• 30.11.2004 13:43

Pierre Dupasquier im Interview - Teil eins

Der Michelin-Sportchef erklärt, warum Bridgestone mit schlechteren Reifen gewonnen hat, und spricht vom Formel-1-Ausstieg

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Pierre, drei Grand-Prix-Siege, sechs Pole Positions - hat sich Michelin für das vergangene Formel 1-Jahr mehr ausgerechnet?"
Pierre Dupasquier: "Ehrlich gesagt: Die Saison hatte ich bereits am Samstag in Melbourne abgehakt, als Michael Schumacher bereits bei seiner Installationsrunde - also ohne jegliches Feintuning an seinem Fahrzeug - die Qualifying-Bestzeit von 2003 mühelos unterbieten konnte. Da wusste ich, dass Ferrari ein riesiger Schritt gelungen war, habe mein Notizbuch zugeklappt und bin erst einmal ein Bier trinken gegangen."

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Michelin bleibt laut Dupasquier nur mit einem Konkurrenten in der Formel 1

Frage: "Wie viel Anteil an diesem Erfolg hatte deiner Meinung nach Bridgestone, der Reifenpartner von Ferrari?"
Dupasquier: "Ich weiß es selbst nicht genau, warum unsere Konkurrenz in der vergangenen Saison so erfolgreich war. Lag es an Michael, am Auto, oder doch an den Reifen? Ich glaube, Bridgestone hatte im Vergleich zu 2003 einen größeren Spielraum für Verbesserungen als wir. Unsere Konkurrenz trat 2004 zum Beispiel ebenfalls mit einem breiteren Vorderreifen an, wie wir ihn schon zuvor eingesetzt hatten. Klar haben sie sich verbessert, aber auch Michelin als Referenz konnte sich weiterentwickeln. Den größten Sprung jedoch hat ohne Zweifel Ferrari vollzogen. Das Sauber-Team, ebenfalls auf Bridgestone-Pneus unterwegs, war zu Saisonbeginn selbst mit Giancarlo Fisichella am Steuer nicht bei der Musik. Sie wurden konkurrenzfähiger, als sie ihre Aerodynamik fortlaufend verbesserten."#w1#

Dupasquier ist überzeugt, dass Michelin 2004 besser war

Frage: "Dann glaubst du persönlich nicht, dass Michelin in diesem Formel-1-Jahr seinem Konkurrenten hinterherhinkte?"
Dupasquier: "Wären die Rennreifen von Michelin unterlegen, würden alle wichtigen Teams in der kommenden Saison auf Bridgestone setzen. Man sollte da die Bedeutung von Verträgen nicht überschätzen. Wir können die vergangene Saison aus zwei Blickrichtungen betrachten. Zählen wir allein die Ergebnisse zusammen, dann ist ganz klar: Wir haben die Ziele, die wir uns selbst gesteckt haben, nicht erreicht. Blicken wir jedoch auf den technischen Fortschritt, den wir erzielt haben, sieht die Sache gleich ganz anders aus. Wir haben jedem unserer sechs Partnerteams Reifen zur Verfügung gestellt, die unter unterschiedlichsten Bedingungen eine gleichmäßig hohe und konstante Performance geliefert haben. Es steht außer Frage, dass wir 2003 die Nase vorn hatten. Und ich bin mir sicher, dass dies in der vergangenen WM-Saison nicht anders war."

Frage: "Liegt darin auch der überraschende Aufstieg von BAR-Honda begründet, die 2004 ja erstmals auf Rennreifen von Michelin gesetzt haben?"
Dupasquier: "Auf die exzellente Zusammenarbeit mit BAR-Honda sind wir natürlich besonders stolz. Mit elf Podiumsplätzen, einer Pole Position und dem zweiten Rang in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft war es das beste WM-Jahr in der Geschichte dieses noch jungen Teams."

Frage: "Wie beurteilst du die Diskussion, in der Formel 1 in Zukunft nur noch auf einen Reifenhersteller zu setzen?"
Dupasquier: "Wir haben die Vorschläge der FIA und Max Mosleys aus zweierlei Gründen nicht gemocht. Der Grand-Prix-Sport sollte zu 100 Prozent aus Wettbewerb bestehen - unter den Fahrern, den Teams und auch den Ingenieuren. Auch die Konkurrenz auf technischem Gebiet macht die Spannung dieser Rennserie aus. Sehen Sie sich die Formel 3000 an: Obwohl es in dieser Klasse oftmals aufregendere Rennen zu sehen gibt, interessiert sich so gut wie niemand dafür. Wenn in der Formel 1 immer mehr Gleichteile eingeführt werden wie Motoren und Bremsen und so weiter, dann gehen wir mehr und mehr in Richtung Formel 3000. Andere Reifenhersteller kaufen sich aus Marketinggründen in bestimmte Rennserien ein. Das ist nicht der Weg, den Michelin verfolgt. Wir suchen den Wettbewerb mit unseren Konkurrenten und damit auch eine Referenz, an der wir uns messen können. Für Michelin ist es wichtig, an der Spitze der Entwicklung zu kämpfen."

Michelin hat einen klaren Standpunkt zur Kostendiskussion

Frage: "Aber die Teams suchen Möglichkeiten, um die Kostenspirale in der Formel 1 zu durchbrechen und die stetig steigenden Geschwindigkeiten zu reduzieren..."
Dupasquier: "Genau zu diesem Thema haben wir bereits Vorschläge unterbreitet. Wir kommen mit einem Satz Reifen pro Rennen aus. Das geht automatisch auf Kosten der Performance und spart Geld."

Frage: "Viele Teamchefs argumentieren, gerade die Testfahrten zwischen den Grands Prix würden wegen der Reifenentwicklung ausufern."
Dupasquier: "Ich habe Bernie Ecclestone in Brasilien getroffen und ihm auch hierzu unseren Standpunkt mitgeteilt. Die Wahrheit ist: Michelin benötigt nicht einen einzigen eigenen Testkilometer vor oder während der Saison. Das freie Training am Freitag eines jeden Rennwochenendes genügt uns vollauf."

Frage: "Die Teams führen an, 80 Prozent der Testfahrten wären nur für die Erprobung der Rennpneus..."
Dupasquier: "Glaube mir: Wir bekommen genügend Feedback von den gewöhnlichen Tests, bei denen Chassis-, Aerodynamik- oder Getriebeneuerungen ausprobiert werden."

Frage: "Hast du einen eigenen Vorschlag, wie die Kosten in der Formel 1 reduziert werden könnten?"
Dupasquier: "Ja sicher. Schluss mit Reifentestfahrten! Jeder Testkilometer kostet die Teams rund 4.000 US-Dollar, das macht pro Runde gut 20.000 Dollar - und dabei ist der Aufwand für die Motoren noch nicht einmal eingerechnet. Ich kann gut verstehen, dass die Teams Geld sparen wollen. Aber im Ernst: Billig war die Formel 1 noch nie..."

"Kein Interesse" an einer Formel 1 mit Einheitsreifen

Frage: "Würde Michelin auch als einziger Reifenhersteller in der Formel 1 bleiben?"
Dupasquier: "Wir haben an einem Reglement mit so genannten Kontrollreifen kein Interesse, auch wenn wir vergleichbare Lösungen für Markenpokalserien wie die Formel Renault oder auch in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft anbieten. Generell aber ist es so, dass wir uns dort engagieren, wo unsere Partner - also die Automobilhersteller - unsere Unterstützung wünschen. Wir sind wieder in die Formel 1 eingestiegen, weil uns erst Toyota, dann auch BMW darum gebeten haben, sie bei diesem Schritt zu begleiten. Aus diesem Grund hat der Vorstand von Michelin dieses Engagement abgesegnet."

Frage: "Wie wird sich der langlebige Rennreifen auf die Performance in der Formel 1 auswirken?"
Dupasquier: "Je nach Rennstrecke kann dies sehr unterschiedlich ausfallen. Wir hätten bereits in dieser Saison auf manchen Kursen wie etwa in Monza mit unserer Erstempfehlung 'Prime' die komplette Distanz überstehen können, während der weichere 'Option'-Pneu Vorteile im Qualifying ermöglichte. In Barcelona zum Beispiel kommt nun mit Sicherheit ein Reifen mit deutlich härterer Laufflächenmischung und auch einer rigideren Struktur zum Einsatz, der die Kurvengeschwindigkeiten deutlich senken wird."

Frage: "Stellt dieses neue Reifenreglement technologisch ein Problem dar?"
Dupasquier: "Michelin bietet auf dem US-Markt LKW-Pneus an, die für eine Laufleistung von rund 300.000 Meilen ausgelegt wurden. Ich sehe da keine Schwierigkeiten auf uns zukommen."

Den zweiten Teil des Interviews mit dem Michelin-Sportchef können Sie morgen bei 'F1Total.com' nachlesen.