• 28.02.2005 14:47

Niki Lauda analysiert: So wird die Saison 2005 verlaufen

Interview mit Niki Lauda über Österreicher in der Formel 1, die Auswirkungen des Reglements und die Favoriten auf den WM-Titel

(Motorsport-Total.com) - Als dreifacher Weltmeister und Formel-1-Experte von 'RTL' ist Niki Lauda auch nach seinem Rücktritt als Aktiver noch immer in der Königsklasse des Motorsports präsent. Am Wochenende stellte er sich in 'Sport am Sonntag' den Fragen unserer Kollegen vom 'ORF', dank deren Genehmigung auch die 'F1Total.com'-Leser an Laudas Kommentaren teilhaben können.

Titel-Bild zur News: Heinz Prüller und Niki Lauda

Niki Lauda glaubt, dass es Ferrari dieses Jahr schwerer haben wird als 2004

Frage: "Niki, Österreich stellt dieses Jahr gleich zwei Fahrer, also zehn Prozent des gesamten Feldes. Wie kann es sein, dass ein kleines Land in einem so globalen Sport so stark vertreten ist?"
Niki Lauda: "Die Erklärung ist relativ einfach: Jochen Rindt war derjenige, der uns alle motiviert hat, durch den wir uns mit der Formel 1 plötzlich auseinandergesetzt haben. Dann ging es Schlag auf Schlag. Erst kam ich, dann der Gerhard Berger. Das öffentliche Interesse ist vorhanden. Es ist bekannt, was die Formel 1 zu bieten hat, und deswegen wollen alle hinein. Umso schöner, dass wir wieder zwei Österreicher dabei haben."#w1#

Österreich laut Lauda "vom lieben Gott gesegnet"...

Frage: "Aber weltweit wollen tausende junge Fahrer in die Formel 1..."
Lauda: "Zunächst einmal muss man Talent haben und Autofahren können, was ja nicht von der Nation abhängt, sondern von den Menschen, die das zustande bringen. Offenbar sind wir vom lieben Gott gesegnet, dass in Österreich immer wieder solche Leute daherkommen."

Frage: "Hat es dich überrascht, dass Patrick Friesacher doch noch ein Cockpit bekommen hat?"
Lauda: "Ich glaube schon, denn er hat nicht einmal selber damit gerechnet. Er war ja nur als Testfahrer dort vorgesehen. Erst in letzter Sekunde wurde aus dem Testvertrag ein richtiger Vertrag. Für ihn ist das schon ein toller Schritt nach vorne."

Frage: "Minardi war schon für viele Talente ein Sprungbrett. Was muss Patrick machen, damit er auffällt?"
Lauda: "Erstens einmal muss er seinen Teamkollegen versägen, denn sein Auto ist bekanntermaßen nicht das beste. Er muss immer dann auffallen, wenn Bedingungen sind, in denen auch ein schlechtes Auto mit hoher Fahrerqualität nach vorne fahren kann, zum Beispiel bei Regen. Da muss er zeigen, dass er schnell ist. Das erste Jahr ist immer ein sehr schwieriges Jahr, denn er kennt die wenigsten Strecken. Er muss sich erst einmal alles anschauen und dann Schritt für Schritt nach vorne kommen."

"Stoddart ist ein ganz komischer Typ"

Frage: "Minardi sagt, dass sie bestenfalls Jordan schlagen wollen. Kann man nicht mehr erwarten?"
Lauda: "Stoddart ist ein ganz komischer Typ. Er geht beim ersten Rennen mit einem alten Auto an den Start, was ja von der Aerodynamik her nicht mehr zugelassen ist. Die Autos, die dieses Jahr am Start sind, mussten geändert werden. Ich bin schon gespannt, was sie in Melbourne für einen Kompromiss für das letzte Team der Formel 1 finden werden. Mal abwarten, ob die überhaupt fahren dürfen."

Frage: "Kann es tatsächlich so kommen, dass Minardi gar nicht antreten darf?"
Lauda: "Das Problem ist, dass das Concorde Agreement besagt, dass in so einer Ausnahmesituation alle Teams zustimmen müssen. Ferrari stimmt nicht zu, denn die sind ja nicht mehr bei den anderen Teams dabei, sondern haben sich mit Ecclestone auf ein neues Concorde Agreement geeinigt. Ferrari steht ganz weit außen und die anderen neun Teams sind zusammen gegen Ferrari. Die werden sicher nicht zustimmen, denke ich. Ob es der Stoddart schafft, da unten fahren zu dürfen, werden wir sehen."

Für Minardi wird es eine Kompromisslösung geben

Frage: "Aber bei Minardi werden doch alle ein Auge zudrücken, nicht wahr?"
Lauda: "Wahrscheinlich, denn gewinnen wird der Stoddart sicher nicht - ganz egal, was auch passiert. Er sagt, wenn er nicht fahren darf, klagt er die ganzen Änderungen ein, was man natürlich verhindern will. Ein Kompromiss wird dabei schon herauskommen."

Frage: "Christian Klien ist für die ersten drei Rennen bei Red Bull Racing bestätigt, hat aber nach wie vor Vitantonio Liuzzi im Nacken. Ist das für ihn eher eine Belastung oder kann es sogar sein, dass er dadurch schneller wird?"
Lauda: "Er hat überhaupt keine Chance, langsam zu fahren. Er muss Vollgas geben und er muss in diesen ersten drei Rennen beweisen, wie gut er ist, denn umsonst hat er diese Chance nicht bekommen. Wenn man so will, muss er sich Coulthard vornehmen, um das Team von seinen Qualitäten zu überzeugen. Schafft er das nicht, so hat sich Red Bull die Option offen gelassen, später zu wechseln. Aber er hat einmal den Vorteil, dass er die Saison beginnen darf."

Klien hat "keine Ausreden mehr", mahnt Lauda

Frage: "War Christian in seiner ersten Saison zu wenig aggressiv? Hat ihm der berühmte Killerinstinkt gefehlt?"
Lauda: "Nein, das glaube ich nicht. Ich finde, er ist eine ganz normale erste Saison gefahren - genauso, wie es Friesacher dieses Jahr machen muss. Aber jetzt, in der zweiten Saison, muss er vom ersten Rennen an beweisen, wie gut er ist. Jetzt kennt er alle Kurse und er hat keine Ausreden mehr. Bei Red Bull muss jeder Fahrer erst zeigen, was er drauf hat. Jetzt kommt es wirklich drauf an."

Frage: "Jaguar hat vergangenes Jahr gerade einmal ein paar WM-Punkte geholt. Was kann man von Red Bull Racing 2005 erwarten?"
Lauda: "Man muss Red Bull gegenüber fair sein. Die Situation ist einfach: Ford hat das Team verkauft. Den ganzen Herbst, in dem sich die anderen Teams sofort auf die Entwicklung konzentrieren konnten, hat es bei Red Bull keine Fortschritte gegeben. Die haben kein neues Auto bauen können, weil sie ja nicht einmal gewusst haben, ob es überhaupt weitergeht. Alles ist abgestorben, weil die Zukunft ungewiss war. Dann ist Red Bull relativ spät eingestiegen. Sie haben den Günther Steiner geholt, der schon mit mir bei Jaguar gearbeitet hat, sie haben neue Leute im Management geholt - in meinen Augen absolut die richtigen Leute -, und die muss man jetzt arbeiten lassen. Man darf dieses Jahr nicht viel erwarten, weil die Entwicklungsarbeit einfach länger dauert. Aber es sind schon einmal die richtigen Leute dort, um so ein Formel-1-Team auf Trab zu bringen. Das kann drei bis vier Jahre dauern. Das erste Jahr wird sehr schwierig, aber sie müssen jetzt Vollgas geben, damit das Auto besser wird."

Lauda rechnet mit Nachteilen von Bridgestone

Frage: "Glaubst du, dass es dieses Jahr wieder eine Spazierfahrt für Ferrari und Michael Schumacher wird?"
Lauda: "Schwer zu sagen, denn wir haben ein neues Reglement, auf das sich alle erst einmal einstellen müssen. Keiner weiß, wer das am besten geschafft hat. Bei den Testfahrten war Ferrari noch mit dem alten Auto mit modifizierter Aerodynamik unterwegs - aber nicht so wie der Stoddart, sondern schon mit einem Auto, das den neuen Regeln entspricht. Dennoch ist es ein altes Auto und die anderen Teams haben neue Autos und müssten eigentlich besser sein, wenn sie ihren Job richtig gemacht haben. Dann ist die Situation mit den Reifen so, dass Bridgestone alleine Ferrari beliefert, wenn man so will, während Michelin alle anderen Teams hat. Die Reifen dürfen dieses Jahr ja nicht mehr gewechselt werden und damit hat Michelin bei den Tests möglicherweise schon mehr Erfahrungen sammeln können, weil man ganz einfach mehr testen konnte. Da könnte Bridgestone im Nachteil sein, gerade bei den ersten Rennen."

Frage: "Wer ist deiner Meinung nach Favorit auf den Sieg in Melbourne?"
Lauda: "Das kann man nicht sagen, weil die Reifen im Winter getestet wurden, wo es in Europa kalt war, aber Melbourne wird ganz schön warm und Malaysia noch einmal eine Spur heißer. Das heißt, die Reifen müssen konservativ ausgelegt sein. In Wirklichkeit kommt es darauf an, wie reifenmordend ein Chassis ist. Das hängt auch mit der Traktionskontrolle zusammen, denn je mehr die Räder durchdrehen, desto früher werden sie kaputt. Die Autos mussten von der Software her so umgestellt werden, dass sie relativ schonend mit den Reifen umgehen, denn ein Reifen muss jetzt 360 Kilometer halten. Früher waren es nur 80, weil man ja drei- oder viermal während dem Rennen gewechselt hat. Da gibt es überhaupt keine Erfahrungswerte. Wer am schonendsten mit den Reifen umgeht, hat mehr Chancen, den Grand Prix schnell zu beenden und zu siegen."

Fahrer und Elektronik müssen auf die Reifen achten

Frage: "Kann man auch als Fahrer reifenschonend fahren?"
Lauda: "Natürlich. Die Fahrer, die nicht so aggressiv mit den Reifen umgehen, haben jetzt klarerweise einen Vorteil. Auch die Elektronik muss gut abgestimmt sein."

Frage: "Rechnest du auch mit mehr Motorschäden?"
Lauda: "Es ist für einen Rennmotor schon ein Problem, wenn er plötzlich doppelt so lange halten muss. Standfestigkeit geht in dem Fall auf Kosten der PS, denn wenn ich in einem Rennen einen Motorschaden habe, werde ich beim nächsten Rennen nach hinten versetzt. Der Fahrer kann einen Motor eigentlich nicht mehr kaputt machen, denn mit der Elektronik und dem Drehzahlbegrenzer kann er nicht mehr überdrehen. Wenn aber ein Materialproblem verhindert, dass er einen Grand Prix gewinnt, muss er im nächsten Rennen auch noch um zehn Plätze nach hinten. Das ist ein brutales Reglement. Es geht dabei aber um die Kosten und die sind natürlich geringer, wenn ich zwei Rennen mit einem Motor fahre."

Lauda rechnet mit stärkeren "Silberpfeilen" als zuletzt

Frage: "BAR-Honda und Renault haben 2004 McLaren-Mercedes und das BMW WilliamsF1 Team überholt. Wird das auch dieses Jahr so bleiben?"
Lauda: "Ich glaube, dass sich McLaren-Mercedes erfangen hat - zumindest haben das die Testfahrten gezeigt. Die haben letztes Jahr zwei Autos gebaut, die nicht funktioniert haben. Sie haben wahnsinnig viel investiert, aber außer einem Grand-Prix-Sieg mit Räikkönen ist dabei nichts herausgekommen. Dass die früher oder später wieder alles auf die Reihe bekommen werden, ist nur logisch. Der McLaren schaut für mich schnell aus, aber am schnellsten ist der Renault, der letztes Jahr schon gut war, aber vom Motor her noch nicht genügend Leistung hatte. Die sind im Moment die größte Gefahr für Ferrari. Das BMW WilliamsF1 Team ist wieder hinten nach und fängt schon wieder langsam an. Ferrari muss bei den ersten Rennen schauen, ins Ziel zu kommen und zu punkten, und dann kommt ja das neue Auto, das sie dadurch länger im Windkanal entwickeln können. Wenn sie beim dritten Rennen mit dem neuen Auto kommen, geht es erst richtig um die Wurst."

Frage: "Wer wird Weltmeister?"
Lauda: "Ich bin kein Hellseher, aber alles ist offen. Es ist weit offener als früher. Die Langeweile, die es durch die Dominanz von Ferrari und Schumacher gegeben hat, wird meiner Meinung nach dieses Jahr nicht eintreten."