• 23.07.2011 21:21

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Phänomenaler Hamilton lässt McLaren hoffen

Ob wegen Lewis Hamiltons Ausnahmeleistung oder wegen echter Verbesserungen: McLaren schöpft am Nürburgring wieder Hoffnung für den WM-Kampf

(Motorsport-Total.com) - Es war ein gutes Beispiel für die Schnelllebigkeit der Formel 1: Vor dem Qualifying auf dem Nürburgring musste Martin Whitmarsh vor laufenden 'BBC'-Kameras noch gegenüber Eddie Jordan rechtfertigen, warum McLaren zuletzt immer weiter zurückgefallen ist, doch zwei Stunden später war das schon wieder Schnee von gestern. "Sie haben auf der Strecke die Antwort gegeben", lacht Jordan über seine eigene Fehleinschätzung.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton zeigte sich heute im Qualifying von seiner besten Seite

Nach der Pleite von Silverstone, wo McLaren unter dem Zwischengas-Verbot eigenen Berechnungen nach mehr gelitten hat als Red Bull und Ferrari, lieferten Lewis Hamilton und Jenson Button auch gestern im Freien Training eine eher dünne Vorstellung ab. Doch schon heute Morgen ging es aufwärts und im Qualifying wäre Hamilton sogar beinahe auf Pole-Position gefahren - vor allem dank einer fahrerischen Glanzleistung, wie die Experten finden.

"Der Abstand zwischen Lewis und Jenson sagt alles", spricht David Coulthard die 1,154 Sekunden Differenz an, die heute zwischen den beiden McLaren-Fahrern lagen. Vor allem im ersten Sektor sei Hamilton "gewaltig" unterwegs gewesen: "Er hat den ganzen mechanischen Grip seines McLaren genutzt und das war der Schlüssel zu seiner Runde, denn im Mittelsektor war er um mehr als drei Zehntel langsamer."

Im Mittelsektor ohne Chance

Hamilton erzielte im ersten Sektor in 29,713 Sekunden Zwischenbestzeit vor Webber (29,831) und Sebastian Vettel (29,921). In Sektor zwei (37,257) war er deutlich langsamer als Webber (36,883) und belegte in jenem Abschnitt nur den vierten Platz. In Sektor drei reichte es für Hamilton dann wieder zur Bestzeit (23,164), allerdings nicht vor Webber (23,282), sondern vor Vettel (23,222). Auch in Sachen Topspeed hatte Hamilton (7.) fast sieben km/h Guthaben auf Red Bull (19. und 20.).

"Wir wussten, dass wir im Mittelsektor ziemlich langsam waren - dort haben wir die ganze Zeit verloren", weiß Hamilton. "Ganz egal, wie sehr ich mich auch angestrengt habe, im Mittelsektor haben immer diese vier Zehntel gefehlt. Also musste ich versuchen, die anderen Sektoren perfekt zu treffen und dort Zeit gutzumachen. Ich habe tatsächlich in allen Bremszonen Zeit gefunden, die Linie laufend verbessert. Die Upgrades haben mir dabei geholfen."

Er habe eine "absolut phänomenale" Runde hingelegt, offenbar eine der besten seiner gesamten Formel-1-Karriere - und das zum goldrichtigen Zeitpunkt, denn er selbst und McLaren waren zuletzt immer mehr unter Druck geraten. Vor dem erneuten Turnaround zieht 'BBC'-Experte Jordan anerkennend den Hut: "Das war eine verblüffende Wende. McLaren schafft das immer wieder. Sie verwirren uns immer wieder."

¿pbvin|512|3901||0|1pb¿Die große Frage ist aber, ob der zweite Startplatz hauptsächlich durch Hamiltons fahrerische Leistung zustande gekommen ist oder ob das Team als Ganzes einen Schritt nach vorne gemacht hat. Hamilton ist zuversichtlich: "Ich glaube, dass es so weitergehen kann - wir müssen nur pushen." Teamchef Whitmarsh findet indes, dass McLaren gestern zu früh abgeschrieben wurde: "Die Leute interpretieren in die Freitage einfach mehr hinein, als sie sollten."

"Wir haben am Freitag viel experimentiert, es werden verschiedene Benzinmengen gefahren und wir haben uns ziemlich stark auf die Technik konzentriert, wohingegen andere vielleicht schon mehr auf das Rennwochenende geschaut haben", erklärt er. "Vielleicht wenden wir manchmal zu viel Zeit für die Technik auf, sodass die Vorbereitung auf das Rennwochenende nicht gut genug ist, aber hier ist die Rechnung aufgegangen."

Hamilton hofft auf Regen

Morgen soll es auf dem Nürburgring allerdings regnen, was alle bisherigen Erkenntnisse dieses Wochenendes über den Haufen werfen würde. Hamilton hätte damit kein Problem, gilt er doch als ausgesprochener Regenspezialist: "Ich liebe es, wenn es regnet - ich bin Engländer!", grinst er. Whitmarsh ergänzt: "Wir dürfen jetzt nicht abheben. Tatsache ist, dass wir morgen das Rennen gewinnen können. Das gilt für beide Fahrer."

"Unsere Longrun-Pace ist normalerweise sehr konstant", nickt Hamilton. "Zudem wissen wir nicht, wie viel Benzin die anderen im Training an Bord hatten. Vielleicht waren wir schwerer, was auch erklären würde, warum ich gestern noch geglaubt habe, dass wir so langsam sind. Ich hoffe, dass wir morgen mit einer guten Strategie attackieren können. Das Ziel ist - auch von der schlechteren Seite -, nach der ersten Kurve in Führung zu liegen."

Martin Whitmarsh

Teamchef Martin Whitmarsh sieht noch eine Minichance auf den WM-Titel Zoom

Nach der heutigen Leistung schöpft Whitmarsh auch für den WM-Kampf wieder Hoffnung: "Der Leistungsunterschied zwischen Red Bull und uns betrug heute sechs Hundertstelsekunden. Das bedeutet, dass es machbar ist", meint er. "Die Weltmeisterschaft ist mathematisch noch offen. Also konzentrieren wir uns darauf, Rennen zu gewinnen und Leistung zu finden. Das sollte uns in die richtige Richtung bringen - und dann sehen wir weiter."

Und weiter: "Es ist eine immens umkämpfte Saison und Red Bull und Ferrari sind gut finanzierte, solide Teams, die hart arbeiten. Man sollte auch Mercedes, Renault und die anderen Teams in dieser Boxengasse nicht unterschätzen. Das sind hunderte Menschen. Jedes Team arbeitet sieben Tage die Woche daran, uns zu besiegen. So sollte es auch sein. Ich glaube, wir sollten nicht einmal schwarz sehen und dann wieder euphorisch sein, denn die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte."

Zur Verbesserung beigetragen habe auch das abgeschaffte Zwischengas-Verbot: "Alle sind zu diesem Modus zurückgekehrt. Für uns war das kein schlechter Modus", gesteht Whitmarsh. "Wir haben auch weitere Änderungen angebracht. In Wahrheit ist es sehr schwierig, das einzuschätzen, aber was auch ermutigend ist, ist, dass unser DRS im Moment nicht so gut ist wie das anderer Autos. Das ist im Qualifying ein größerer Nachteil als im Rennen und könnte uns morgen entgegenkommen."