derzeit das Momentum? "Lewis ist besonders fokussiert, wenn er geladen ist und er es jemandem beweisen will", analysiert Mercedes-Motorsportchef Wolff gegenüber der 'SportWoche', dass Hamilton wie einst Red-Bull-Kämpfer Mark Webber Reibung benötigt. "Im Moment verstehen sie sich wieder gut, und interessanterweise war nun Rosberg an den vergangenen beiden Wochenenden eigentlich wieder der Schnellere." Derzeit scheint es also leichte Vorteile für Rosberg zu geben.

"Lewis ist besonders fokussiert, wenn er geladen ist und er es jemandem beweisen will." Toto Wolff

Der benötigt aber unbedingt Schützenhilfe: Wenn er gewinnt, muss sich noch ein anderer Pilot vor Hamilton schieben und sich dort breit machen. Doch wer hat in Abu Dhabi das Zeug, das Silberpfeil-Tandem zu sprengen? Rosberg hofft auf das Überraschungsteam der Saison: Williams.

"Bei Abu Dhabi handelt es sich um ein Nachtrennen, der Reifenabbau wird also nicht so schlimm sein, und die niedrigeren Temperaturen könnten Williams helfen", spekuliert er. Und wenn sich entweder Valtteri Bottas oder Felipe Massa einmal vor Hamilton festgesetzt haben, "dann wäre es natürlich schwierig, den Williams zu überholen, weil er so schnell auf der Geraden ist."

Sorgen weichere Reifen für drei Stopps?

Apropos Reifenabbau: Pirelli bringt die Mischungen Supersoft und Soft nach Abu Dhabi. Sie sind also um eine Stufe weicher als im Vorjahr. Eine gewagte Entscheidung, denn im Vorjahr bevorzugten die Teams auf dem sehr glatten Asphalt die Medium-Mischung - der Soft-Reifen landete bereits nach rund einem Dutzend Runden in der Tonne. In den vergangenen Jahren waren eine Ein- und eine Zweistopp-Strategie die bevorzugten Varianten der Teams. Diese Saison könnte das Pendel aber durchaus zu drei Stopps ausschlagen, was dem Rennen zusätzliche Würze verleihen könnte.

Da es in Abu Dhabi doppelte Punkte gibt, ist nicht auszuschließen, dass manche Teams zu unüblichen Strategien greifen und volles Risiko gehen. Wenn dieser Schachzug glückt, könnte es passieren, dass Piloten plötzlich in unüblichen Positionen auftauchen - ein weiterer Risikofaktor für Hamilton. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Safety-Car auf die Strecke kommt und Strategien über den Haufen wirft, nicht übermäßig hoch - sie liegt bei 40 Prozent. In fünf Jahren gab es bislang drei Safety-Car-Unterbrechungen.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Abu Dhabi

Red Bull: Keine Chance gegen Mercedes

Kann auch Red Bull - in der Vergangenheit auf dem Yas Marina Circuit immer besonders gut unterwegs und immerhin dreifacher Saisonsieger - ganz vorne mitmischen? Nicht, wenn es nach Sebastian Vettel geht. "Über die Plätze eins und zwei reden wir nicht", sieht er sein Team, für das er in Abu Dhabi zum vorerst letzten Mal an den Start geht, nicht als Gefahr für Mercedes. Stattdessen hofft Red Bull, Williams Konkurrenz machen zu können.

In der Konstrukteurs-WM hält sich die Spannung trotz der doppelten Punkte in Abu Dhabi etwas in Grenzen. Nur die Duelle zwischen Williams und Ferrari um Platz drei (19 Punkte Unterschied), McLaren und Force India um Platz fünf (34 Punkte Unterschied) sowie der Kampf am Ende des Feldes sind noch offen.

Dort wird es ein Comeback geben: Caterham ist nach zwei ausgelassenen Rennen in Abu Dhabi wieder am Start und hofft darauf, sich in der Konstrukteurs-WM im letzten Moment vom letzten Platz abzusetzen. Das insolvente Marussia-Team wird währenddessen erneut nicht antreten.