Räikkönen: "Hatte schon viel schlechtere erste Tage"

Von wegen eingerostet: Kimi Räikkönen dominierte den Testauftakt in Jerez und sorgt bei seinen Lotus-Team bereits jetzt für Euphorie

(Motorsport-Total.com) - Der "Iceman" ist wieder da! Daran besteht seit dem Testauftakt in Jerez kein Zweifel mehr. Der Finne knallte bei der Premiere des Lotus-Renault E20 mit 1:19,670 Minuten auf Anhieb die Bestzeit hin - Force-India-Pilot Paul di Resta musste sich als Zweiter um rund eine Zehntelsekunde geschlagen geben.

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen überraschte beim Auftakt in Jerez mit der Bestzeit

Zeiten sind zwar am ersten Testtag mit den neuen Autos Nebensache, doch bemerkenswert ist, dass Räikkönen schon jetzt um fast zwei Zehntelsekunden schneller als Rubens Barrichellos Test-Bestmarke in Jerez aus dem Vorjahr ist. Damals hatten sich die Piloten auf ihre neuen Boliden in Valencia eingeschossen, verfügten also beim zweiten Testblock in Jerez bereits über mehr Erfahrung als dieses Jahr.

Räikkönen absolvierte am Anfang und am Ende des Testtages Dauerläufe über elf beziehungsweise zwölf Runden. Die Bestzeit gelang ihm am Vormittag in seiner 28. von 75 Runden im zweiten Umlauf eines Sieben-Runden-Stints. Es war seine einzige Runde, in der die Stoppuhr vor 1:20 Minuten stehen blieb.

Auf Anhieb auf Tempo

Bei Lotus war rasch eine gewisse Euphorie spürbar: Vor allem Räikkönens Fähigkeit, sofort auf Touren zu kommen, hinterließ bleibenden Eindruck. Seine erste schnelle Runde des Tages absolvierte der Finne in 1:20,541 Minuten - das hätte im Gesamtergebnis immerhin für den vierten Rang gereicht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Räikkönen, der bereits am Vortag einen Funktionstest absolvierte, ist ganz der Alte.

Das bewies er auch bei den Interviews am Abend: In gewohnter Manier murmelte der Lotus-Pilot in sich hinein, gab sich gewohnt emotionslos. Ob er und das Team überrascht waren, die Vorjahres-Bestzeit auf Anhieb unterboten zu haben? "Ich würde nicht sagen, dass das Team sehr überrascht war", verneint er. "Ich weiß nicht, wie die Reifen im Vorjahr waren und was die Teams getan haben. Es ändert auf jeden Fall nichts für mich. Wir machen unsere Sachen und versuchen, uns zu verbessern und schneller zu werden."

"Kimis Feedback über das Auto war sehr positiv - er ist mit der Balance, mit dem Bremsverhalten und mit anderen Dingen zufrieden." James Allison

Fix ist aber: "Ich hatte schon viel schlechtere erste Tage in einem neuen Auto und auch schon öfter ein schlechteres Gefühl. Ich war also recht glücklich." Das unterstreicht auch Technikchef James Allison: "Kimis Feedback über das Auto war sehr positiv - er ist mit der Balance, mit dem Bremsverhalten und mit anderen Dingen zufrieden. Nur die Lenkung ist für seinen Geschmack etwas schwergängig, aber wir bereiten für den Test in Barcelona bereits eine neue Lenkung vor."

Gute Zuverlässigkeit trotz kleiner Probleme

In die Platzierung will Räikkönen aber nicht zu viel hineininterpretieren: "Der erste Platz bedeutet nichts - er würde einen Unterschied machen, wenn das ein Renn-Wochenende wäre. Aber ich fühle mich ziemlich wohl im Auto. Wir haben das heutige Programm fast absolviert."

Das lag daran, dass der neue E20 noch an kleinen Kinder-Krankheiten litt, die aber bei einem neuen Auto völlig normal sind. Seinen ersten Run musste Räikkönen abbrechen, wie er erklärt: "Wir hatten in den ersten Runden ein kleines Problem." Zudem musste man am Nachmittag die KERS-Batterie austauschen, wodurch man aber nicht viel Zeit verlor. Chefingenieur Allan Permane bestätigt, dass man mit der Zuverlässigkeit zufrieden ist: "Abgesehen vom KERS-Problem lief es ziemlich rund. Es ist immer schön, in der Zeitentabelle an der Spitze zu sein, aber die Zuverlässigkeit war heute das Ermutigendste."

"Wir haben schon gestern einige Dinge gemacht, die man normalerweise am ersten Tag macht." Kimi Räikkönen

Das Lotus-Team hatte den Vorteil, am Morgen nicht ganz bei Null zu starten, denn bereits beim Rollout am Montag konnte man einige Probleme mit dem Auto aussortieren, wie Räikkönen bestätigt: "Wir haben schon gestern einige Dinge gemacht, die man normalerweise am ersten Tag macht. Es war eine Hilfe, diese Dinge loszuwerden."

Räikkönen kommt mit Pirelli-Reifen klar

Gestern musste man aber noch mit den alten Pirelli-Reifen Vorlieb nehmen. "Dadurch haben wir heute zuverlässigere Daten erhalten und wir haben mehr gelernt", erklärt Räikkönen. "Die gestrigen Reifen spielten keine so große Rolle, denn sie sind sowieso nicht die richtigen." Ein entscheidender Faktor beim Comeback des 32-Jährigen, denn Michael Schumacher benötigte bei seiner Rückkehr fast zwei Jahre, um mit den Gummis klarzukommen.

Räikkönen sieht die Situation nach seinen ersten Gehversuchen mit den neuen Pirelli-Reifen hingegen gelassen. "Die Reifen sind ziemlich in Ordnung", urteilt er. "Jeden Tag ist aber etwas anders, die Bedingungen ändern sich, das Verhalten der Reifen ändert sich, der Kurs könnte sich auch stark ändern. Es war aber auf jeden Fall besser als mit den Reifen, die wir gestern oder vor zwei Wochen in Valencia verwendet haben."


Fotos: Lotus, Testfahrten in Jerez


Doch auch ihm fällt auf, dass die Pirelli-Reifen schneller in die Knie gehen als die Bridgestone-Pneus, die er 2009 bei Ferrari verwendete: "Wenn die Reifen neu sind, dann sind sie sehr gut, aber natürlich bauen sie schneller ab als in der Vergangenheit", Er sieht darin aber kein Problem: "Das ist für alle gleich und bei einem Dauerlauf versucht man einfach, sie so lange wie möglich am Leben zu halten und das Beste aus ihnen herauszuholen."

Interessant ist, dass Chefingenieur Permane kaum Unterschiede zwischen den Pirelli-Reifen 2011 und 2012 erkennt. "Wir verwendeten heute die Medium-Reifen und sie hielten ziemlich gut, bauten ähnlich ab wie im Vorjahr", meint er. "Daher sollten die Rennen ähnlich spannend werden wie im Vorjahr."

Wie viel fehlt zu Räikkönens Bestform?

Zur Spannung trug im Vorjahr auch der verstellbare Heckflügel bei, der die Überhol-Manöver in der Formel 1 erleichtert. Ein System, das Räikkönen ebenfalls nicht kennt. Die ersten Erfahrungen damit sorgten aber laut eigenen Angaben nicht für Schwierigkeiten: "Ich habe ja KERS in meinem letzten Jahr bei Ferrari benutzt. Es ist ziemlich das Gleiche. Es macht dich schneller, aber es ist keine große Sache."

Doch ist der "Iceman" bereits nach einem Testtag wieder in Bestform? Wie viel Potenzial schlummert noch im Schweiger aus dem hohen Norden? "Ich bin damit zufrieden, wie ich fahre und wie ich vor ein paar Wochen fuhr", verweist er auf den Test im Renault R30 in Valencia. "Natürlich kann man sich immer verbessern, auch das Auto - man kann es so abstimmen, dass es besser zu einem passt."

Der Test in Valencia im Januar wirkte auf Räikkönen jedenfalls beruhigend: "Ich mache mir seit damals keine Sorgen - auch nicht über die Reifen. Wir haben immer noch viele Testfahrten vor dem Saisonstart und hoffentlich können wir das Auto verbessern und vorne dabei sein, wenn die Saison beginnt."

Räikkönen sorgt für Aufbruchs-Stimmung

Diesbezüglich ist man bei Lotus vorsichtig optimistisch. Vor allem Teamchef Eric Boullier fiel nach der Bestzeit ein Stein vom Herzen, schließlich wurde sein Team im Vorjahr durch den Verlust von Robert Kubica und die Kontroversen um den Rauswurf von Nick Heidfeld arg gebeutelt. "Die harte Arbeit, die wir in dieses Team stecken, beginnt sich endlich auszuzahlen", freut er sich.

Dennoch versucht er, auf dem Boden zu bleiben: "Das Auto liefert die Leistung ab. Es ist schön zu sehen, dass wir schon auf Tempo sind. Aber es ist der erste Testtag." Teambesitzer Gerard Lopez sieht die Lage ähnlich: "Wir sind zufrieden. Die Zeiten zählen nicht wirklich, aber die Tatsache, dass das Auto ohne Probleme lief und Kimi auf Anhieb schnell war, ist positiv."

"Die harte Arbeit, die wir in dieses Team stecken, beginnt sich endlich auszuzahlen." Eric Boullier

Der hervorragende Einstand Räikkönens ringt ihm ein Lob ab: "Kimi hat sich sehr gut bei uns eingelebt. Für viele ist sein Umgang eines der großen Mysterien, man hört dies und das. Aber wir fühlen uns mit ihm sehr wohl und er fühlt sich ganz klar zuhause, lächelt viel. Wir fühlen uns wirklich wie eine Familie."