• 27.07.2013 21:40

  • von Nimmervoll, Rencken & Sharaf

Pirelli lobpreist Reifen: Zum Dahinschmelzen?

Pirelli-Sportchef Hembery und die Formel-1-Piloten wissen nicht genau, wie sich Budapests Hitze auf die Reifen auswirkt: "Machtgefüge hat sich nicht verschoben"

(Motorsport-Total.com) - Hochsommer in Budapest: Während die Fans auf den Tribünen förmlich gegrillt werden und die Fahrer in den Cockpits ihren Overall mit einem halben Dutzend Liter Ausdünstung tränken, schwitzen die Ingenieure in den klimatisierten Computerräumen wegen eines ganz anderen Themas: den Pirelli-Reifen. Die waren 2013 ein unsicherer Verbündeter und könnten in der neuen Bauart bei Temperaturen von 36 Grad Celsius, wie sie für den Rennsonntag angekündigt sind, das Zünglein an der Waage sein.

Titel-Bild zur News: Pirelli-Reifen

Halten sie oder halten sie nicht? Die Pirelli-Reifen geben Rätsel auf Zoom

Das Fahrerlager tappt im Dunkeln, wenn es darum geht, wie sich die Hitze auf die Pneus auswirkt. Lewis Hamilton prognostiziert: "Es dürfte ziemlich schwierig werden, unter diesen Bedingungen die Reifen zu schonen." Der Mercedes-Star, der von der Pole-Position ins Rennen geht, bleibt trotzdem cool: "Wie immer eben. Wir gehen ja nicht in ein Rennen und werden total überrascht. Es schien jetzt keine Katastrophe zu sein." Entwarnung also? Seine Kollegen sind sich nicht so sicher, einen Dauerlutscher auf den Achsen zu haben.

Daniel Ricciardo rechnet zwar nicht mit einem Debakel: "Ich bin nicht sicher, wie lange die weichen Reifen halten - zumindest länger als in China oder auf dem Nürburgring, mehr als fünf Runden." Ob er seinen Boxenstopp aber wirklich lange hinauszögern kann, will er lieber nicht vorhersagen: "Vielleicht halten sie die doppelte Distanz durch? Zehn Runden oder mehr? Momentan ist es Rätselraten." Romain Grosjean pflichtet bei: "Mit der weichen Mischung dürfte es aber schwierig werden, viele Runden zu fahren."

Nur Taktikfüchse können bestehen

Da kann auch Paul Hembery kein Licht ins Dunkel bringen: "Das Racing wird zeigen, was Sache ist." Der Pirelli-Sportchef kann sich nicht vorstellen, dass jemand ohne einen guten Schlachtplan besteht: "Wir erwarten, dass wie schon in Deutschland die Strategie im Rennen sehr wichtig sein wird. Die Hitze macht es für die Teams noch schwieriger. Es wird auf das Reifenmanagement ankommen." Wenn die Computersimulationen zwei bis drei Stopps vorhersagen, kann sich Hembery vorstellen, dass sich durch das Wetter Verschiebungen ergeben.


Fotos: Großer Preis von Ungarn, Samstag


So würden nur zwei Wechsel unwahrscheinlich, solange es keine Safety-Car-Phase oder sonstige Zwischenfälle gäbe. Auch Sebastian Vettel ist skeptisch und hält es für ein schwieriges Unterfangen, sich mit Geduld und Spucke einen Halt bei der Red-Bull-Crew zu sparen: "Wir sind mit Sicherheit nicht im Urlaub und in einem Cruise-Modus", scharrt der amtierende Champion mit den Hufen und verspricht: "Für die Jungs und die Teams wird es kein leichtes Rennen und kein leichter Job, auf die Reifen aufzupassen."

Aber wer hat eigentlich gesagt, dass wegen der Hitze Abbau und Verschleiß die größten Probleme wären? Adrian Sutil hat da einen ganz anderen Eindruck gewonnen. "Es ist schon witzig: 50 Grad Streckentemperatur und wir haben Schwierigkeiten, die Reifen aufzuwärmen", wundert sich der Force-India-Pilot, dem der überarbeitete Pneu ohnehin nicht schmeckt: "Das kann man einem Normalen gar nicht erzählen, der versteht das gar nicht. Ich frage mich: Warum macht man alles so schwierig, wenn es doch ganz einfach ginge?"

Bläschenbildung eher unproblematisch

Das so genannte Blistering hält Hembery hingegen für unproblematisch: "Ich habe viel Bläschenbildung beobachtet, insbesondere am Freitag", räumt der Pirelli-Verantwortliche ein. "Aber es ist kein gravierendes Problem." Hembery beschreibt den Hungaroring als einen der Kurse, auf dem sich die Teams entscheiden müssten, in welchem Sektor sie ihr Auto per Abstimmung schnell machen. Die eierlegende Wollmilchsau gäbe es in puncto Setup nicht, kontert er Sutil: "Vielleicht hatten sie ja damit Probleme, eben diese Balance zu finden. Allgemein gesagt gab es doch keine Riesenprobleme."

Auch nicht das von Paul di Resta? Der Schotte hatte sich nach seinem Ausscheiden in Q1 darüber beklagt, dass er einen katastrophalen Satz Pneus erwischt hätte. Hembery staunt nicht schlecht: "Statistisch gesehen ist es unwahrscheinlich, dass man gleich vier schlechte Reifen bekommt - wenn, dann vielleicht einen." Überhaupt kann nichts die Pirelli-Laune so wirklich trüben. Schließlich funktioniert der Gummi mit der 2012er Konstruktion und der 2013 Gummimischung offenbar so, wie man es sich in Mailand vorgestellt hat.

Pirelli-Reifen schneller als je zuvor

Romain Grosjean

Bei großer Hitze weiß auch Romain Grosjean nicht, was die Gummis machen Zoom

Hembery unterstreicht: "Wir sind zufrieden, dass es sich wieder etwas zu normalisiert haben scheint und unsere Anpassungen keine Veränderungen im Machtgefüge bewirkt haben - auch wenn das manche Leute im Eifer des Gefechtes sagen." Eine Anspielung auf Sutil. Die Fahrzeuge, die zuvor bei Hitzerennen wegen ihres reifenschonenden Charakters im Vorteil gewesen seien, hätten diesen bewahrt, glaubt Hembery und sieht damit Lotus sowie Ferrari im Vorteil. Bei kühleren Bedingungen kann er sich leichte Verschiebungen eher vorstellen, nennt Prognosen aber schwierig und verweist darauf, dass sehr viel vom Auto abhinge.

Er untermauert noch einmal, dass nach der Kritik der vergangenen zwei Jahre mittlerweile Ruhe eingekehrt sei bei Pirelli und die Italiener die Lage konsolidiert hätten: "Es handelt sich um einen aggressiven Reifen, das haben die Rundenzeiten unter Beweis gestellt", beschreibt er insbesondere die weicheren Mischungen mit der roten und gelben Markierung. Die Zahlen würden für einen technischen Fortschritt sprechen: "Drei Sekunden auf einer Runde - so, wie in Silverstone - sind schon eine Menge. Es zeigt auch, dass unsere Änderungen keine Leistung gekostet haben."